Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  3 (2013), 3 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Klaus Buchenau

 

Emily Greble: Sarajevo, 1941–1945. Muslims, Christians, and Jews in Hitler’s Europe. Ithaca, NY, London: Cornell University Press, 2011. XVII, 276 S., 13 Abb., 3 Ktn. ISBN: 978-0-8014-4921-5.

Lokalgeschichte istin“ – sicher zu Recht. Die Beschränkung auf einen konkreten Ort ermöglicht es, bei Recherchen in die Tiefe zu gehen, nahe bei historischen Akteuren zu sein, und auf nüchtern-empirische Art so manche Meistererzählung zu relativieren. Diese Vorzüge zieren auch die Dissertation der US-Historikerin Emily Greble, die sich Bosniens Hauptstadt Sarajevo während des Zweiten Weltkriegs näher angeschaut hat. Von 1941 bis 1945 gehörte Sarajevo zumUnabhängigen Staat Kroatien, und die bosnischen Muslime galtenzumindest offiziellals besonders edler Teil der kroatischen Nation. In der Historiographie waren lange Zeit Zugänge dominierend, in denen es eher großflächig um das Verhältnis zwischen den Tito-Partisanen, den deutschen Besatzern und den mehr oder weniger mit ihnen kollaborierenden Kräften der einzelnen ethnokonfessionellen Gruppen ging. Dieser Zugang führte in eine Betonung der ideologischen Gegensätze, die als konstitutiv für das Geschehen vor Ort betrachtet wurden. Die Handlungslogiken örtlicher Macht- und Gewaltausüber kamen dagegen selten vor; dasselbe galt für den Alltag und die Überlebensstrategien der Beherrschten. Jüngere Forscher haben sich deshalb mit einem stärker lokalen Fokus dem bosnischen Kriegsschauplatz erneut zugewandt, und Emily Greble gehört zu ihnen.

Ihr Interesse geht weg von nationalen und politischen Programmen und hin zu lokalen Beziehungen in Sarajevo. Der Leser vollzieht den Perspektivenwechsel zwangsläufig mit und schaltet dabei vom moralisierend-ideologischen Lesemodus auf einen teils nüchternen, teils mitfühlenden Beobachtermodus um. Das ist folgenreich. Der Ustascha-Staat erscheint in seiner konkreten Ausprägung vor Ort weniger als Instrument einer Ideologie. Stattdessen sehen wir ein nepotistisches System voller Ausnahmen und Privilegien für die gut Vernetzten; eine unfähige, von Zagreb bestellte Administration, die viele Hoffnungen in den neuen Staat schnell zerstört; einen Antagonismus zwischen den bürgerlichen Stadteliten und bäuerlich-katholischen Ustascha-Emissären aus der Provinz, die sich in Sarajevo kulturell nicht zurechtfinden und die nicht willens sind, die offiziell proklamierte Gleichberechtigung der muslimischen Staatsbürger auch in die Praxis umzusetzen.

Während derartige Erkenntnisse sicher bereichernd sind, wird Grebles Blick auf die lokale Kollaboration mit den Ustascha-Kräften manchen Leser nervös machen. Greble behandelt das Thema weitgehend ohne moralische Anklage und schildert stattdessen die Ziele, die einzelne Kollaborateure verfolgtenwie das islamische Oberhaupt Fehim Spaho, der die Ustasche ansetzen wollte, um die Prostitution in der Stadt zurückzudrängen; oder der katholische Erzbischof Ivan Šarić, der mit Hilfe der Ustaše endlich die Macht des ungehorsamen Franziskanerordens brechen wollte. Trotz vieler interessanter Details fehlt es hier allerdings an historischem Hintergrund. Greble deutet an, wie fremd den katholischen und muslimischen Stadteliten sowohl der Säkularismus des ersten Jugoslawiens als auch der Atheismus der Kommunisten war, aber sie beschäftigt sich nicht wirklich mit den Ideenwelten, in denen zumindest der religiöse Teil dieser Elite lebte. Hätte sie es getan, so wäre ihr aufgefallen, dass eine tiefe Skepsis gegenüber der Moderne den Boden für die Kollaboration mit dem Dritten Reich und seinen Satellitenstaaten bereitete. Die Schnittmenge mit den rechtsgerichteten politischen Ideologien der Zeit war oft begrenzt, aber sie reichte eben doch aus, temporäre Koalitionen herzustellen.

Viele Historiker wollen historische Wirklichkeit abbilden und scheitern, weil die Quellen nur einen kleinen Ausschnitt dieser Wirklichkeit beleuchten. An dieser Schwäche leidet auch Grebles Buch. Sie schreibt am meisten über die Gruppen, die schriftliche Spuren hinterlassen habenund das waren Muslime und Katholiken. Dagegen erfahren wir weniger über diejenigen, die in der Ustascha-Ordnung keinen Platz hatten, also Juden und orthodoxe Serben. Diese Schwäche ist zum Teil unvermeidlich, allerdings bleibt unverständlich, weshalb eine so zentrale Persönlichkeit wie der wahrscheinlich in einem kroatischen Konzentrationslager ermordete orthodoxe Metropolit von Sarajevo Petar Zimonjić kein einziges Mal vorkommt. Problematisch ist auch, dass Greble ihre Quellen häufig durch das Prisma des heroisch-leidenden Sarajevo der 1990er Jahre liest. Die muslimischen und mit Einschränkungen auch die katholischen Notabeln des Zweiten Weltkriegs erscheinen dementsprechend als heimliche Helden und als einzig verbliebene Anwälte von Humanität und Toleranz in einer brutalisierten Umwelt voller Feinde.

Trotz dieser Unausgewogenheit sind Grebles Einblicke in Sarajevos interkonfessionelles Geflecht während der Kriegsjahre lesenswert. Sie zeigt zum Beispiel, dass jüdische Einwohner häufig von Nichtjuden versteckt wurden; dass die Stadtverwaltung oft relativ verantwortungsbewusst mit jüdischem und serbischem Eigentum umging, das ihr nach der Deportation dieser Gruppen zufiel; dass sie im Umgang mit den Serben deutlich milder als die Ustascha-Strukturen der Stadt war undunpolitische Serben nicht als Gefahr betrachtete, so dass viele von ihnen den Krieg in der Stadt überdauerten, teilweise sogar als Mitglieder des Stadtrats. Wichtig ist auch Grebles Befund, dass ähnlich wie im Bosnienkrieg der 1990er Jahre nicht nur konfessionelle Grenzen von Bedeutung waren, sondern auch der Stadt-Land-Gegensatz. Schon aus diesem Grunde konnten die Bürger Sarajevos, anders als im titoistischen Geschichtsbild dargestellt, bis kurz vor Kriegsende wenig mit den Kämpfern oben in den Bergen anfangenzu denen neben den Tschetniks auch die kommunistischen Partisanen gehörten.

Als Fazit bleibt: Emily Greble hat eine sehr lesbare Studie verfasst, die durch ihren Fokus auf Sarajevo neues Licht auf bekannte Themen wirft. Vorwerfen kann man ihr, dass sie Sarajevo gelegentlich als multikulturelle Bürgergesellschaft idealisiert, und dass sie internationale Forschungsliteratur ignoriert, sofern sie nicht auf Englisch vorliegt. Aber an diesen Umstand muss man sich in der heutigen Geschichtswissenschaft wohl gewöhnen.

Klaus Buchenau, Berlin

Zitierweise: Klaus Buchenau über: Emily Greble: Sarajevo, 1941–1945. Muslims, Christians, and Jews in Hitler’s Europe. Ithaca, NY, London: Cornell University Press, 2011. XVII, 276 S., 13 Abb., 3 Ktn. ISBN: 978-0-8014-4921-5, http://www.oei-dokumente.de/JGO/erev/Buchenau_Greble_Sarajevo.html (Datum des Seitenbesuchs)

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