Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 2011, 1

Verfasst von: Florian Keisinger

 

Gabriella Schubert (Hrsg.) Serbien in Europa. Leitbilder der Moderne in der Diskussion. Wiesbaden: Harrassowitz, 2008. 162 S., 29 Abb. = Forschungen zu Südosteuropa. Sprache – Literatur – Kultur, 3. ISBN: 978-3-447-05849-0.

In den vergangenen Jahren hat sich die Forschung wiederholt intensiv mit der Verortung der Bal­kanregion auf einer kognitiven Landkarte, einer sogenannten mental map, befasst. Methodisch angeregt durch die Pionierstudien von Edward Said („Orientalism“) und Larry Wolff („Inventing Eas­tern Europe“) sind seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zahlreiche Arbeiten erschienen, die aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln der Frage nachgehen, wie der Balkan im Westen wahrgenommen wurde. Den ambitioniertesten Beitrag zu dieser Debatte lieferte ohne Zweifel Maria Todorova mit ihrer 1997 veröffentlichten und zwei Jahre später auch in deutscher Sprache erschienenen Studie „Die Erfindung des Balkans. Europas bequemes Vorurteil“. Darin argumentiert sie, der westliche Balkandiskurs – sie nennt ihn „balkanism“ – weise seit dem 18. Jahrhundert deutlich pejorative Züge auf. Seine endgültige Gestalt habe das westliche Negativbild vom Balkan mit den Balkankriegen 1912/13 und dem Ersten Weltkrieg erhalten; daran habe sich, abgesehen von seiner diskursiven Verhärtung und Instrumentalisierung, bis heute nichts geändert. Dies habe die Berichterstattung anlässlich des Jugoslawien-Krieges der neunziger Jahre verdeutlicht, der von den Medien zu Unrecht als ein neuerlicher Balkankrieg dargestellt worden sei. Entsprechend handelt es sich beim westlichen Balkanbild, so Todorovas Fazit, um eine der hartnäckigsten kognitiven Schablonen des Westens, mit der stets eine Herabsetzung und eine Negativwahrnehmung der Balkanregion verbunden sei.

Todorovas Arbeit erfuhr breite Rezeption, stieß jedoch auch auf heftige Kritik. So argumentierte der Berliner Südosteuropa-Experte Holm Sundhaussen in der direkten Auseinandersetzung mit Todorova, dass von einer durchweg negativen westlichen Balkanwahrnehmung schon deshalb keine Rede sein könne, da das Interesse des Westens an der Region seit jeher zu gering gewesen sei. Ebensogut könne man, so Sundhaussen, bei ähnlich selektiver Quellenauslegung wie derjenigen Todorovas, eine „Europaphobie“ der Balkanstaaten konstruieren.

Angesichts der Intensität des Disputs zwischen Sundhaussen und Todorova – die Diskussion erstreckte sich über mehrere Ausgaben der Zeitschrift „Geschichte und Gesellschaft – ist es erstaunlich, dass sich von all dem kein Wort in einem Sammelband findet, der ausdrücklich vorgibt, sich mit der historischen Wahrnehmung Serbiens im Westen zu befassen. Auch im Vorwort der Herausgeberin Gabriella Schubert, die generell darauf verzichtet, das Thema im Kontext der bisherigen Forschungen zu verorten, sucht man vergeblich nach einem Hinweis auf die Debatte. Das ist ärgerlich, insbesondere da man dort stattdessen auf Floskeln wie die folgende stößt: „Letztlich ist die Annäherung zwischen Deutschen und Serben das Ziel aller Beiträge.“ Dagegen ist im Grunde natürlich nichts einzuwenden, wenngleich sich die Frage aufdrängt, ob ein wissenschaftlicher Sammelband dafür wirklich die richtige Plattform darstellt.

Die einzelnen Beiträge fallen schließlich – wie so häufig bei Sammelbänden – recht unterschiedlich aus. Dies zeigt sich bereits an ihrer äußeren Form. Einige sind mit ausführlichen Fußnoten versehen, andere hingegen verzichten gänzlich auf weiterführende Verweise. Zu den gelungenen Beiträgen zählt der Text des Belgrader Historikers Milan Ristović, der am Beispiel deutscher satirischer Zeitschriften wie „Simplicissimus“, „Kladderadatsch“ oder „Ulk“ überzeugend nachweist, dass in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg in der Tat ein dezidiert abwertendes Bild von den Serben als einem Volk von „Orientalen“ in der deutschen Presse kursierte. Daraus jedoch eine generell negative Einstellung Deutschlands gegenüber dem Balkanstaat abzuleiten, wäre verfehlt, zumal sich vergleichbare Darstellungen auch mit Blick auf andere Länder – beispielsweise Frankreich – finden, etwa in der vielgelesenen Wochenschrift „Die Gartenlaube“. Hinzu kommt, dass sich insbesondere die Redaktionen liberaler europäischer Zeitungen ein rasches Ende der osmanischen Vorherrschaft auf dem Balkan wünschten und dementsprechend die nationalen Unabhängigkeitsbewegungen der kleinen Balkanstaaten durchaus mit Wohlwollen verfolgten. Von all dem jedoch erfährt man in den Texten nichts; auf eine historische Kontextualisierung der Darstellungs- und Deutungsmuster wird durchweg verzichtet.

In der Summe liefert die Lektüre des Sammelbandes somit mehr Fragen als Antworten. Das muss natürlich nicht zwangsläufig negativ sein; gleichwohl hätten durch eine sorgfältigere Redaktion sowie eine angemessene Darstellung von historischen Zusammenhängen und des Forschungshintergrundes zumindest einige der offenen Fragen vermieden werden können.

Florian Keisinger, Berlin

Zitierweise: Florian Keisinger über: Gabriella Schubert (Hrsg.) Serbien in Europa. Leitbilder der Moderne in der Diskussion. Harrassowitz Verlag Wiesbaden 2008. = Forschungen zu Südosteuropa. Sprache – Literatur – Kultur, 3. ISBN: 978-3-447-05849-0, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Keisinger_Schubert_Serbien_in_Europa.html (Datum des Seitenbesuchs)

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