Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 5 (2015), 3 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Klaus Buchenau

 

Alexander Korb: Im Schatten des Weltkriegs. Massengewalt der Ustaša gegen Serben, Juden und Roma in Kroatien 1941–1945. Hamburg: Hamburger Edition, 2013. 510 S., 33 Abb. = Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts. ISBN: 978-3-86854-259-2.

Die Forschung zum Zweiten Weltkrieg ist sehr in Bewegung. Das gilt auch und gerade für das Thema Gewalt, wobei viele der neueren Untersuchungen durchaus dazu geeignet sind, Unruhe unter den Geschichtslehrern zu verbreiten. Denn es werden die großen, leicht pädagogisierbaren Erzählungen der 70er bis 80er Jahre in Frage gestellt, welche das Böse klar lokalisierten, Massenmorde als von langer Hand geplante Aktionen darstellten und dadurch Schülern moralische Urteile erleichterten. Die jüngere Forschung rüttelt kräftig an diesem Postulat einer übersichtlichen Geschichte. Die Historiker haben sich dabei einerseits der Haupttradition ihres Fachs verschrieben: der detaillierten Betrachtung des Einzelfalls, die dazu führt, dass man in vermeintlich monolithischen Bewegungen Unterschiede entdeckt, bei vermeintlich eindeutigen Konfliktlagen auf unerwartete Koalitionen stößt usw. Andererseits wollen auch sie auf ein – nur eben nuancierteres – Gesamtbild hinaus, so dass sie durchaus an Thesen, Theorien und Abstraktionen interessiert sind.

Alexander Korb, ein in Deutschland ausgebildeter Nachwuchshistoriker und Lecturer der University of Leicester, vertritt diesen Ansatz in der südosteuropäischen Geschichte. In seiner Dissertation zur Gewaltpraxis der Ustaša im „Unabhängigen Staat Kroatien“ zwischen 1941 und 1945 bezweifelt er, dass die Ustaše einen Masterplan zur Vernichtung von Serben, Juden und Roma hatten. Er will die Gewalt gegen diese Gruppen nicht nur mit Intentionen des Zentrums, sondern aus einer Gemengelage von Faktoren erklären. Hier spielen Ziele zentraler und lokaler Akteure ebenso eine Rolle wie Sachzwänge, Machtkonstellationen oder Zufallsfaktoren. Daraus ergibt sich ein stark dezentrierter Blick, d.h. im Vordergrund steht die Analyse lokaler Szenarien und Dynamiken. Die Untersuchungen einzelner Vertreibungsaktionen und Massaker machen einen wesentlichen Teil des Buchs aus; die Gewalt in den Lagern der Ustaša wird vergleichsweise knapper beschrieben. Der Wille zur Theoretisierung zeigt sich an Korbs Ziel, die Einzelbilder zu einer „Grammatik der Gewalt“ zu verbinden, welche die „Logiken der Gewalt der Ustaša, die Motivationen der Täter und die Bedingungen, unter denen sie sich für die Ausübung von Gewalt entschieden, entschlüsselt werden.“ (S. 16).

Man kann Korb attestieren, dass ihm die Balance zwischen Quellennähe und Generalisierung gelungen ist. Korb verbindet Mikro- und Makroperspektive auf seinen Gegenstand angemessen, verschont bei aller Detailliertheit seine Leser mit manchen Volten bzw. verbannt diese in Fußnoten. Nicht zuletzt verfolgt er konsequent seine Fragestellung. Auf der Habenseite steht auch die für eine Dissertation klar überdurchschnittliche Auswertung von Archiven, die Korb in 11 Ländern ausfindig gemacht hat. Lobenswert ist auch, dass Korb sich nicht nur mit der Rolle der deutschen, sondern auch der italienischen Besatzungsmacht auseinandergesetzt und dazu sowohl italienische Sekundärliteratur als auch italienische Archive eingesehen hat. Überhaupt ist die Darstellung der Beziehungen zwischen den Ustaše und ihren deutschen und italienischen Schutzherrn eine der starken Seiten des Buchs. Korb hat seine Untersuchung auf die Jahre 1941–42 beschränkt, was angesichts der grundsätzlichen Logiken der Ustaša-Gewalt, auf die er hinauswill, durchaus akzeptabel ist. Denn deren selbständiges Profil lässt sich vor allem in dieser Zeit zeigen, wogegen in den weiteren Kriegsjahren die Rolle der Wehrmacht und der Partisanenkampf immer dominanter wurden.

Dass das Werk dennoch nicht vollkommen überzeugen kann, liegt am Missverhältnis zwischen der Intention des Autors und den verfügbaren Quellen. Eine Grammatik der Gewalt ist leichter zu postulieren als zu schreiben. Denn Gewalt ist nicht nur, wie Korb in Anlehnung an Jörg Baberowski feststellt, eine „jedermann zugängliche und dadurch attraktive Handlungsoption“ (S. 18), sondern gleichzeitig ein Phänomen, das menschliche Gesellschaften seit jeher einzuhegen versucht haben, um das Zusammenleben erträglicher zu gestalten. Weil Gewalt gesellschaftlichen Tabus unterliegt, sind in der Regel auch nur bestimmte Aspekte derselben kommunikabel, ein großer Teil dagegen fällt unter ein Rede- und Zeigeverbot und wird meist auch strafrechtlich verfolgt. Dies galt sogar in einem ausgesprochenen Gewaltregime wie dem Ustaša-Staat, dessen Zagreber Zentrale sich zwar brutaler Milizen als Herrschaftsmittel bediente, aber (oft auf deutschen Druck hin) gleichzeitig versuchte, sie einzuhegen und ihre Gewalt berechenbarer zu machen (S. 266, 348–349). Es war daher für Gewalttäter nicht opportun, allzu viele Spuren des eigenen Tuns zu hinterlassen oder die Motive zu reflektieren. Man muss davon ausgehen, dass viele Quellen spätestens in der Endphase des Krieges von der Ustaša selbst vernichtet wurden.

Korb gibt die Quellenproblematik auch offen zu (S. 37), ohne allerdings die letzte Konsequenz daraus zu ziehen – je schwächer die Quellen, desto zurückhaltender sollten auch unsere Thesen sein.  Dass man in Archiven wenige Hinweise auf zentrale Planung von Massenmorden findet, hängt wahrscheinlich auch mit der Angst der späten Ustaša-Führung vor der Rache der Sieger  zusammen. Von daher wirkt Korbs häufige Verneinung des Intentionalismus und sein Beharren auf der Eigenlogik der Gewalt mitunter etwas überzogen.

Aufmerksamkeit verdienen seine Befunde aber allemal. Korb zeigt, dass Ideologie bei den Ustaše eine insgesamt geringere Rolle spielte als bei den Nationalsozialisten, dass die Ustaša-Ideologie vage war, zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich ausgedeutet und selektiv angewandt wurde. Unverrückbar im Zentrum stand die Schaffung eines ethnisch homogenen kroatischen Nationalstaats, wogegen rassistische Vorstellungen erst an zweiter Stelle kamen. Massaker wurden vor allem dort verübt, wo der Ustaša-Staat keine funktionierende Administration aufbauen konnte, weil der Bewegung eine Massenbasis fehlte. In entlegene Gegenden Bosnien-Herzegowinas etwa wurden Milizen entsandt, deren harter Kern aus Emigranten bestand, die in der Zwischenkriegszeit in italienischen Lagern zu professionellen Gewalttätern sozialisiert worden waren. Ihnen schlossen sich teilweise junge Männer vor Ort an, gemeinsam terrorisierte man die orthodoxe Bevölkerung, so dass jegliche Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben, ähnlich wie im jüngsten Bosnienkrieg, innerhalb kürzester Zeit zerschlagen wurde (S. 279–280). Auch Umsiedlungsaktionen konnten sich in Massaker verwandeln, was Korb auch als Reaktion auf logistische Probleme erklärt. Nachdem die Wehrmacht die Vertreibung der orthodoxen Bevölkerung nach Serbien teilweise blockiert hatte, kam es in Auffanglagern an der Grenze zu Hunger und Seuchen, bis schließlich Milizen und Wachen die Lage mit Massentötungen ‚unter Kontrolle‘ brachten.

Da die Massaker zu Aufständen und Massenfluchten führten, brach der Ernteertrag schon im ersten Jahr der Ustaša-Herrschaft ein, so dass im Jahr 1942 der Kampf um Nahrung zum entscheidenden Moment wurde – Bauern wurden jetzt (oft unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit) entweder als Nahrungsmittelproduzenten geschützt und vereinnahmt oder aber als Versorger der Partisanen attackiert (S. 329 ff.).

Während manche Massaker eher heimlichen Charakter hatten, gab es auch solche mit starker kommunikativer Komponente, wobei offenbar den Serben die eigene Schwäche demonstriert, ihre Kultur gedemütigt und eine Atmosphäre der Angst verbreitet werden sollte. Während die Milizen sich direkt am Hab und Gut der Ermordeten und Vertriebenen bereicherten, investierten zivile Verwaltungsstäbe, welche vor Ort die Umsiedlungsprogramme umsetzen sollten, das Eigentum der Serben oft in sozialpolitische Maßnahmen, von denen die ‚erwünschten‘ Bevölkerungsteile profitierten (S. 192).

Serben waren die erste verfolgte Gruppe; die Gewalt gegen sie begann kurz nach der Machtübernahme im April 1941 und ging Hand in Hand mit dem Versuch der Ustaše, ihre Macht und den kroatischen Hegemonieanspruch auf dem Territorium des USK durchzusetzen. Erst im Sommer 1941 begann physische Massengewalt gegen Juden, wobei Korb diese Abfolge als einen „Lernprozess“ beschreibt – im Umgang mit der serbischen Frage etablierte sich Vertreibung als Mittel der Wahl, und die Täter entwickelten Routinen der Gewalt (S. 196), die sie dann auch auf die jüdische Bevölkerung anwendeten. Die Juden wurden zunächst in kroatische Lager deportiert, um sie vom Rest der Gesellschaft zu isolieren. Als auch hier der erhoffte Weitertransport in ausländische Ziele stockte, häuften sich die Massaker, bis im August 1942 der Abtransport nach Auschwitz geregelt wurde. Korb ist sich nach dem Studium der Akten nicht sicher, ob die Ustaša-Führung wusste, welches Schicksal die Juden in den deutschen Vernichtungslagern erwartete (S. 416). Als dritte Gruppe wurden im Juni 1942 die Roma in das Lager Jasenovac deportiert, wo die meisten von ihnen getötet wurden bzw. umkamen. Auch hier betont Korb, dass er keine Dokumente gefunden habe, die eine generelle Vernichtungsabsicht belegen. Er konzediert allerdings die koordinierte Beteiligung verschiedener Organe des USK und ein „gewisses Maß an vorheriger Planung“ (S. 413).

Korbs Geschichte der Ustaša-Gewalt mag durch ihre Komplexität die Geschichtslehrer des Kontinents irritieren – aber im Regen stehen lässt er sie nicht. In seinem Resümee macht er einen Vorschlag zur Integration seiner Erkenntnisse in die europäische Erinnerungskultur. Wenn man den Judenmord als „negativen Gründungsmythos Europas“ verinnerliche, dann müsse man bedenken, dass der Holocaust kein monolithisches Phänomen sei, sondern „einem Puzzle“ ähnele, in dem „die Gewalt lokal, regional wie national unterschiedliche Formen annahm. Darin, und nicht in einem europäischen Meisternarrativ, liegt die Zukunft der Erinnerung.“ (S. 449 ff.) Dem muss man, trotz mancher offen gebliebener Fragen, wohl zustimmen.

Klaus Buchenau, Regensburg

Zitierweise: Klaus Buchenau über: Alexander Korb: Im Schatten des Weltkriegs. Massengewalt der Ustaša gegen Serben, Juden und Roma in Kroatien 1941–1945. Hamburg: Hamburger Edition, 2013. 510 S., 33 Abb. = Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts. ISBN: 978-3-86854-259-2, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Buchenau_Korb_Im_Schatten_des_Weltkriegs.html (Datum des Seitenbesuchs)

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