Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 5 (2015), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Jana Bürgers

 

Andreas Kappeler: Die Kosaken. Geschichte und Legenden. München: Beck, 2013. 127 S., 20 Abb., 2 Ktn. = C.H.Beck Wissen, 2768. ISBN: 978-3-406-64676-8.

Gemessen an der Komplexität, Heterogenität und Widersprüchlichkeit des Themas ist es fast unglaublich, dass es Kappeler gelungen ist, über die Kosaken ein so kurzes und dennoch verständliches Buch zu schreiben. Und dabei konzentriert er sich nicht allein auf die Geschichte, sondern erwähnt immer wieder auch Zeugnisse aus Belletristik, Musik und Kunst, diskutiert Forschungsmeinungen und bezieht Mythen mit ein. So hätte Geschichten und Mythen als Untertitel vielleicht besser gepasst und dann auch weniger an Philipp Longworths wortgleich benanntes Buch (Die Kosaken. Legende und Geschichte) erinnert. Zudem wäre mit der Wahl des Plurals von Geschichte noch deutlicher geworden, dass die Kosaken eben keinefeste unveränderbare Größe(S. 10) darstellen und sichdas mit dem BegriffKosaken‘ Bezeichnete in Zeit und Raum ständigveränderte (S. 10).

Bei der Lektüre wird das freilich deutlich. Schon die Aufzählung gängigerKlischees und Geschichtsbilderim Vorwort zeigt die ganze Bandbreite der unterKosaken“ subsummierten Erscheinungen.

Bewundernswert, wie knapp und übersichtlich Kappeler in sechs Kapiteln weitgehend chronologisch die Entstehung, Differenzierung, Zähmung, das Ende und die Renaissance der Kosaken leserlich aufbereitet, um am Ende sogar nochÜbergreifende Fragenzum Thema Kosakenfrauen, kosakische Nation, Fakten und Mythen sowie Grenzergemeinschaft zu behandeln. Auch informative Abbildungen, zwei Karten, Zeittafel, Literaturhinweise (leider nur deutsch- und englischsprachige Titel) und ein Register vervollständigen den Band.

Mehr noch als die von Kappeler selbst benannte Durchgängigkeit des Begriffs Kosaken in der Fremd- und Selbstbezeichnung tauchen einige Charakteristika während der gesamten Zeit des Bestehens der Kosakengemeinschaften immer wieder auf und rechtfertigen damit die gemeinsame Behandlung in einem Buch: Schon die Entstehung des Kosakentums ist eng mit dem Phänomen der Grenze verknüpft. Die ersten Kosaken genannten Personen hielten sich im Grenzgebiet Polen-Litauens, des Osmanischen und des Russischen Reiches auf dem Gebiet der heutigen Ukraine auf. Sie lebten vor allem an Flüssen, wo sie sich als wendige Bootsführer mit Fischfang, Jagd und Bienenzucht beschäftigten, partiell als Grenzschützer oder einfach als Flusspiraten und Räuber. Die Namen fast aller Kosakenheere weisen auf die Flüsse hin, die den Lebensraum der verschiedenen Kosaken abgaben: z.B. Dneprkosaken, Zaporoher (hinter den Stromschnellen) Kosaken, Don-, Terek-, Kuban-, Ural- oder Ussurikosaken. Aufgrund ihrer besonderen Lebensweise entwickelten die Kosaken außerordentliche kämpferische und militärische Fähigkeiten, für die sie großeim Falle der Judenpogrome im 17. und 20. Jahrhundert auch traurige Berühmtheit erlangten. Ihre Lage am Rande (sowohl von Staaten, als auch von Siedlungen und Gesellschaft) brachte sie in Kontakt mit anderen, mit denen sie nicht nur kämpften, sondern von denen sie auch Elemente von Sprache, Kultur, Kleidung und Lebensweise übernahmen. Je größer die kosakischen Gemeinschaften wurden, desto mehr differenzierten sie sich intern: Reiche Kosaken standen armen gegenüber, alteingesessene den neuzugezogenen, freie den Registerkosaken, einfache einer Elite. Das führte immer wieder zu Aufständen und Kriegen, mit wechselnden Zielen, Koalitionen und Gegnern. Und es führte über kurz oder lang zur zunehmendenZähmung, d.h. Integration und Indienstnahme der Kosaken bis hin zum endgültigen Ende der Gemeinschaften und Heere. Was jedoch immer weiterlebte waren die Geschichten und Mythen über tapfere Anführer, glorreiche Siege, idealisierte Lebensbedingungen. Auch wenn sie nicht dem entsprechen, was Historikerinnen und Historiker über die Kosaken schreiben, so haben sie dochihre eigene Wirkungsmacht, beeinflussen die Realität und gehören deshalb mit zu einer Geschichte der Kosaken(S. 107). Das zeigte sich insbesondere bei der Renaissance des Kosakentums. Die Neo-Kosaken in Russland und der Ukraine griffen auf das ganze Spektrum ihrer Geschichte, Traditionen und Mythen zurück, um in der postsowjetischen Periode zu altem Glanz zu kommen. Doch weder in Russland noch in der Ukraine entstandein tragfähiges kosakisches Bewusstsein(S. 90), vielmehr wiederholte sich die Geschichte der Kosaken vom 17.19. Jahrhundert wiein einem Zeitraffer(S. 90) in den letzten 20 Jahren, und nach der Zähmung durch den postsowjetischen Staat bleibt im Grunde nur noch die Folklore.

Weil Kappeler die meiste Zeit eine ausgewogene und neutrale Darstellung bietet und für eine klare Stellungnahme gerne mal einen Kollegen als Referenz anführt, so verwundert seine zunächst eher von der russischen Sicht beeinflusste Schilderung der Ereignisse von Perejaslav im Jahre 1654 (S. 34). Dagegen interpretiert er die großen Hungersnöte vom Anfang der 1920er und nochmals der 1930er Jahre ganz deutlich als vor allem gegen die Ukrainer und die (ukrainischen) Kosaken gerichtete und absichtlich herbeigeführte Katastrophe (S. 80/81).

Insgesamt aber ein sehr lesenswertes Büchlein, das Lust macht, mehr über die schillernde Geschichten der Kosaken zu erfahrenwas allerdings mit ein paar Fußnoten zur weiterführenden Literatur noch einfacher wäre.

Jana Bürgers, Offenburg

Zitierweise: Jana Bürgers über: Andreas Kappeler: Die Kosaken. Geschichte und Legenden. München: Beck, 2013. 127 S., 20 Abb., 2 Ktn. = C.H.Beck Wissen, 2768. ISBN: 978-3-406-64676-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Buergers_Kappeler_Kosaken.html (Datum des Seitenbesuchs)

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