Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 2 (2012), 3 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Edgar Hösch

 

Boris L. Fonkič: Greko-slavjanskie školy v Moskve v XVII veke. [Die griechisch-slavischen Schulen in Moskau im 17. Jh.]. Moskva: Jazyki slavjanskich kul’tur, 2009. 296 S., Abb. = Rossija i Christianskij Vostok. Biblioteka, 7. ISBN: 978-5-9551-0298-6.

Zur Einrichtung dauerhafter Lehranstalten, in denen die für ein ernsthaftes Theologiestudium notwendigen griechischen Sprachkenntnisse und die Grundlagen einer höheren Bildung vermittelt wurden, bedurfte es im Russland des 17. Jahrhunderts mehrerer Anläufe. In der Moskauer Kirchenführung regte sich ein erheblicher Widerstand gegen den freien Umgang mit kirchlichen und weltlichen Lehrinhalten. Der Patriarch und der Zarenhof mussten mehrfach durch Sendschreiben des Ökumenischen Patriarchats bzw. des Patriarchen Dositheos von Jerusalem und durch die Intervention hochrangiger Besucher (u. a. 1666 durch die Patriarchen Paisios von Alexandrien und Makarios von Antiochien) zu Schulgründungen gedrängt werden. Die orthodoxen Kirchenvertreter unter osmanischer Oberherrschaft waren im eigenen Interesse und aus ökumenischer Verantwortung an der Ausbildung gelehrter Theologen interessiert, die sowohl dem Zugriff der islamischen Behörden wie den Einwirkungen häretischer, d. i. lateinischer oder reformatorischer Lehrmeinungen entzogen waren.

Die spärlichen Nachrichten zu den frühen und häufig nur kurzzeitigen Unternehmungen, die von sprachkundigen Mönchen oder eher zufällig verfügbaren Migranten aus dem griechischen Sprachraum betrieben wurden, lassen noch keine verlässlichen Aussagen über den jeweiligen Studienbetrieb, das Lehrangebot und die Entwicklung der Schülerzahlen zu. Dass aus einer systematischen Aufarbeitung der verfügbaren russischen und griechischsprachigen Quellen noch weitere Erkenntnisfortschritte zu erwarten sind, belegt sehr eindrucksvoll die Studie des Verfassers. Sie versucht, die Detailergebnisse einer 25-jährigen Forschungsarbeit zu einem neuen Gesamtbild zusammenzufügen. Boris L. Fonkič zählt heute zu den wohl besten Kennern der griechischsprachigen handschriftlichen Überlieferung in Russland. Seine souveräne Fachkompetenz zeigt sich in der akribischen Untersuchung des einschlägigen Quellenmaterials und in den beigefügten instruktiven Exkursen zu den paläographischen und kodikologischen Sachverhalten. Den interessierten Leser erwartet nicht nur eine eingehende Diskussion des Forschungsstandes zu den einzelnen Schulgründungsversuchen. Ihm wird auch immer wieder die Möglichkeit geboten, die Aussagen an den Originaltexten (Neuedition u. a. auch der griechischen Texte mit beigegebener russischer Übersetzung) zu überprüfen. Besonders anschauliche Belege der peniblen Quellenarbeit des Verfassers sind die 40 Faksimile-Drucke im Anhang. Die Präzisierungen zu kontroversen Forschungsfragen betreffen u. a. die Bemühungen der Bewohner in der Bronnaja Sloboda um eine Schulgründung und die Mitwirkung Simeon Polockijs an dem Unternehmen (S. 6585). Zur Tätigkeit der Schule des Hieromonachen Timofej am Druckereihof werden bislang unbekannte Informationen den Rechnungsbüchern der Patriarchatskanzlei entnommen (S. 101–173 mit Dokumentenanhang S. 174–187) und zur Entstehungsgeschichte des 1682 dem Zaren Fedor Alekseevič vorgelegten Akademie-Projektes („Akademičeskaja privilegija“) werden weitere Gesichtspunkte zusammengetragen. Als Autor der endgültigen Textfassung identifiziert der Verfasser Sil’vestr Medvedev, der sich aber auf Vorarbeiten und Vorlagen seines Lehrers Simeon Polockij stützen konnte (S. 190–231). Gewöhnungsbedürftig ist das etwas weitschweifige Argumentationsverfahren des Verfassers. Nicht bei allen Schlussfolgerungen wird man ihm folgen wollen, zumal er zur Überbrückung der lückenhaften Quellenüberlieferungen seine Ausführungen mit Vermutungen befrachtet und sich auf Analogieschlüsse verlässt, die er aus den besser belegten westrussischen Schulversuchen hergeleitet. Bedauerlich ist es aus der Sicht der deutschen Osteuropaforschung, dass der Verfasser die sachkundigen Argumente, die in den beiden Dissertationen von Ekkehard Kraft (Moskaus griechisches Jahrhundert. Stuttgart 1995) und Wolfram von Scheliha (Russland und die orthodoxe Universalkirche in der Patriarchatsperiode 1589–1721. Wiesbaden 2004) zu finden sind, leider nicht zur Kenntnis genommen hat.

Edgar Hösch, Würzburg

Zitierweise: Edgar Hösch über: Boris L. Fonkič: Greko-slavjanskie školy v Moskve v XVII veke. [Die griechisch-slavischen Schulen in Moskau im 17. Jh.]. Moskva: Jazyki slavjanskich kul’tur, 2009. 296 S., Abb. = Rossija i Christianskij Vostok. Biblioteka, 7. ISBN: 978-5-9551-0298-6, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Hoesch_Fonkic_Greko-slavjanskie_skoly_v_Moskve.html (Datum des Seitenbesuchs)

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