Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 1 (2011), 2 Rezensionen online

Verfasst von: Jana Bürgers

 

Brian J. Boeck: Imperial Boundaries. Cossack Communities and Empire-Building in the Age of Peter the Great. Cambridge, New York [usw.]: Cambridge University Press, 2009. XIII, 255 S., 2 Ktn., 2 Abb. = New Studies in European History. ISBN: 978-0-521-51463-7.

Um es gleich vorweg zu sagen: Brian Boeck ist hier ein richtig gutes Buch gelungen – nicht nur über die Donkosaken, sondern auch über die gewollten und zufälligen Mechanismen der imperialen Expansion sowohl des Russländischen Reiches als auch zum Teil des Osmanischen Reiches. Sein selbst gestecktes Ziel, den Zusammenhang der Reichsbildung dieser beiden Länder mit der Sozialgeschichte der Donkosaken zu erhellen, hat Boeck, Assistant Professor am Department of History der DePaul University in Chicago, voll erreicht.

Ort und Zeit der überaus spannenden Geschichte ist die Donsteppe zur Zeit Peters I., genauer gesagt der Zeitraum von 1667 bis 1739. Dafür wählt Boeck eine interessante Art der Gliederung. Innerhalb der groben Zweiteilung des Zeitabschnitts in die Periode vor und die nach 1700 behandelt er einige Jahre gleich mehrmals, aber jeweils aus einer anderen Perspektive. Damit wird er einem weiteren seiner Ziele gerecht, nämlich aus regionalen und zentralen Blickweisen auf ein und dieselbe Sache eine Art Mosaik zu schaffen und dadurch Mikro- und Makroansatz zu integrieren. Auf diese Weise werden die Widersprüche und Vielschichtigkeiten der Entwicklungen am Don, einem Gebiet von der Größe Griechenlands im nördlichen Schwarzmeerbassin, erst richtig deutlich. Boeck erliegt nicht der Versuchung, ‚klassische‘ Urteile über die Donkosaken, wie sie vor allem von russischen Historikern des 19. Jahrhunderts gefällt und dann eifrig weitergereicht wurden, einfach zu wiederholen, sondern er macht sich die Mühe, den großen Quellenschatz der „Donskie Dela“, der „Donsachen“, also all der Aufzeichnungen, die in Moskau über die Donkosaken angefertigt wurden, zu studieren. Vom Don selbst sind nur wenige Quellen überliefert, da ein Charakteristikum des frühen Donlebens gerade das Fehlen schriftlicher Dokumente ausmacht; das Wenige, das es gab, wurde durch Feuer oder Wasser zerstört. Die Ergebnisse präsentiert Boeck dezent im Kontext anderer Forschungen, aber erfrischend selbständig und ohne gewollte theoretische Exkurse, die von der eigentlichen Sache ablenken würden.

Sehr einleuchtend erzählt Boeck die Transformation der einst freien und staatenlosen Steppenbeuterbruderschaft zur Elitetruppe des Zaren in Verbindung mit der Zerstörung der alten Steppenwelt und ihrer Eingliederung ins Russländische Reich. Dieser Prozess ging so allmählich und in so kleinen Schritten voran, dass man sich immer wieder fragen möchte, wie es überhaupt dazu kommen konnte. Lange Zeit waren die Donkosaken eine Bruderschaft, die problemlos mit Attributen wie offen, demokratisch, multiethnisch, wild, ungebunden und männlich charakterisiert werden kann. Nach nicht einmal hundert Jahren sehen wir die Donkosaken als sich nach außen abschließende Gesellschaft, abhängig und gesteuert von der Zentralregierung in Moskau, ausgerichtet auf die Verteidigung der Grenzen des sich ausdehnenden Russländischen Reiches, wohl noch in einer Sonderrolle, aber zum Preis der (militärischen) Verpflichtung gegenüber dem Zaren.

Was nun waren die Schritte und Mittel der Transformation? Ganz entscheidend war die Situation an der Grenze: einst unkontrolliertes Niemandsland irgendwo zwischen Moskau und den Osmanen, geriet die Gegend in den Blick und das Interesse der angrenzenden Reiche. Russische Garnisonen wurden errichtet, die nicht nur das Treiben von Kosaken und Tataren beobachten sollten, sondern auch dafür zu sorgen hatten, dass nicht zu viele Läuflinge zu den Kosaken flüchteten. Immer wieder verhandelten die Donkosaken über ihr Recht, Läuflinge nicht ausliefern zu müssen und sich ohne Ausweispapiere frei überall bewegen zu dürfen. Schon sehr früh versuchte Moskau des Migrationsproblems durch die Einführung eines Passwesens Herr zu werden. Damit einher ging auch die zunehmende Festlegung konkreter Grenzlinien, die in erbitterten Auseinandersetzungen mit der osmanischen Seite verhandelt und erkämpft wurden. Die Kosaken dienten dabei mal als Werkzeuge, die den Gegner gezielt schwächen sollten, mal als Sündenböcke, für die man keine Verantwortung zu tragen bereit war. Jenseits dieser Grenzen war es den Kosaken nach der Grenzfestlegung nicht mehr erlaubt, Raubzüge zu unternehmen oder selbständig Kontakte mit der ‚anderen‘ Seite zu pflegen. Nach und nach begann es eine Rolle zu spielen, wer wo jagte und raubte, denn solche Übergriffe galten nun nicht länger als lokale Scharmützel, sondern bekamen den Rang internationaler Vergehen. Die Kontrolle über das Territorium bedeutete demnach die Ausweitung der staatlichen Autorität und die Festlegung der Grenzen; nicht zuletzt auch die Kartographierung des Gebiets signalisierte das Ende der sprichwörtlichen kosakischen Freiheiten.

Exemplarisch führt Boeck immer wieder die Festung Azov als Beispiel für die Ratlosigkeit und die Widersprüchlichkeit der russländischen Behörden im Umgang sowohl mit den Kosaken als auch mit den von ihnen eroberten Territorien an. Mehrfach errangen die Donkosaken Siege über die Osmanen beim Kampf um Azov, mussten die Festung dann aber wieder zurückgeben, weil sie weder den Willen noch die Möglichkeiten hatten, den Besitz zu halten, und Moskau seine Unterstützung vorläufig verweigerte.

Auch die Aufstände von Razin und Bulavin baut Boeck geschickt in den Kontext der Transformation der alten Steppenwelt ein und macht deutlich, wie stark die Ereignisse von den Veränderungen am Don beeinflusst waren, und dass es sich dabei weniger um Bauernaufstände als um einen Proteste gegen die Imperialisierung des Grenzgebiets handelte.

Am interessantesten ist, dass und wie Boeck immer wieder darauf hinweist, dass es nicht die eine Geschichte der Donkosaken gibt, sondern dass viele verschiedene Entscheidungen, Maßnahmen und Entwicklungen die Gegend prägten. Gemeinsam jedoch ist all den Geschichten die Sonderrolle der Donkosaken in sozialer wie politischer Hinsicht, die sie häufig im Tausch gegen ihre eigene Instrumentalisierung für die imperialen Zwecke der angrenzenden Reiche erhielten. Ihren deutlichsten Ausdruck findet diese Entwicklung in der Tatsache, dass ab 1721 nicht mehr länger das Außenamt, sondern die Militärverwaltung für die Donkosaken zuständig war. Dieser Schritt besiegelte auch nach außen hin das Ende der freien Donsteppe und ihre Integration ins imperiale Russland.

Wenige Wünsche bleiben bei diesem Buch offen: Angesichts der Bedeutung der Grenze hätten mehr als zwei recht grobe Karten nicht geschadet, und wenn schon Verweise auf Literatur über andere Grenzgesellschaften oder den theoretischen Hintergrund zum Thema frontier/border in der Darstellung selbst nur sehr kurz vorkommen, dann würde ein richtiges Literaturverzeichnis (und nicht nur die Erwähnung der entsprechenden Literatur in den Fußnoten) sicher sehr helfen. Nicht nötig, aber nett anzusehen sind die beiden Abbildungen von Kosaken, deren eine das Siegel des Donheeres darstellt, auf dem ein mit nacktem Oberkörper auf einem Fass sitzender Kosake zu sehen ist, der stolz sein Gewehr präsentiert. Der Anekdote nach soll Peter dieses Siegel 1704 nach folgender Unterhaltung mit einem Kosaken verfügt haben. Peter sieht einen halb nackten betrunkenen Kosaken mit dem Gewehr in der Hand und fragt, warum er denn nicht seine Waffe verkaufe, um sich mit mehr Alkohol versorgen zu können. Daraufhin antwortet der Kosake, dass er die Waffe zur Verteidigung des Souveräns benötige und beizeiten bei den Feinden des Zaren neue Kleidung erbeuten würde.

Jana Bürgers, Offenburg

Zitierweise: Jana Bürgers über: Brian J. Boeck Imperial Boundaries. Cossack Communities and Empire-Building in the Age of Peter the Great. Cambridge University Press Cambridge, New York [usw.] 2009. XIII. = New Studies in European History. ISBN: 978-0-521-51463-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Buergers_Boeck_Imperial_Boundaries.html (Datum des Seitenbesuchs)

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