Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 2011, 1

Verfasst von: Florian Keisinger

 

Anton Holzer Das Lächeln der Henker. Der unbekannte Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914–1918. Mit zahlreichen bisher unveröffentlichten Fotografien. Darmstadt: Primus Verlag, 2008. 208 S., 114 Abb., 2 Ktn. ISBN: 978-3-89678-375-2.

Der Mythos vom Ersten Weltkrieg als einem weitgehend nach den Regeln des Völkerrechts geführten Krieg hat sich selbst in der Fachwissenschaft lange Zeit gehalten, zumal der Erste Weltkrieg fälschlicherweise meist in der Tradition des europäischen Krieges im langen 19. Jahr­hundert verortet wurde, zu dessen Kennzeichen unter anderem zählt, dass nationale Rhetorik und kriegerische Wirklichkeit häufig nicht übereinstimmten. Die Rousseausche Idee eines republikanischen Krieges, der keine Privatheit kennt und deshalb auch keine Nichtkombattanten, hatte in den nationalen Öffentlichkeiten Europas zwar Hochkonjunktur, doch die Realität der europäischen Kriege in dieser Zeit war eine andere. Sie zielten im Gegenteil darauf, kämpfende Truppen und Zivilbevölkerung zu separieren. Immer gelang dies zwar nicht, wie die zweite Hälfte des deutsch-französichen Krieges 1870/71 gezeigt hatte, verglichen jedoch mit dem 17. und 18. Jahrhundert nahmen sich die Jahre zwischen 1815 und 1914 geradezu friedlich aus. Dies galt jedoch nur für diejenigen Kriege, die im westlichen Europa ausgetragen wurden, nicht für die außereuropäischen und kolonialen Kriege. Eine europäische Ausnahme bildeten zudem die Kriege im östlichen und südöstlichen Europa. Der russisch-türkische Krieg 1828, ebenso wie der Krimkrieg 1854–1856 und die Kriege im Zuge der südosteuropäischen Nationswerdungen, die die Balkanvölker mit dem Osmanischen Reich und untereinander ausfochten, nahmen mit ihren außergewöhnlich hohen Opferzahlen nicht nur eine Sonderstellung in Europa ein, sondern bereits die Vernichtungskraft des Ersten Weltkrieges vorweg.

Um einen zentralen Aspekt dieser Vernichtungskraft des Ersten Weltkrieges geht es in dem neuen Buch des renommierten Wiener Fotohistorikers Anton Holzer, der sich darin speziell mit der Gewalt gegen die Zivilbevölkerungen beschäftigt. Dabei fällt auf, dass auch hier – wie später im Zweiten Weltkrieg – das Gros der Verbrechen an der Ostfront begangen wurde. Deutlich wird dies unter anderem an den zahllosen Grausamkeiten, die die österreichisch-ungarische Armee gegen Zivilisten in Serbien und der Ukraine verübte. So groß war die Furcht vor Verrätern, Kollaborateuren und feindlichen Frei­schärlern, dass die Soldaten des k.u.k. Heeres, die für einen Einsatz im Osten vorgesehen waren, in regelrechten Hinrichtungskursen grundlegend mit dem Handwerk des Henkers vertraut gemacht wurden. Auch zu diesem interessanten Detail liefern das Bildmaterial und die begleitenden Ausführungen Holzers wertvolle Informationen. Aufnahmen wie die eines in Ostgalizien gehängten Zivilisten, dessen Leichnam von Soldaten der Habsburgerarmee umringt wird, wurden vervielfältigt und als Fotopostkarten in Feldbuchhandlungen zum Verkauf angeboten. Zur besseren Verständlichkeit wurden rückseitig mitunter kurze Erklärungen mitgeliefert wie etwa der Hinweis auf die „Verdiente Strafe eines Verräters“ oder den „letzten Gang“ eines „abgeurteilten russischen Spions“. Nicht selten, auch hierüber geben die Bilder erschreckenden Aufschluss, waren es Frauen und sogar Kinder, die dem Vorwurf der Spionage ausgesetzt wurden und dies mit ihrem Leben bezahlten.

Mit seinem Buch gelingt es Holzer, einen neuen, von der Forschung bislang vernachlässigten Blickwinkel auf den Ersten Weltkrieg zu eröffnen. War es bisher die Westfront mit ihren Schützengräben, Materialschlachten und zerfurchten Landschaften, die unser Bild von diesem Krieg prägte, kommt nun dank Holzer eine weitere, nicht weniger aufschlussreiche Perspektive hinzu. Sie wird dazu beitragen, das hartnäckig sich haltende Image vom Ersten Weltkrieg als einem ‚anständigen‘, die Zivilbevölkerungen schonenden Krieg nachhaltig zu korrigieren. Wenn es an der Arbeit etwas zu kritisieren gibt, dann allenfalls die Wahl ihres Titels. Denn ‚lächelnde Henker‘ sind auf keinem der Bilder zu sehen, sieht man einmal von der Aufnahme mit dem Leichnam Cesare Battistis ab. Sie diente jedoch wegen der Bekanntheit Battistis österreichischen Propagandazwecken und wurde speziell dafür gestellt, worauf bereits Karl Kraus in seiner Weltkriegstragödie „Die letzten Tagen der Menschheit“ hinwies, als er beim Anblick des toten Battisti schrieb: „Nach dem Henker mußte noch der Photograph heran.“ Die Frage, die Holzers Buch freilich nicht beantwortet, ist die nach dem Warum. Warum kam es während des Ersten Weltkrieges insbesondere im Osten zu unzähligen Gewaltexzessen gegen die Zivilbevölkerungen, obwohl dies im Widerspruch zu einer Praxis des Krieges stand, die sich in Europa im Verlauf des 19. Jahrhunderts weitgehend durchgesetzt zu haben schien und auf die man zurecht stolz war? Um hierauf umfassende Antworten geben zu können, ist noch viel Forschungsarbeit nötig. Holzer hat mit seiner Studie einen wichtigen ersten Schritt in diese Richtung unternommen.

Florian Keisinger, Berlin

Zitierweise: Florian Keisinger über: Anton Holzer Das Lächeln der Henker. Der unbekannte Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914–1918. Mit zahlreichen bisher unveröffentlichten Fotografien. Primus Verlag Darmstadt 2008. ISBN: 978-3-89678-375-2, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Keisinger_Holzer_Das_Laecheln_der_Henker.html (Datum des Seitenbesuchs)

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