Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 5 (2015), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Alfred Eisfeld

 

Aleksandr N. Popov: Russkij Berlin [Das russische Berlin]. Moskva: Veče, 2010. 393 S., Abb. = Russkie za granicej. ISBN: 978-5-9533-4275-9.

Die Erwartungen an diese Ausgabe von Russkij Berlin, die außer vom Botschafter der Russländischen Föderation auch von der Leiterin des Nationalen Fremdenverkehrsbüros Russlands in Berlin dem Leser ans Herz gelegt wird, sollten nicht zu hoch gesetzt werden. Der Autor spannt darin den Bogen von 1654 bis 2009, wobei er dreizehn Publikationen als die wichtigsten Quellen nennt. In den 82 Fußnoten und Erläuterungen zu 378 Textseiten werden zusätzlich noch Rundfunksendungen und Internetveröffentlichungen genannt. Der von Fritz Mierau erstmals 1987 in Leipzig herausgegebene Band Russen in Berlin. Literatur, Malerei, Theater, Film. 1918–1933 verdeutlicht, dass über die von A. N. Popov behandelten dreieinhalb Jahrhunderte weit mehr Wissenswertes überliefert ist. Diesen Anspruch hatte der Autor nicht. Sein Text ist leicht lesbar, mitunter unterhaltsam und ohne wissenschaftlichen Anspruch geschrieben. Bei manchen Themen (Russischsprachige Publikationen in den zwanziger Jahren, S. 156–169; Zwischenfälle mit sowjetischen Militärflugzeugen, S. 246–256) werden interessante Details mitgeteilt, die den Wunsch nach mehr Information wecken können.

Als wissenschaftliche Literatur kann das Buch schon allein wegen der zahlreichen faktischen Fehler nicht gelten. So wird das Einrücken der Roten Armee im September 1939 in Ostpolen als Feldzug zur Befreiung West-Weißrusslands (S. 348) bezeichnet. Unzutreffend sind auch Informationen über die deutschen Aussiedler aus der UdSSR, die dem „Russischen Berlin“ zugeschlagen werden. So wird berichtet, ethnische Deutsche hätten seit 1950 nach Deutschland auswandern dürfen (S. 265). Zu dieser Zeit befanden sie sich allerdings noch unter der Aufsicht der Sonderkommandanturen des Innenministeriums. Die Sondersiedlungen wurden 1956 aufgehoben, und die Familienzusammenführung von durch den Zweiten Weltkrieg getrennten Familien wurde ab August 1957 möglich. Auch die Angabe, 70 % der 2,35 Mio. Aussiedler hätten eine Hochschulbildung (S. 265), ist nicht zutreffend. Darüber hinaus ist die Darstellung der angespannten Lage in Ost-Berlin in den ersten Nachkriegsjahren und der Aufstand vom 17. Juni 1953 quellenmäßig extrem schwach unterlegt (S. 236–246), wie überhaupt im ganzen Werk keine einzige Publikation in einer anderen Sprache als Russisch Verwendung fand.

Als „Russisches Berlin“ versteht der Autor all der russischen Sprache mächtigen Einwohner der Stadt. Dazu zählt er auch Angela Merkel in ihrer Jugendzeit, als sie in einer Russisch-Olympiade siegte und mit einer Reise in die UdSSR belohnt wurde (S. 7). Popov würde wohl Vladimir Putin wegen seiner Deutschkenntnisse kaum einem „Deutschen Moskau“ zuordnen.

Das Buch ist vor der seit 2014 eingetretenen Abkühlung der Beziehungen zwischen dem Westen und Russland verlegt worden und sollte eher Lust machen auf das Kennenlernen Berlins. Es ist eine unterhaltsame Lektüre ohne Annäherung an einen Reiseführer, obwohl im Text zahlreiche Lokalitäten und Adressen genannt und im Anhang Adressen des „Russischen Berlin“ enthalten sind, die für eine Exkursion nützlich sein können.

Alfred Eisfeld, Göttingen

Zitierweise: Alfred Eisfeld über: Aleksandr N. Popov: Russkij Berlin [Das russische Berlin]. Moskva: Veče, 2010. 393 S., Abb. = Russkie za granicej. ISBN: 978-5-9533-4275-9, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Eisfeld_Popov_Russkij_Berlin.html (Datum des Seitenbesuchs)

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