Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 4 (2014), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Matthias E. Cichon

 

Maximilian Eiden: Das Nachleben der schlesischen Piasten. Dynastische Tradition und moderne Erinnerungskultur vom 17. bis 20. Jahrhundert. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2012. X, 460 S., Abb. = Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte, 22. ISBN: 978-3-412-20694-9.

Der Boom kultur- und gedächtnisgeschichtlicher Themen, der in den achtziger und neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts seinen Anfang nahm, hat auch der historischen Schlesien-Forschung zahlreiche fruchtbare Impulse gegeben. Mittlerweile liegen beispielsweise Darstellungen zur Rezeption des Oberschlesienkonflikts oder Veröffentlichungen zu den schlesischen Erinnerungsorten vor. Vernachlässigt wurde dabei bisher eine über Einzelpersonen hinausgehende Beschäftigung mit den Herrscherdynastien des Oderlandes.

Eine dieser Lücken schließt nun die vorliegende Dissertation Maximilian Eidens, die sich mit der Wahrnehmung der schlesischen Piasten vom 17. bis 20. Jahrhundert beschäftigt.  Eiden, der mehrere Jahre die Stelle des Kulturreferenten Schlesien am Schlesischen Museum zu Görlitz bekleidete, wählt hierfür einen multiperspektivischen und interdisziplinären Ansatz. Literatur-, kirchen-, architektur-, und alltagsgeschichtliche  Gesichtspunkte werden dabei ebenso berücksichtigt wie historiographische und politikgeschichtliche. Zugleich wird versucht, sowohl die deutsche als auch die polnische Sichtweise zu Wort kommen zu lassen. Erstere überwiegt indes deutlich. Das Werk gliedert sich in sechs Abschnitte, die meist mit einem historischen Überblick eröffnet werden. Nach einer methodologischen Einführung wendet sich Eiden der Geschichte der schlesischen Piasten zu, die das Land über 700 Jahre bis zum Erlöschen der Linien im Mannesstamm (1675) geprägt haben. Thematisiert werden dabei nicht nur prägende Ereignisse und Entwicklungen wie die deutsche Ostsiedlung, sondern auch das Selbstverständnis des Fürstenhauses. Anhand von Betrachtungen des Brieger Stadtschlosses erläutert der Autor das Bewusstsein der Mitglieder des Geschlechtes, gleichermaßen Abkömmlinge der ersten polnischen Königsdynastie zu sein, wie mit dem damals regierenden Kaiserhaus dynastisch verflochten zu sein. Gleichzeitig konnte auch auf eigene Lichtgestalten verwiesen werden. Als Ankerpunkte der piastischen und schlesischen Identität figurierten Herzog Heinrich II., der 1241 auf der Wahlstatt bei Liegnitz im Kampf gegen die Mongolen fiel, und seine Mutter, die wegen ihrer Mildtätigkeit berühmte hl. Hedwig. Beide prägten das Bild der Piasten als eines rechtschaffenden und das Abendland verteidigenden Geschlechtes.

Im dritten Kapitel wird die Aneignung der Piastentradition unter den Habsburgern und den Hohenzollern geschildert. Sie beschränkte sich nicht auf die regierenden Dynastien – Friedrich II. rechtfertigte seine Schlesischen Kriege u.a. mit Verweis auf Erbansprüche –, sondern spielte auch unter den adligen Familien eine eminente Rolle, da sie ihr Prestige durch enge Beziehungen zur alten Herzogsdynastie vergrößern wollten. Heraldische Anlehnungen oder sich auf die Wahlstattschlacht berufende Gründungsmythen waren dafür verbreitete Ausdrucksformen.

Eine Zäsur für die Rezeption der Piasten stellte das 19. Jh. dar. Die durch die Säkularisation (1810) geschwächte katholische Kirche, der sukzessive Bedeutungsverlust des Adels sowie der Aufstieg des Bürgertums, führten zu einer Verschiebung der Koordinaten, weg von religiös-dynastischen und hin zu bürgerlichen Themen- und Interessenfeldern. Letztere wurden in der zweiten Jahrhunderthälfte verstärkt durch nationale Motive beeinflusst. Historiographische Darstellungen, aber auch Belletristik und populäre Geschichtsschreibung (z.B. Gustav Freytags „Bilder aus der deutschen Vergangenheit“), lassen laut Eiden eine zunehmend negative Sicht auf das Geschlecht erkennen, die in der Hinterfragung tradierter Narrative kulminierte. Zwar wurden einzelne Personen, wie Heinrich I. und Heinrich II. nach wie vor gewürdigt, indes nur, wenn sie als Wegbereiter der ‚Deutschwerdung‘ Schlesiens bzw. als zum Deutschtum ‚Konvertierte‘ verstanden werden konnten. Bezeichnend für den nationalistisch-gefärbten Diskurs ist dabei der Umstand, dass auf polnischer Seite ausschließlich die Charaktere gewürdigt wurden, die auf deutscher Seite Verachtung fanden und umgekehrt. Unabhängig von dieser zunehmend kritischeren Sichtweise im akademisch-kulturellen Milieu erfreuten sich die Piasten in der breiten Bevölkerung großer Beliebtheit, die sich in zahlreichen Straßenbenennungen, aber auch in Produkt- oder Vereinsnamen manifestierte.

Diesen Ausführungen schließt sich eine Darstellung der Entwicklung in der Zwischenkriegszeit und während des 2. Weltkriegs an. Eiden konstatiert eine zunehmende Verwendung der Piasten für tagespolitische Themen, darunter auch für die schwelende Grenzfrage mit Polen. Während der NS-Zeit sei es darüber hinaus zunehmend zu einer Vereinheitlichung der Rezeption gekommen, so dass beispielsweise die katholische Sichtweise langsam in den Hintergrund gedrängt wurde. Geschichtswissenschaft und Literatur mussten sich dabei nicht vollkommen neuer Narrative bedienen, sondern konnten an bestehende deutsch-nationale Erzählweisen anknüpfen. Aus ideologischen Gründen musste auch die slawische Herkunft der Piasten verschleiert werden. Die Piasten wurden „arisiert“ und bekamen eine normannische Herkunft zugesprochen. Interessanterweise handelte es sich dabei weniger um ein Produkt nationalsozialistischen Erfindungsreichtums, als vielmehr um eine aus ihrem Schattendasein geholte Theorie vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Von der eigenen Propaganda offenbar wenig beeindruckt, gab der schlesische Gauleiter Wagner 1938 den Auftrag, im öffentlichen Bereich sämtliche Piastennamen zu tilgen und das Gedächtnis an die slawische Dynastie damit dem Vergessen anheimzugeben. Da von Wagners Nachfolger Hanke keine derartigen Anordnungen überliefert sind und die Quellenlage zu dem ganzen Problemkomplex leider zu dürftig ist, muss Eiden die Frage, inwieweit diese „damnatio memoriae“ die Agenda eines einzelnen Gauleiter oder der NS-Führung insgesamt widerspiegelt, unbeantwortet lassen.

Eidens Ausführungen schließen mit einer  Zusammenfassung in deutscher, polnischer und englischer Sprache. Der Untertitel des Werkes suggeriert, dass auch der Zeitraum nach 1945 betrachtet wird. Von einer Episode im 1. Kapitel und einigen Bemerkungen in der Zusammenfassung abgesehen, ist dies jedoch nicht der Fall. Eiden begründet dies mit dem finanziellen und zeitlichen Aufwand, den eine längere Präsenz in polnischen Bibliotheken und Archiven verursacht hätte. In Anbetracht einer derart umfangreichen Arbeit, ist diese Beschränkung ebenso zu entschuldigen wie der Umstand, dass als wissenschaftliche Literatur primär Monographien und Sammelbände verwendet werden. Ein Weg für zukünftige Forschungsunterfangen ist damit gleichsam vorgezeichnet. Genauer hätte dagegen an einigen Stellen das Lektorat ausfallen können.

Angesichts der sich für den Untersuchungszeitraum bietenden Materialfülle und des interdisziplinären Ansatzes kann konstatiert werden, dass es Eiden mit Bravour gelungen ist, eine schon fast herkulisch zu nennende Aufgabe zu lösen. Wortgewandt hat er einen für interessierte Laien wie Experten gleichermaßen erkenntnisfördernden repräsentativen Querschnitt der Piastenrezeption vorgelegt, der als Standardwerk  den Ausgangspunkt der weiteren akademischen Beschäftigung mit der Wahrnehmung des schlesischen Herzogshauses bilden wird.

Matthias E. Cichon, Münster

Zitierweise: Matthias E. Cichon über: Maximilian Eiden: Das Nachleben der schlesischen Piasten. Dynastische Tradition und moderne Erinnerungskultur vom 17. bis 20. Jahrhundert. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2012. X, 460 S., Abb. = Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte, 22. ISBN: 978-3-412-20694-9, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Cichon_Eiden_Das_Nachleben_der_schlesischen_Piasten.html (Datum des Seitenbesuchs)

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