Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 5 (2015), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Hanna Kozińska-Witt

 

Anna Moskal: Im Spannungsfeld von Region und Nation. Die Polonisierung der Stadt Posen nach 1918 und 1945. Wiesbaden: Harrasowitz, 2013. XIV, 298 S., 14 Abb. = Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Ostmitteleuropas, 23. ISBN: 978-3-447-06755-3.

Diese mikrohistorische Arbeit ist aus einer bei Philip Ther an der Viadrina-Universität (Frankfurt/Oder) verteidigten Dissertation hervorgegangen. Sie ist im Rahmen eines größeren Forschungsprogramms entstanden, weswegen sich Moskal punktuell beispielsweise auf die Ergebnisse der Forschungsarbeit über die Slovakisierung von Bratislava beziehen kann.

Beabsichtigt war ein „diachroner Vergleich der beiden Nachkriegsperioden“ (S. 4). Die Verfasserin fokussiert dabei eine ‚Grenz‘-Kommune, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dreimal ihre staatliche Zugehörigkeit gewechselt hat, was zu einem Wechselspiel zwischen den von der Stadt und dem jeweiligen Staat verfolgten Germanisierungs- und Polonisierungsprogrammen führte. In der Analyse geht es nicht nur um die horizontale Ebene (das Verhältnis ethnischer oder konfessioneller Gruppen untereinander), sondern auch um die vertikale (die Beziehung zwischen der Kommune und der Region und dem Staat, S. 6). Deswegen werden nicht nur die deutsch-polnischen, sondern auch die innerpolnischen Beziehungen berücksichtigt, beides in einem wohl austarierten Verhältnis. Durch die Einbeziehung der innerpolnischen Rivalitäten (nicht nur mit Warschau, sondern auch mit Breslau und Stettin) kann die Verfasserin manche Entwicklungen in der Region besser erklären, z.B. den Zusammenhang zwischen der angestrebten Modernität und „dem Deutschtum“, das lokal nun denationalisiert als eine Form der Europäizität verstanden werden konnte (S. 83, 136, 147, 158–159). Im Falle der modernen Architekturobjekte konnte deren Entdeutschung durch eine (geringfügige) Abänderung des dekorativen Kostüms oder aber durch Veränderung ihres urbanen Kontextes mit den „Gegenbauten“ erfolgen (Fallstudie: Die Posener Messe).

Von der Annahme ausgehend, dass der Posener öffentliche Raum in einem besonderen Maße von konkurrierenden Nationalismen geprägt sein müsse, macht die Verfasserin die jeweiligen kulturellen Aneignungsstrategien zuerst sichtbar, um sie dann auf ihre beabsichtigte wie auch ihre tatsächlich erzielte Wirkung bzw. Rezeption zu analysieren. Während sich Moskal bei der Analyse der Zwischenkriegs- und der Besatzungszeit auf zahlreiche Vorarbeiten stützen kann, ist ihre Bearbeitung der Nachkriegsgeschichte eine Pionierleistung. Sie konstatiert für diese Periode eine radikale Beschneidung der kommunalen Kompetenzen und den Sog des „Volks“-Zentralismus, die den allgegenwärtigen Regionalismus zwar zu überdecken, jedoch nicht auszuradieren vermochten.

Im Hintergrund der Analyse steht die kritische Beobachtung von Markus Krzoska, „dass in der Stadtgeschichtsforschung gerne pauschalisierend auf nationale Konflikte verwiesen wird, obwohl diese gar nicht vorhanden oder weit entfernt davon waren, für die Gesamtbevölkerung repräsentativ zu sein“ (S. 135). Das analytische Gerüst von Roger Brubaker strukturiert die Arbeit. Moskal sieht die Brubaker-These bestätigt, „dass ein hohes Maß an Gruppenzugehörigkeitsgefühl („groupness“) oft eher die Folge eines bestimmten Konflikts als die ihm zugrunde liegende Ursache ist: Im Posener Fall nahm das Bedürfnis nach nationaler Distinktion mit der Gründung eines eigenen Nationalstaates ab, gleichzeitig jedoch wuchs angesichts der innerpolnischen Konflikte und Unterschiede das Regionalbewusstsein“ (S. 37–38). Das gleiche gilt für Burbakers Warnung vor „overethnicized interpretations“ (S. 263).

In Anlehnung an die Begrifflichkeit von Till van Rahden könnte man für Posen und Großpolen vielleicht eine „situative Ethnifizierung“ diagnostizieren. Indem die Verfasserin die Eigentumsverhältnisse und die finanziellen Verpflichtungen der Kommune näher betrachtet, kann sie mache Konflikte tatsächlich ‚entnationalisieren‘: So schildert sie für die ersten Jahre nach dem Ersten Weltkrieg eine pragmatische, friedliche Einstellung der polnischen Kommunalverwaltung gegenüber den deutschen Bediensteten, womit sich der Magistrat Entschädigungs- und Rentenansprüche zu ersparen suchte (S. 53 ff.). Wenig später verweist sie allerdings auf eine anders gelagerte Situation im Immobiliengeschäft der Zwischenkriegszeit, wo die Nationalität des Käufers über seine Erwerbschancen entschied (S. 56–59).

Die Verfasserin kann ihre Untersuchung auf die gut erhaltenen Archivbestände der Posener Stadtverwaltung stützen. Sie hat drei besonders repräsentative Bereiche der kommunalen Gestaltungskompetenz gewählt: die der Messe (und hier besonders der Allgemeinen Landesausstellung von 1929), der Theater (besonders der Oper) und der Friedhöfe. Während die beiden ersten Bereiche inzwischen in der Städteforschung gut etabliert sind, beschritt Moskal mit ihrer Bearbeitung von beziehungsorientierter Friedhofsgeschichte ein historiographisches Neuland, wobei ihre Wahl durch die Ballung der verschieden gelagerten „Friedhofskonflikte“ zwischen den unterschiedlichen Verwaltungsinstanzen, Kirchen und Gesellschaften bestätigt wird (S. 9). Durch Einbeziehung des deutschen und europäischen Kontextes diagnostiziert die Verfasserin auch in diesem Falle eine nachträgliche Ethnifizierung des eigentlichen Modernisierungskonfliktes.

Kritisch ist zu bemängeln, dass im Literaturverzeichnis der Name eines besonders verdienten Doyens der polnischen Regionalismusforschung, des verstorbenen Roman Wapiński, fehlt: Seine Thesen werden weder erwähnt noch hinterfragt. Außerdem wundert es einen, dass bei der Presseanalyse nach 1948 eventuelle Eingriffe der Zensur überhaupt nicht in Betracht gezogen wurden.

Positiv ist die Ästhetik des Bandes hervorzuheben: das Buch wurde von Moskal mit von ihr selbst aufgenommenen schlichten Schwarzweiß-Fotos auf eine sehr gelungene Art bebildert. Ich hätte mir jedoch außer der publizierten Friedhofsskizze noch Stadtpläne gewünscht, die die Lage der besprochenen Objekte und ihre im Werk analysierte Beziehung zueinander visualisiert hätte.

Hanna Kozińska-Witt, Rostock

Zitierweise: Hanna Kozińska-Witt über: Anna Moskal: Im Spannungsfeld von Region und Nation. Die Polonisierung der Stadt Posen nach 1918 und 1945. Wiesbaden: Harrasowitz, 2013. XIV, 298 S., 14 Abb. = Studien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Ostmitteleuropas, 23. ISBN: 978-3-447-06755-3, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Kozinska-Witt_Moskal_Im_Spannungsfeld_von_Region_und_Nation.html (Datum des Seitenbesuchs)

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