Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 4 (2014), 3 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Andreas Hilger

 

Georg Kastner: Ungarn 1956 vor der UNO. Innsbruck, Wien, Bozen: StudienVerlag, 2010. 349 S. ISBN: 978-3-7065-4966-0.

Die Doppelkrise von Suez und Ungarn 1956 hat seit langem und mit gutem Recht das besondere Interesse der Forschung gefunden. Hier verknüpften sich deutlich Konfliktlinien der relevanten Nachkriegsprozesse von Kaltem Krieg und Dekolonisierung. Die Aktivitäten und Maßnahmen der UN mussten zeigen, inwieweit die Institution willens und in der Lage war, angesichts der globalen Entwicklungen Alternativen zu den gerade etablierten Reaktions- und Handlungsmustern der Blockkonfrontation zu entwickeln. Dieser Herausforderung konnte sich die UN vor allem im Zuge der Suezkrise stellen. In Ungarn gab der Kalte Krieg dagegen die Fronten eindeutiger vor und engte damit den Handlungsspielraum der Weltorganisation weitaus mehr ein. Hier konnten die Vereinten Nationen vor allem versuchen, außerhalb der eigentlichen Konfliktlösung eigene Akzente zu setzen. Kastner zufolge ist dies der Institution durchaus gelungen: In seinen Augen bot die UN eine politische Plattform für eine internationale Diskussion der ungarischen Frage, bei der einzelne Beiträge zumindest im Ansatz über das Nullsummenspiel des Kalten Kriegs hinausgehen konnten. Darüber hinaus leistete die UN die dringend notwendig humanitäre Hilfe, und die Berichte der Sonderkommission stellten einen eigenen Beitrag zur historischen Aufarbeitung der Ereignisse dar (S. 275–276, 280).

In diesem Fazit bleibt jedoch die entscheidende Frage, inwieweit die UN in ihrer Ungarnpolitik überhaupt eigenständiger Akteur war, offen. Im Grunde beschränkt sich Kastner darauf, anhand der Sitzungsprotokolle und Verlautbarungen die Debatten der UN-Gremien über die Ereignisse in Ungarn nachzuerzählen. Eine Analyse der entsprechenden UN-Politik von USA und UdSSR mitsamt ihrer Verbündeten wird nicht unternommen. Auch die Position von UN-Generalsekretariat undGeneralsekretär bleibt blass. Das liegt natürlich auch an der dürren Quellenbasis. Insgesamt stützt sich die ganze Monographie auf einschlägige Akten des UN-Archivs, die der Autor innerhalb einer Woche in New York fotokopieren konnte, sowie auf einige Internet-Dokumentationen (S. 9, 329–331). Dazu kommen Nebenüberlieferungen aus dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der ehemaligen DDR und Materialien zur Berichterstattung des CIA zu Ungarn; der Nachlass Hammarskjölds wurde nicht ausgewertet. (S. 18) Auf dieser Basis ist das zu Beginn der Studie formulierte Ziel,zu zeigen, inwieweit Ungarn 1956 für die Vereinten Nationen tatsächlich interessant war, und ob es echte Anstrengungen gegeben hat, die über das standardisierte Busines as usual hinausgingen, kaum zu erreichen (S. 18). Dabei sind beispielsweise Ausführungen über den Informationsstand der Administration der Vereinten Nationen durchaus von Interesse, da sie im Abgleich mit den Kenntnissen in Washington oder Ost-Berlin ein wichtiges Moment der Entscheidungsfindungen und Argumentationsgrundlagen in Ost und West in einer heißen Phase des Kalten Kriegs beleuchten (S. 81–82, 89–90, 140–141). Im Ganzen ist dies aber zu wenig, um das ThemaUngarn 1956 vor der UNOangemessen abzuhandeln.

Andreas Hilger, Hamburg

Zitierweise: Andreas Hilger über: Georg Kastner: Ungarn 1956 vor der UNO. Innsbruck, Wien, Bozen: StudienVerlag, 2010. 349 S. ISBN: 978-3-7065-4966-0, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Hilger_Kastner_Ungarn_1956_vor_der_UNO.html (Datum des Seitenbesuchs)

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