Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 1 (2011), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Klaus Buchenau

 

Committing Community. Carpatho-Rusyn Studies as an Emerging Scholarly Discipline. Edited by Elaine Rusinko. Boulder, CO; New York: East European Monographs; Columbia University Press, 2009. XII, 399 S., Kte. = East European Monographs, 747. ISBN: 978-0-88033-645-1.

Der Band versammelt 23 Beiträge von 12 Autoren, die zwischen 1995 und 2006 auf der „Annual Convention of the American Association for the Advancement of Slavic Studies“ (AAASS) vorgestellt wurden. Das Buch bezieht sein Profil nicht zuletzt aus dem Gegensatz zwischen dem ‚Guru‘ der Russinenforschung Paul Robert Magocsi und politisch weniger festgelegten Beiträgern. Magocsi ist ein überaus erudierter Kopf und weiß um die Konstruiertheit von Nationen. Seit 1989 beteiligt er sich aber auch an der Konstruktion des Russinentums und schafft so Fakten, die dann wiederum in sein Geschichtsnarrativ einfließen. In diesem Band verbindet er großes historisches Wissen mit politischen Ratschlägen. Dazu gehört etwa die Einführung einer Steuer, die zur Finanzierung der russinischen Bewegung von jedem Bürger russinischer Herkunft erhoben werden soll (S. 348), oder die Säuberung russinischer Dialekte von polnischen bzw. slowakischen Einflüssen (S. 358). Noch entschiedener klingt die Literaturwissenschaftlerin Patricia A. Krafcik. Sie spricht davon, die Russinen seien „schon seit dem 19. Jahrhundert denationalisiert worden“, was natürlich voraussetzt, dass es eine russinische Nation zu diesem Zeitpunkt schon gab (S. 92, 131).

Die Herausgeberin und Literaturwissenschaftlerin Elaine Rusinko teilt mit beiden Autoren die Ansicht, dass sich die Russinen gegen die Assimilation an die größeren Titularnationen der Region wehren sollen. Sie will allerdings kein weiteres homogenes Nationsmodell mit all seinen Festlegungen und Einschränkungen. Vielmehr betont sie unter Berufung auf postkoloniale Theoretiker, dass Reinheitsideale zum klassischen Inventar äußerer Mächte gehörten, mit denen man Kolonialvölkern Minderwertigkeitsgefühle einimpfe. Aus dieser Sackgasse führe nicht die Nachahmung der etablierten Nationalismen, sondern nur die Anerkennung und Wertschätzung der eigenen Hybridität (S. 37).

Auf der anderen Seite stehen die Autoren, die den Konstruktivismus als Aufforderung verstehen, das Geflecht von Selbst- und Fremdzuschreibungen ohne nationale Ziel­vorgaben zu analysieren. So etwa der Ethnologe Chris Hann in seinem Beitrag über die Lemken in Südostpolen – er kritisiert Magocsi und weist darauf hin, dass sich soziale Identitäten nicht immer auf einen nationalen Kern zurückführen lassen, sondern situativ variieren. Das Lemkentum flackere bei vielen heute nur noch gelegentlich auf, anlässlich von Familienfesten, Festivals oder ähnlichem, werde dann aber wieder von anderen Identitäten überlagert (S. 184). Magocsi antwortet ihm darauf mit einem bissigen Kommentar, dass ethnologische Forschung grundsätzlich nicht verallgemeinerbar sei und erst recht keine Grundlage für Prophezeiungen sein könne (S. 189f). Die Reaktion erscheint überzogen. Mit demselben Recht könnte man Magocsi als Mitschöp­fer des russinischen Großnarrativs dazu auffordern, die Erkenntnisse von Mikrostudien zu berücksichtigen. Hanns Thesen werden zumindest indirekt unterstützt durch einen Beitrag Bogdan Horbals, der die Zugehörigkeit der Lemken zum Russinentum lediglich als eine von mehreren Identitätsoptionen sieht, sowie durch Robert Rothsteins Ausführungen zur russinischen Sprache, die den Sprung vom Konstrukt zur Wirklichkeit bislang noch nicht ganz geschafft hat.

Eine starke Seite des Bandes sind drei Texte über die „russinische“ Szene in den USA. Seit Ende des 19. Jahrhunderts hat die USA-Emigration für die Entwicklung in den  Karpaten eine bedeutende Rolle gespielt, sie ist aber bislang in der Forschung eher unterrepräsentiert geblieben. Bogdan Horbal schreibt über den enormen Erfolg von Ethno-Schallplatten bei Industriearbeitern in den 1930er Jahren; Elaine Rusinko analysiert die frühe Belletristik der Emigranten und kommt zu dem Schluss, dass hier träumerische Parallelwelten ohne politische Aussage konstruiert wurden. Und Robert Zecker zeigt am Beispiel Philadelphias auf, wie fluide die Grenze zwischen russinischer, slowakischer und russischer Identität noch in den 1920er Jahren war. Wichtig sind auch die Forschungsergebnisse von Susyn Mihalasky über die Lemken im sozialistischen Polen und von Jennifer Dickinson über die Auseinandersetzungen um die ukrainische Volkszählung von 2001.

Wie Isabel Kushko bei Märchen und Patricia Krafcik bei Filmen zeigt, ist russinische Identität maßgeblich in vormodernen Motiven beheimatet. Dass die Moderne aber immer wieder in diese Welt einbricht und das provinzielle Denken herausfordert, stellt Elaine Rusinko am Beispiel russinischer Literaten dar. Ähnliches tut Brian Požun in seinem informativen Text zur russinischen Medienszene, der ein „schizophrenes“ Verhältnis zum wohl berühmtesten Karpatensohn Andy Warhol bescheinigt wird (S. 377).

Natürlich lässt der Band Wünsche offen. Während Literatur, Kunst und Medien in vielen Beiträgen vorkommen, spielt Religion nur eine untergeordnete Rolle. Das ist schade, denn sowohl die unierte als auch die orthodoxe Kirche haben bei der russinischen Identitätsbildung eine große Rolle gespielt. Der Artikel von Martin Fedor Ziac über das orthodoxe Kloster Ladomirová in der Slowakei kann diesen Mangel nicht ausgleichen, weil er nur einen kleinen (wenn auch interessanten) Ausschnitt der orthodoxen Bewegung beleuchtet. Einen ‚systemischeren‘ Blick verdienten auch die Staaten, in denen Russinen leben. Es hat wenig Sinn, nur nach den kulturellen Minderheitenrechten zu schauen und danach Noten zu verteilen. Wer hat Ressourcen anzubieten, wer bietet funktionierende Institutionen, Entwicklungsmöglichkeiten, wirtschaftliche Entwicklung? Dies sind Faktoren, die für den Alltagsmenschen, auch den russinischen, ganz entscheidend sind, und die letztlich auch seine Identität beeinflussen.

Klaus Buchenau, Berlin

Zitierweise: Klaus Buchenau über: Committing Community. Carpatho-Rusyn Studies as an Emerging Scholarly Discipline. Edited by Elaine Rusinko. Boulder, CO; New York: East European Monographs; Columbia University Press, 2009. XII, 399 S., Kte. = East European Monographs, 747. ISBN: 978-0-88033-645-1, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Buchenau_Rusinko_Committing_Community.html (Datum des Seitenbesuchs)

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