Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 8 (2018), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Frank Golczewski

 

David Guttmann: Homecoming. Jewish life and suffering in Hungary and on the ‚Exodus‘ to Palestine back via Hamburg and Bergen-Belsen to Eretz Israel 1944–1948. Ed. by Erhard Roy Wiehn. Konstanz: Hartung-Gorre, 2015. 138 S., Abb. = Edition Shoáh & Judaica – Jewish Studies. ISBN: 978-3-86628-534-7.

Zeitzeugenberichte Überlebender sind zentrale Quellen, um aus der Perspektive der Opfer die Shoa halbwegs erfassen zu können – das ganze Grauen vermag aber bis auf wenige Ausnahmen (wie etwa Edgar Hilsenrath in dem Roman Nacht) kaum jemand in Sätze zu gießen, die auch nur ansatzweise die Traumata vermitteln, welche die Leidtragenden durchzustehen hatten. Dies ist auch in diesem Erinnerungsband nicht anders, dessen Verfasser 12 Jahre alt war, als das auch bis dahin schon eingeschränkte Leben seiner religiös-jüdischen Familie in Budapest 1944 durch Ghettoisierung und alltäglichen Mord zu einem Alptraum wurde. Für Kinder war dies möglicherweise leichter zu ertragen als für Erwachsene (so wie etwa Roman Polański in seinen Erinnerungen das Krakauer Ghetto fast als einen Abenteuerspielplatz erscheinen lässt). Wenn man aber genauer liest, dann erkennt man die Doppelbödigkeit – wenn der Verfasser beschreibt, wie er mit seiner kleinen Schwester aus dem vom Schweizer Roten Kreuz „geschützten“ Kinderhaus zurück in das Ghetto flieht (eigentlich ein Wahnsinn) und später erfährt, dass alle Kinder im Kinderhaus von den Pfeilkreuzlern umgebracht worden sind. Der Leser muss dazu eine kleingedruckte Fußnote wahrnehmen (S. 49).

Ihre Bedeutung haben aber diese Memoiren durch die den Hauptteil des Bändchens ausmachenden Erinnerungen an die Zeit nach der Befreiung – als die Überlebenden, nun zu Zionisten geworden, einen Transport durchmachen, der sie über eine zionistische Sammelstelle in Budapest, über Wien und Leipheim zunächst nach Bayrisch Gmain führt, wo sie erst einmal wegen des britischen Einwanderungsstopps ein Jahr lang festsitzen. Von hier an wird der Text historisch wertvoll, schildert er doch authentisch die Praktiken beim Grenzübertritt, die Versorgung dieser spezifischen DPs, die Vorbereitung auf Palästina, aber auch die Gedanken, die den Protagonisten dabei kamen – schließlich waren sie im Lande ihrer Mörder (Davids Vater kam in den ungarischen Baubataillonen um). Der „Luxus“ eines richtigen Betts im requirierten Hotel, das Essen, Wanderungen in den Bergen und Kontakte zu den Einheimischen, die Aufführung von „Dornröschen“ werden zu Elementen einer positiven Lebensbeschreibung, die jäh endet. Was als positiv empfundene Dampferfahrt nach Palästina beginnt, wird zur Odyssee der „Exodus 1947“, einer „Umladung“ von dort auf ein britisches Transportschiff, das die Shoa-Überlebenden über Marseille nach Hamburg zurückbringt und sie in nur noch negativ beschriebenen Lagern in Lübeck (Pöppendorf) und Bergen-Belsen interniert, bis nach der Gründung Israels die Einreise dorthin möglich wurde.

Der Verfasser wurde dann Professor für Soziale Arbeit mit Meriten im Bereich der Logotherapie an der Universität Haifa. Die Logotherapie versucht durch die Suche nach einem Sinn im eigenen Leben, eine Selbstdistanzierung und die Annahme von Eigenverantwortung die conditio humana zu erfassen. In den Erinnerungen Guttmanns, in den unterschiedlichen Rollen, die er einzunehmen hatte – zwischen einem kleinen Familienoberhaupt und einem Nicht-Menschen für die Faschisten, in seinem schnellen Wechsel als begeisterter Zionist und Gefangener, einmal schon vor Tel Aviv und dann wieder in Norddeutschland – meint man eine Basis seiner Berufswahl und seiner Orientierung zu finden. Der Text ist sachlich, nicht rührselig (wozu es allen Grund gäbe) und bietet damit einen positiv subjektiven Einblick in eine sich wie in einem Kaleidoskop verändernde, historisch bedingte Lebenswelt.

Frank Golczewski, Hamburg

Zitierweise: Frank Golczewski über: David Guttmann: Homecoming. Jewish life and suffering in Hungary and on the 'Exodus' to Palestine back via Hamburg and Bergen-Belsen to Eretz Israel 1944–1948. Ed. by Erhard Roy Wiehn. Konstanz: Hartung-Gorre, 2015. 138 S., Abb. = Edition Shoáh & Judaica – Jewish Studies. ISBN: 978-3-86628-534-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Golczewski_Guttmann_Homecoming.html (Datum des Seitenbesuchs)

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