Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 4 (2014), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Jörg Hackmann

 

Norden und Nördlichkeit. Darstellungen vom Eigenen und Fremden. Hrsg. von Dennis Hormuth und Maike Schmidt. Frankfurt a.M. [usw.]: Lang, 2010. 219 S., Abb., Graph. = Imaginatio borealis. Bilder des Nordens, 21. ISBN: 978-3-631-59813-9.

Inhaltsverzeichnis:

http://d-nb.info/1004069138/04

 

Mit dem vorliegenden Band endet das Kieler Graduiertenkolleg „Imaginatio Borealis“, in dessen Zentrum Bilder vom Norden Europas und Konstruktionen von Nördlichkeit sowie damit verbundene Identitätsvorstellungen standen. Ähnlich und womöglich stärker noch als in der Dichotomie von Ost und West zeigt sich für den Norden, dass dieser sich erst durch den Gegensatz zu dem europäischen Süden konstituiert, und folglich durchzieht dieses Problem mehrere Beiträge dieses Sammelbandes. Zugleich lässt der Band aber auch das Bemühen erkennen, den Norden im historisch vormodernen und geographischen Sinn weiter zu fassen als die gegenwärtig dominierenden Norden-Konzepte und auch den europäischen Nordosten bzw. russischen Nordwesten einzubeziehen.

Die Beiträge des Bandes lassen sich grob in drei Themenfelder gruppieren: in vormoderne Bilder und Konzeptionen desNordens, denNordenin verschiedenen literarischen Textgattungen sowieNordenals Problem nationalsozialistischer Ideologie. Dass sich die Logik dieser Zusammenstellung dem Leser nicht unmittelbar erschließt, sei hier außer Acht gelassen. Stattdessen sollen hier nur die historischen Beiträge betrachtet werden.

Ludwig Steindorff skizziert Norden-Diskurse in Altrussland anhand der „Povest’ vremennych let“ und von Heiligenviten und hält fest, dass „Norden“ dort als eigen im Gegensatz zum Osten und Süden gesehen wurde. In seiner knappen Skizze zu Sigismund von Herberstein plädiert Andreas Fülberth für eine Revision der Forschung mit dem allerdings wenig überraschenden Argument, dass die geschichtswissenschaftliche Trennung in den Norden und Osten Europas dem Autor nicht gerecht wird.

Zwei Beiträge befassen sich schwerpunktmäßig mit Olaus Magnus: Maike Sach untersucht in einer guten Bestandsaufnahme die Darstellung von Russen auf derCarta Marina“ und in der „Historia de gentibus septentrionalis“. Sie stellt einerseits fest, dass die Russen dort zu den Nordländern zählen und breiten Raum einnehmen. Zugleich werden jedoch die kulturellen und konfessionellen Differenzen als weitaus größer als zwischen den übrigen Nordeuropäern dargestellt und die Russen ebenso wie der Moskauer Großfürst eindeutig als Fremde markiert. Komplementär dazu untersucht Birthe Möller die Darstellung der schwedischenEigenart, die sie nach dem Konzept deranderen Antike(Lars-O. Larsson) beschreibt.

Dennis Hormuth beleuchtet die mentale Landkarte in der Chronik des estländischen Landrats Otto Fabian von Wrangell im Übergang Livlands von der schwedischen zur russischen Herrschaft. Hormuth arbeitet drei Ebenen der Selbstverortung heraus, von denen die des Nordens im Gegensatz zu der regionalen livländischen und der russländischen den Vorteil einer größeren Ambiguität hatte und damit die Option eröffnete, sich an das sich verändernde mächtepolitische Umfeld im Großen Nordischen Krieg geschmeidiger anzupassen. Kritisch anzumerken zu Hormuths Beitrag ist, dass er zu komprimiert ist und eigentlich die Kenntnis seiner Dissertation voraussetzt.

Von den weiteren Beiträgen konzentrieren sich die Skizze von Maike Schmidt zu Karl Ludwig Gieseckes grönländischem Reisejournal und der Aufsatz von Nina Hinrichs über dasNordischein der nationalsozialistischen Landschaftsmalerei auf die Konstruktion dererhabenennördlichen Natur im Gegensatz zu den traditionellen ästhetischen Wahrnehmungen des europäischen Südens. Zudem thematisiert Steffen Werther die nationalsozialistische Ideologie in Süddänemark bzw. Nordschleswig im Spannungsfeld zwischen Himmlers großgermanischen Ideen und den Positionen innerhalb der deutschen Minderheit, die ihre Deutschtumsorientierung nicht aufgeben wollte.

Das Gesamturteil über diesen Band fällt, vorsichtig ausgedrückt, gemischt aus. Auf der einen Seite gibt es durchaus interessante Einsichten in die vormodernen Norden-Diskurse, auf der anderen Seite fehlt aber jeder Versuch, die Befunde in einen thematischen und konzeptionellen Zusammenhang zu stellen, der über Hans Lembergs Studie von 1985 zum Wandel der Verortung Russlands oder Larry WolffsInventing Eastern Europe“ hinausweisen würden. Denkbar wäre es etwa gewesen, die Prägung durch die naturräumliche Umwelt stärker zu fokussieren. So stellt sich der Eindruck ein, dass der Band vor allem das hervorhebt, was eigentlich schon längst bekannt ist. Auf jeden Versuch einer Bündelung der Problemstellungen und der einzelnen Ergebnisse des Graduiertenkollegs wurde hier leider verzichtet; stattdessen schließt der Band mit einem Verzeichnis der beteiligten Projekte. Wenn sich eher der Eindruck einer Buchbindersynthese aufdrängt, so liegt dies nicht zuletzt auch daran, dass dem Band stärkere redaktionelle Eingriffe gut getan hätten.

Jörg Hackmann, Szczecin/Stettin

Zitierweise: Jörg Hackmann über: Norden und Nördlichkeit. Darstellungen vom Eigenen und Fremden. Hrsg. von Dennis Hormuth und Maike Schmidt. Frankfurt a.M. [usw.]: Lang, 2010. 219 S., Abb., Graph. = Imaginatio borealis. Bilder des Nordens, 21. ISBN: 978-3-631-59813-9, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Hackmann_Hormuth_Norden_und_Noerdlichkeit.html (Datum des Seitenbesuchs)

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