Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 8 (2018), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Gleb Kazakov

 

D. V. Lisejcev / N. M. Rogožin / Ju. M. Ėskin: Prikazy Moskovskogo gosudarstva XVI–XVII vv. Slovar-spravočnik. Moskva: IRI RAN, 2015. 302 S. = Historia Russica. ISBN: 978-5-8055-0279-9.

Ein Lexikon-Handbuch mit der Übersicht der prikazy (Zentralämter des Moskauer Reiches in der Epoche vom 16. bis 17. Jahrhundert), herausgegeben von den führenden russischen Spezialisten der Geschichte des Moskauer Staatsapparats, ist sicherlich ein wertvolles Hilfsmittel für Russlandforscher. Jeder, der sich mit der russischen Frühen Neuzeit beschäftigt, kommt früher oder später in Berührung mit den zahlreichen Dokumenten der prikazy. Die bis heute erhaltene Dokumentation der Zentralämter enthält, laut den Worten der Herausgeber, „den Löwenanteil der Information zur Geschichte des Russischen Staates der Moskauer Epoche“ (S. 7), und an dieser Aussage lässt sich nicht zweifeln. Desto verwunderlicher ist die Tatsache, dass es bisher keine umfassende Übersichtsdarstellung der Zentralämter in Form eines Lexikons gab. Am nächsten kam diesem Ziel das 1946 erschienene Werk von S. K. Bogojavlenskij Prikaznye sud’i XVII veka. Die Herausgeber des rezensierten Handbuchs unterstreichen die Kontinuität, die ihr Band zu Bogojavlenskijs Werk aufweist, heben jedoch hervor, dass es ihnen gelungen sei, eine neuere und umfassende Übersicht aller bisher in den Quellen entdeckten prikazy und ihrer Leiter zusammenzustellen.

Das Buch eröffnet eine Einführung zur Evolution des Systems der prikazy im Moskauer Staat in der Zeit vom 16. bis 17. Jahrhundert. Auf 20 Seiten werden verschiedene Theorien über den Ursprung der Zentralämter vorgestellt, wobei die Autoren zur Ergebnis kommen, dass die prikazy am wahrscheinlichsten aus Organen zur Verwaltung des Privatbesitzes der Moskauer Großfürsten (dvorec und kazna) an der Schwelle vom 15. zum 16. Jahrhundert entstanden (S. 12). Im Laufe der Regierungszeit von Ivan IV., etwa in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, bekamen die neuen Strukturen ihre klassische Form als staatliche Behörden und Verwaltungsinstanzen. Die Einführung geht auch auf die Frage der Ausdehnung des Verwaltungsapparats im 17. Jahrhundert ein und resümiert, dass die Anzahl der gleichzeitig funktionierenden Ämter (einschließlich aller semi-abhängigen und vorübergehenden Abteilungen und Kommissionen) selbst am Ende des Jahrhunderts nicht größer als 50 war (S. 19).

Der Hauptteil des Lexikon-Handbuchs besteht aus alphabetisch angeordneten Beiträgen über die Zentralämter. Jeder beginnt mit einer kurzen Übersicht über die Geschichte des jeweiligen Amts; danach folgt eine chronologische Liste der Amtsleiter und ihrer Mitarbeiter. Zu jedem Beitrag gehört auch ein knapper Überblick der einschlägigen Forschungsliteratur. Am Ende des Buches befindet sich noch eine umfangreiche Bibliographie (S. 243–254) zur Geschichte des Verwaltungsapparats im Moskauer Staat. Selbstverständlich ist auch ein Namensindex vorhanden, was die Suche nach einzelnen Beamten und deren Dienstkarrieren sehr erleichtert. Im Index finden sich allerdings keine Seitenverweise, sondern nur Angaben über die Ämter, in denen die Person tätig war sowie die Jahre der Tätigkeit. Die Zusammenstellung der Informationen über die Dienstkarrieren der Moskauer Beamten wird für die weiteren biographischen Forschungen zur Geschichte der russischen Vormoderne zweifellos hilfreich sein.

Trotz der offensichtlichen Nützlichkeit des Handbuchs für die künftige Forschung sind einige kritische Bemerkungen anzubringen. Der erste Kritikpunkt betrifft den Umfang. Angesichts der großen Bedeutung der Zentralämter für die Geschichte Russlands in der Frühen Neuzeit und der Menge an Forschungsliteratur ist das Handbuch ziemlich schmal geraten. Zusammen mit der Einführung und dem Index kommt es auf knappe 300 Seiten. Infolgedessen sind die Beiträge zu den einzelnen Ämtern extrem kurz. So nimmt z.B. die Information über das Strelitzenamt (Streleckij prikaz) nur eine halbe Seite (S. 178) ein. Zwar wird im Titel des Beitrags erwähnt, dass dieses Amt auch einen zweiten Namen trug – Amt der Hofinfanterie (Prikaz nadvornoj pechoty) –, jedoch erfährt die ganze Geschichte der eiligen Umbenennung (während des Aufstands der Strelitzen 1682) keine Erwähnung. Ebenso wird nirgendwo erwähnt, dass das Strelitzenamt für die Brandbekämpfung verantwortlich war, oder dass das Archiv des Amts selbst im 18. Jahrhundert einem Brand zum Opfer fiel, weswegen wir heute über viele äußerst interessante Dokumente nicht mehr verfügen. Nicht besser sieht es mit anderen Ämtern aus; das berühmte Außenamt (Posol’skij prikaz) wird auf einer Seite abgehandelt (S. 132–133). Natürlich kann der Leser den Verweisen auf die Forschungsliteratur folgen, jedoch wären etwas vertieftere Überblicke sicherlich von Gewinn gewesen.

Die zweite Kritik betrifft ein in der russischsprachigen Forschungsliteratur leider ziemlich häufiges Phänomen. In der ausführlichen Bibliographie am Ende des Handbuchs finden nur zwei fremdsprachige Werke Erwähnung: die zweibändige Monographie von Marshall Poe von 2004 und ein Artikel von Peter B. Brown von 1983. Unberücksichtigt bleiben ein viel aktuellerer, umfangreicher Aufsatz von Brown in Russian History von 2009 sowie die Forschungen von Robert O. Crummey über die Moskauer Elite.

Insgesamt ist das Lexikon-Handbuch als übersichtliche Darstellung der Moskauer Zentralämter und ihres Personals von hohem Wert für alle, die sich mit der Geschichte des frühmodernen russischen Staates befassen, und verdient sicherlich einen Platz im Bücherregal jedes Historikers und jeder Historikerin. Wegen der genanten Defizite wird jedoch das Buch dieses Regal seltener verlassen, als man es idealerweise wünschen würde.

Gleb Kazakov, Freiburg i. Br.

Zitierweise: Gleb Kazakov über: D. V. Lisejcev / N. M. Rogožin / Ju. M. Ėskin: Prikazy Moskovskogo gosudarstva XVI–XVII vv.. Slovar’-spravočnik. Moskva: IRI RAN, 2015. 302 S. = Historia Russica. ISBN: 978-5-8055-0279-9, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Kazakov_Lisejcev_Prikazy_Moskovskogo_gosudarstva.html (Datum des Seitenbesuchs)

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