Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 2 (2012), 3 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Maximilian Graf

 

Friederike Baer: Zwischen Anlehnung und Abgrenzung. Die Jugoslawienpolitik der DDR 1946 bis 1968. Köln [etc.]: Böhlau, 2009. 327 S. = Dresdner Historische Studien, 11. ISBN: 978-3-412-20387-0.

Der Politik der beiden deutschen Staaten gegenüber Jugoslawien ist seit dem Epochenjahr 1989 nicht zuletzt aufgrund der Öffnung der ehemals ostdeutschen Archive eine verstärkte wissenschaftliche Aufmerksamkeit zuteil geworden. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass Jugoslawien zu einem prominenten Schlachtfeld des diplomatischen Kalten Krieges zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland geworden war. Im Jahr 1957 kam die 1955 formulierte Bonner Hallstein-Doktrin nach der Anerkennung der DDR durch Belgrad erstmals zur Anwendung. Die Bundesrepublik Deutschland brach ihre diplomatischen Beziehungen zu Jugoslawien ab. Als 1968 die Wiederaufnahme der Beziehungen erfolgte, war auch das Ende der Hallstein-Doktrin gekommen.

Friederike Baer hat nun eine auf solider Quellenbasis stehende, jedoch wenig innovative Analyse der Jugoslawienpolitik der SED/DDR von 1946 bis zum Jahr 1968 vorgelegt. Diese stützt sich vor allem auf relevante Bestände derStiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR“ sowie auf die Überlieferung des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten der DDR. Die einzelnen Abschnitte werden jeweils durch Ausführungen zur Innen-, Außen- und Wirtschaftspolitik der DDR und Jugoslawiens ausführlich kontextualisiert. Im Falle der DDR geschieht dies halbwegs auf Höhe des aktuellen Forschungsstands, zu Jugoslawien greift Baer vielfach auf zeitgenössische Analysen und Memoirenliteratur zurück. Über den engen Kontext der ostdeutschen außenpolitischen Ziele blickt die Autorin kaum hinaus, weshalb sie auf Grundlage der ostdeutschen Akten zu teilweise wenig überzeugenden Schlussfolgerungen kommt.

Es mag dem Entstehungszeitraum ihrer 2009 erschienenen Dissertationsschrift geschuldet sein, dass die 2007 abgeschlossene und bereits 2008 erschienene Arbeit von Marc Christian Theurer zum Dreiecksverhältnis BonnBelgradOst-Berlin im Zeitraum 1957 bis 1968 keine Berücksichtigung in dem vorliegenden Werk gefunden hat. Jedoch macht ein detaillierter Blick in Bibliographie und Fußnoten deutlich, dass eine Reihe rezenter themenrelevanter deutsch- und englischsprachiger Studien (u. a. zur DDR-Außenpolitik, zur Hallstein-Doktrin sowie die internationale Historiographie zum Kalten Krieg) gänzlich unbeachtet geblieben ist.

Ein Grundproblem der Erforschung des Verhältnisses beider deutscher Staaten zu Jugoslawien bleibt das Fehlen von Studien, die auch Akten jugoslawischer Provenienz heranziehen. So muss weiterhin über die Hinter- und Beweggründe für Entscheidungen Titos gemutmaßt werden. Es bleibt ein gehöriges Maß an Ungewissheit, das insbesondere die Bewertung derErfolge‘ der Jugoslawienpolitik beider deutscher Staaten erschwert.

SED und KPJ nahmen 1946 Parteikontakte auf, die zunächst im ideologischen Gleichklang verlaufen sollten. Mit dem Bruch zwischen Tito und Stalin 1948 fanden die im Keimstadium befindlichen Parteibeziehungen ein abruptes Ende. Die SED folgte strikt der Moskauer Linie.

Nach der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 wurde diese zunächst nur von der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten anerkannt. Zu Jugoslawien wurden keine Beziehungen aufgenommen. Dahingegen nahm die Bundesrepublik Deutschland Ende 1951 diplomatische Beziehungen zu Belgrad auf. In Ost-Berlin setzte man auf Abgrenzung. Zur ersten vorsichtigen Wiederannäherung der DDR an Tito kam es nach dem Tod Stalins 1953 und ersten versöhnlicheren Tönen aus dem Kreml. Zunächst wurde vor allem die Wiederaufnahme der Wirtschaftsbeziehungen angestrebt und betrieben. Jedoch war man sich in der DDR trotz aller ideologischen Vorbehalte gegen den jugoslawischen Weg bereits 1954 bewusst, welch große Bedeutung Jugoslawien bei der Überwindung des Alleinvertretungsanspruchs der Bundesrepublik zukommen könnte.

Infolge der Niederschlagung des ungarischen Aufstands 1956 und der damit einhergehenden erneuten Belastungen im sowjetisch-jugoslawischen Verhältnis dauerte es bis zum Herbst 1957, bis sich Tito auf Drängen Moskaus, gepaart mit wirtschaftlichem Druck aus Ost-Berlin, dazu bereitfand, die DDR anzuerkennen. Von Bonn wurde diese Entscheidung mit dem Abbruch der Beziehungen quittiert. Dies konnte zwar als Triumph über die Bundesrepublik gefeiert werden, brachte die DDR in ihren weltweiten Anerkennungsbestrebungen aber nicht voran. Auch die ostdeutsch-jugoslawischen Beziehungen sollten sich zunächst wenig dynamisch entwickeln, ganz zu schweigen von den fortgesetztenideologischen Differenzen‘ zwischen dem von Moskau geführten sozialistischen Lager und Jugoslawien. Erst nachdem Chruschtschow 1962 erneut einen Schritt auf Tito zugegangen war, gab es mehr Spielraum für die Entwicklung der Beziehungen.

Das Dilemma zwischen Realpolitik und Ideologie blieb für die SED aber kontinuierlich bestehen und hatte auch eine innenpolitische Komponente, da man die eigenständigen Auffassungen und Konzepte Titos von der DDR fernhalten wollte. In der ersten Hälfte der 1960er Jahre kam es zunächst zu einer Ausweitung der Wirtschaftsbeziehungen. Ab Mitte der 1960er Jahren erfuhren die Beziehungen zwischen der SED und dem Bund der Kommunisten Jugoslawiens eine neue Belebung. Die in den Jahren 1964/65 durchgeführten gegenseitigen Staatsbesuche von Tito und Walter Ulbricht wurden von der DDR propagandistisch genutzt und von außen als sichtbare Zeichen einer neuen Qualität der Beziehungen wahrgenommen. Tatsächlich aber, so ein zentrales Urteil der Autorin, dominierten die Divergenzen. Trotzdem hatte sich in der DDR-Außenpolitikwie in vielen anderen Fällendas realpolitische Interesse gegenüber den Befindlichkeiten auf der Parteiebene durchgesetzt. (Man denke nur an die spanischeBruderparteiund die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Franco-Spanien 1973.) Gute staatliche Beziehungen zu Jugoslawien dienten der Deutschlandpolitik der DDR und waren vor allem mit der Hoffnung auf Anerkennung durch nichtpaktgebundene Staaten verbunden. Die Darstellung der Probleme und Konzepte der DDR-Jugoslawienpolitik in einer Langzeitperspektive gehört zu dem wenig Neuen, das diese Arbeit zu bieten hat. Bei alledem übersieht Baer jedoch die bereits von anderen Autoren dargelegte Bedeutung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Jugoslawien, die maßgeblichen Einfluss auf Erfolge und Rückschläge der ostdeutschen Politik hatten.

Die Wiederaufnahme der Beziehungen zwischen Bonn und Belgrad im Januar 1968 wertet die Autorin abschließend alsTriumph der Beharrlichkeitfür die DDR, ein Urteil, das zumindest in Frage zu stellen ist. Intern wurde das Vorpreschen Jugoslawiens keineswegs gefeiert. Zwar konnte man das Ereignis propagandistisch als das Ende der Hallstein-Doktrin ausschlachten, die durch diese erneute Ausnahme von der Regel tatsächlich kaum noch als Maxime der Bonner Außenpolitik gesehen werden konnte, der durchschlagende Erfolg in den Anerkennungsbestrebungen der DDR blieb aber aus. Die erneuten diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Jugoslawien waren vielmehr das Ergebnis der verändertenOstpolitikder westdeutschen Großen Koalition. Die weltweite Anerkennung der DDR erfolgte (von wenigen Ausnahmen abgesehen) erst nach der Unterzeichnung des deutsch-deutschen Grundlagenvertrags am 21. Dezember 1972, der im Gefolge derneuen Ostpolitikder sozialliberalen Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt möglich geworden war.

Abschließend sei angemerkt, dass die sporadische Übernahme problematischer Begriffe aus dem Quellenmaterial (z. B.Konterrevolution) ohne Anführungszeichen einer wissenschaftlichen Publikation unwürdig ist.

Maximilian Graf, Wien

Zitierweise: Maximilian Graf über: Friederike Baer: Zwischen Anlehnung und Abgrenzung. Die Jugoslawienpolitik der DDR 1946 bis 1968. Köln [etc.]: Böhlau, 2009. 327 S. = Dresdner Historische Studien, 11. ISBN: 978-3-412-20387-0, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Graf_Baer_Zwischen_Anlehnung.html (Datum des Seitenbesuchs)

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