Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 5 (2015), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Katalin Gönczi

 

László Péter: Hungarys Long Nineteenth Century. Constitutional and Democratic Traditions in a European Perspective. Collected Studies. Ed. by Miklós Lojkó. Leiden [etc.]: Brill, 2012, XIX, 477 S. = Central and Eastern Europe. Regional Perspectives in Global Context, 1. ISBN: 978-90-04-22212-0.

In diesem posthum erschienenen Sammelband sind die Ergebnisse der über vierzigjährigen Forschungsarbeit von László Péter (1929–2008), einem britischen Historiker ungarischer Herkunft, zusammengefasst: Vierzehn englischsprachige Aufsätze, die vor allem die neuzeitliche Verfassungsgeschichte Ungarns behandeln.

In der Einleitung zum Band verknüpft der Herausgeber Miklós Lojkó biographische Angaben zu Péter mit persönlichen Erinnerungen an ihn. Man kann dabei erfahren, wie intensiv Péters Laufbahn von den Umbrüchen imZeitalter der Extremein Osteuropa geprägt war: Während des Zweiten Weltkriegs, als Ungarn zeitweise an der Seite der Nationalsozialisten stand, war er Gymnasiast in Budapest; Péters Universitätsstudium fiel teilweise in die stalinistische Zeit.

Péter studierte Geschichts- und Archivwissenschaften an der Budapester (Pázmány Péter-, ab 1950 Eötvös Loránd-)Universität. Er wurde besonders vom ungarischen Vertreter der Annales-Schule, István Hajnal, geprägt (siehe den Nachruf von Gábor Gyáni, in: Holmi 20 (2008) 7, S. 983–987). Während seines Studiums musste Péter die Zwangspensionierung Hajnals und den Wechsel zum Historischen Materialismus erleben. Während des Ungarnaufstandes von 1956 sichtete er Dokumente im Auftrag des revolutionären Studentenausschusses im Archiv des Innenministeriums, um das Material für zukünftige Generationen zu bewahren (siehe dazu: Martyn C. Rady / László Péter:  Resistance, Rebellion and Revolution in Hungary and Central Europe: Commemorating 1956. London 2008, S. 321–340)

Im November 1956, als der Aufstand niederschlagen wurde, flüchtete Péter nach England. Er gehörte zu jenen ungarischen Flüchtlingen, die ihre wissenschaftliche Karriere fortsetzen konnten: Wenige Monate nach seiner Ankunft begann er ein Postgraduiertenstudium am Nuffield College in Oxford, wo er sich besonders der neuzeitlichen Politikgeschichte widmete. 1963 promovierte er zum Dr. phil. an der Universität Oxford, wurde Lecturer und ab 1973 Professor an der School of Slavonic and East European Studies des University College London.

Péters Œuvre umfasst in erster Linie die ungarische Verfassungsgeschichte der Neuzeit, wobei ihn der europäische Kontext besonders interessierte. Er vertrat nicht die Dogmengeschichte, sondern verbandausgehend von Methoden des Historikersdie Geschichte der Institutionen elegant mit der Politik- und Sozialgeschichte. Seine Thesen zur Geschichte des öffentlichen Rechts in Ungarn gelten auch in der deutschsprachigen Literatur als richtungsweisend; er war der Verfasser der Kapitel zur ungarischen Rechts- und Verfassungsgeschichte eines im Umfeld der Österreichischen Akademie der Wissenschaften entstandenen Standardwerkes (Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Bd. 2: Verwaltung und Rechtswesen. Hrsg. von Adam Wandruszka und Helmut Rumpler.  Wien 1975. [2., unv. Aufl. 2003]).

Péter untersuchte aber auch die mittelalterlichen Grundlagen der verfassungsrechtlichen Institutionen und erweiterte seinen Horizont zudem bis zur Gegenwart, was sich auch in dem hier rezensierten Sammelband niedergeschlagen hat. Wichtig sind unter anderem Péters Analysen zur ungarischen historischen Staatslehre (Lehre von der Heiligen Krone) sowie zum Widerstandsrecht des Adels aus der Sicht der ungarischen Rechtsgeschichtsschreibung. Für die Erforschung dieser beiden Rechtsinstitutionen stellt das Tripartitum von Stephanus Werbőczy aus dem 16. Jahrhundert ein zentrales Werk dar, das (soweit es die Kardinalrechte des Adels betrifft), als politisches Manifest (lex fundamentalis) zu verstehen ist. Péters Schreibstil ist dabei bildhaft und lebendig, was besonders zutrifft für seinen Aufsatz über das Fortleben von Werbőczys Tripartitum, das bis zur bürgerlichen Epoche (1848) als book of authority galt. Nicht umsonst bezeichnet Péter das Jahr 1848 alsbirth of modern Hungary. Blickt man auf die ungarische Geschichte der Neuzeit, so lässt sich abermodern Hungaryeher als Ideal oder Beurteilungsmaßstab verstehen.

Einen weiteren Schwerpunkt von Péters verfassungsrechtlichen Untersuchungen bildet der Ausgleich zwischen der ungarischen Nation und dem habsburgischen Herrscher im Jahre 1867, was die Umgestaltung des ständischen Ungarn zu einem bürgerlichen Staat ermöglichte. Für Péter ist dabei der BegriffRechtsstaatzentral, wobei er zugesteht, dass den Ministerialverordnungen der Exekutive eine wesentliche Rolle bei der Regelung der politischen Freiheiten zukam. Der Leser bekommt dabei einen Einblick in den zeitgenössischen wissenschaftlichen Diskurs um die Souveränität Ungarns innerhalb der Donaumonarchie, insbesondere durch Péters Analyse von Stellungsnahmen der Vertreter des öffentlichen Rechts an den Universitäten bzw. Rechtsakademien (Ernő Nagy, Győző Concha, Ákos Timon).

Péter betrachtet die Verfassungsgeschichte Ungarns nicht isoliert, sondern berücksichtigt auch die Entwicklung in Kroatien-Slavonien, Dalmatien, Galizien und Siebenbürgen (einschließlich des Partiums). Péters Ausführungen sind aus der Perspektive der Minderheitenforschung neu und weiterführend, denn der Verfasser liefert wichtige historische Belege zur Untersuchung dieser Problematik in Ostmitteleuropa.

Außer der Verfassungsgeschichte behandelt Péter auch die Sozialgeschichte, die Mentalitätsgeschichte, die Militärgeschichte sowie das Verhältnis von Staat und Kirche. Auch die Sprachgeschichte kommt in Zusammenhang mit dem nation-building im multikulturellen Ungarn zu Wort. Die Etablierung der ungarischen Sprache gegenüber dem Latein als Amtssprache sowie das Verhältnis zwischen Nation und Sprache im vormärzlichen Ungarn schildert der Autor anhand von literarischen Belegen. Seine Ausführungen zur Theorie und Praxis der Gewaltenteilung berühren auch Gegenwartsfragen, wenn auch die Ausführungen zum Einparteiensystem etwas kurz geraten sind. Mit den marxistischen Vorstellungen vom Absterben des Staats hätte man den Aufsatz ergänzen können.

Dieses Œuvre von László Péter ist dank der Editionsarbeit von Miklós Lojkó nun in einem Band versammelt und damit leicht zugänglich geworden; ein Register ermöglicht den schnellen Einstieg in die angesprochenen Themen. Zwar fehlt nach wie vor ein Werkeverzeichnis von Péter, doch ist der Sammelband ein wichtiger Beitrag zur Geschichte Ungarns und der Habsburgermonarchie.

Katalin Gönczi, Magdeburg

Zitierweise: Katalin Gönczi über: László Péter: Hungary’s Long Nineteenth Century. Constitutional and Democratic Traditions in a European Perspective. Collected Studies. Ed. by Miklós Lojkó. Leiden [etc.]: Brill, 2012, XIX, 477 S. = Central and Eastern Europe. Regional Perspectives in Global Context, 1. ISBN: 978-90-04-22212-0, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Goenczi_Peter_Hungary_s_Long_Nineteenth_Century.html (Datum des Seitenbesuchs)

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