Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 7 (2017), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Erich Bryner

 

Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts. 2 Bände. Hrsg. von Helmut Moll im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz. Paderborn [usw.]: Schöningh, 2015. CIX, 1828 S., zahlr. Abb. ISBN: 978-3-506-78080-5.

Inhaltsverzeichnisse:

http://d-nb.info/1100314377/04 und http://d-nb.info/1079039899/04

 

Im Anschluss an sein Schreiben Tertio millennio adveniente 1998 stellte Papst Johannes Paul II. fest, dass das zu Ende gehende 20. Jahrhundert als Folge von Nationalsozialismus, Kommunismus und vielen Rassenkämpfen unzählige Märtyrer hervorgebracht hat, Menschen aus allen Gesellschaftsschichten, die für ihren Glauben litten und starben. Bereits in der Mitte des 20. Jahrhunderts hatte der evangelische Theologe Kurt Dietrich Schmidt in seinem Grundriss der Kirchengeschichte darauf hingewiesen, dass das gegenwärtige Jahrhundert – obschon erst halb vergangen – „das blutigste der bisherigen Kirchengeschichte“ sei; in ihm sei es „in solchem Ausmaß zu direkter blutiger Verfolgung gekommen, dass alle Verfolgungen aller Jahrhunderte dadurch weit überboten sind“ (3. Aufl. 1960, S. 542, 550). Die russische Dichterin Nadežda Mandelštam nannte diese Zeit das „Jahrhundert der Wölfe“. Papst Johannes Paul II. trat energisch dafür ein, dass das Gedächtnis der Märtyrer für die Zukunft der Kirche sorgfältig bewahrt werde. Das vorliegende Martyrologium, das allein deutsche Christinnen und Christen umfasst, dient diesem Gedächtnis. Sorgfältige Forschung und Dokumentation konnten gegen 700 Blutzeugen ermitteln, Männer und Frauen, die in diesem zweibändigen Werk mit ausführlichen Beschreibungen ihres Lebens und Sterbens charakterisiert werden. Das Werk hat innerhalb kürzester Zeit bereits die sechste Auflage erreicht. Es ist laufend ergänzt worden. In die 6. Auflage wurden mehr als 100 Lebensbilder neu aufgenommen, die zuvor gründlich auf historische Zuverlässigkeit überprüft worden waren. Die Aufnahmebedingungen waren streng. Sie orientierten sich am Standardwerk des italienischen Theologen und Juristen Prospero Lambertini, des späteren Papstes Benedikt XIV., De servorum Dei beatificatione et beatorum canonisatione aus den Jahren 1734–1738. Drei Kriterien mussten für die Aufnahme in das Martyrologium erfüllt sein: Gewaltsamer Tod, Glaubens- und Kirchenhass der Verfolger und bewusste innere Annahme des Willens Gottes. Wurde beispielsweise jemand zum Tod verurteilt, die Exekution wurde aber nicht vollzogen, nahm die Kommission die betreffende Person nicht auf.

Es werden vier Kategorien von Märtyrern unterschieden. 1. Märtyrer aus der Zeit des Nationalsozialismus. Dieser Teil ist mit seinen über 1000 Seiten der umfangreichste. Dann folgen 2. die Blutzeugen aus der Zeit des Kommunismus auf weiteren rund 150 Seiten. Der 3. Teil ist mit Reinheitsmartyrien überschrieben; hier werden zahlreiche Frauen und insbesondere Ordensschwestern aufgeführt, die ihr Leben für ihren Glauben hingaben. Der 4. Teil ist den Blutzeugen aus den Missionsgebieten gewidmet.

Der 1. Hauptteil Blutzeugen aus der Zeit des Nationalsozialismus (1933–1945) ist alphabetisch nach den 25 Bistümer der damaligen Jahre, von Aachen bis Würzburg, unterteilt und enthält eine beeindruckend hohe Zahl von Blutzeugen, darunter über 160 Diözesanpriester, über 60 Ordensleute und eine Anzahl von Laien. Hauptgründe für Verhaftung und Todesurteile waren eine im christlichen Glauben verwurzelte regimekritische Haltung, die sich in der gottesdienstlichen Verkündigung, im Religionsunterricht, in der Jugendarbeit und im Engagement in katholischen Verbänden äußerte. Gefährdet waren Menschen, die sich für die verfolgten Juden einsetzten oder denen vorgeworfen wurde, sie würden auf Seiten von Partisanen kämpfen.

Auffällig und für die Geschichte Ostdeutschlands besonders bemerkenswert ist die Tatsache, dass ein hoher Anteil von Märtyrern auf die Visitaturen Ermland (40), Sudenten­land (32), Breslau (22) und Danzig (11) entfallen. Von den 40 Märtyrern in der Visitatur Ermland wurden die meisten von der nach Deutschland vorrückenden Roten Armee erschossen. Bekanntlich richteten sowjetische Soldaten bei ihrem Einmarsch ein entsetzliches Blutbad unter der deutschen Bevölkerung an. Priester, die sich um die Alten und Kranken in ihren Pfarreien kümmerten, die nicht nach dem Westen fliehen konnten, wurden oft spontan umgebracht, manchmal nur, weil sie durch ihre Kleidung als Geistliche erkennbar waren. 11 Geistliche und Laien starben nach ihrer Verschleppung in die Sowjetunion in einem Konzentrationslager in Russland oder auf dem Transport dorthin. Drei Männer erlitten den Märtyrertod durch die Nationalsozialisten, einer von ihnen im KZ Buchenwald, weil ihm Teilnahme am Widerstand vorgeworfen wurde, zwei im KZ Dachau wegen ihres aufopfernden Einsatzes für polnische Kriegsgefangene; Gottesdienste in polnischer Sprache zu halten, war streng verboten. Von den 22 Märtyrern der Visitatur Breslau wurden die meisten von den Nationalsozialisten umgebracht (Verdacht auf Landesverrat, Kritik an der Ideologie und an der Kirchenpolitik der Nazis, Teilnahme am Widerstand gegen Hitler, Einsatz für verfolgte Juden). Mehrere Priester wurden von Rotarmisten getötet. Einer wurde von einem sowjetischen Soldaten erschossen, weil er ihm keinen Schnaps gab, von einem anderen berichteten Augenzeugen, ein Russe sei an ihn herangekommen und habe ihm ohne einen äußeren Anlass eine Kugel in den Kopf gejagt. Von den 11 Blutzeugen in der Visitatur Danzig wurden die meisten wegen ihres Widerstandes gegen den Anschluss der Freien Stadt Danzig an das Reich 1939/40 im KZ Stutthof hingerichtet. Die Blutzeugen aus dem Sudentenland starben in Gefängnissen der Nationalsozialisten oder in Konzentrationslagern, zumeist in Dachau. Man hatte ihnen antinationalsozialistische Haltung, Kritik an der Besetzung der „Rest-Tschechei“, Kritik an der Kirchenpolitik, staatsfeindliche Predigten, illegales Hören von ausländischen Radiosendungen und Besitz von regimekritischer Literatur vorgeworfen; einem Priester kostete das laute Nachdenken, was mit Deutschland nach dem verlorenen Krieg geschehen sollte, das Leben. Missliebigen Religionslehrern wurde sexueller Missbrauch von Kindern angedichtet und vorgeworfen.

Der 2. Hauptteil von Zeugen für Christus ist den Märtyrern aus der Zeit des Kommunismus gewidmet. Unter der Überschrift Mit Deutschland verbundene Geistliche finden sich drei bekannte Namen: Adalbert von Neipperg, der Partisanen in Jugoslawien geistlich betreut hatte und 1948 in der Gegend von Belgrad erschossen wurde, Erzbischof Eduard Profittlich, der in Estland wirkte, von den Sowjets 1941 nach Sibirien deportiert wurde und 1942 völlig erschöpft  in einem Gefängnis starb, Petro Werhun, der 1954 in einem Arbeitslager in Ostsibirien ums Leben kam. Im Kapitel Sowjetischer Staatsterrorismus, Auflösung der Kirchen und Ermordung der Geistlichen wird das Martyrium von 95 russlanddeutschen Geistlichen und 17 Laien beschrieben. Viele von ihnen waren wegen angeblicher Spionage oder antisowjetischer Tätigkeit zum Tod verurteilt worden, manche auch nur, weil sie Kindern Religionsunterricht erteilt hatten, was seit 1936 verboten war. Die meisten erlitten in den Jahren von Stalins Massenterrors 1929–1937 den Märtyrertod. Über viele von ihnen hat man erst nach dem Ende der Sowjetunion Näheres erfahren, als die Archive geöffnet wurden. Die aufgeführten Namen und Kurzbiographien stehen stellvertretend für die vielen unbekannten Blutzeugen dieser Zeit. Grauenvolle Martyrien erlitten Geistliche und Laien unter den Donauschwaben, die seit dem Ende des Ersten Weltkrieges auf Ungarn, Rumänien und Jugoslawien aufgeteilt waren. Sehr viele von ihnen, einschließlich ihrer Geistlichen, waren gegen das Ende des Zweiten Weltkrieges den Truppen der Sowjetunion und ihrer Verbündeten schutzlos ausgeliefert, erlitten Plünderungen und Vergewaltigungen, wurden zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt, wo ein Teil von ihnen in den Arbeits- und Todeslagern starben, oder sie wurden in ihrer Heimat als politisch unzuverlässige Elemente erschossen. Ganze Dörfer wurden ausgelöscht.

Unter den Frauen, die im 3. Hauptteil des Werkes, überschrieben mit Reinheitsmartyrien (20. Jahrhundert), abgehandelt werden, finden sich Schülerinnen, Haushaltshilfen und zahlreiche Ordensschwestern aus verschiedenen Kongregationen. Hier waren das schlesische Neiße und das ostpreußische Braunsberg besonders betroffen, doch auch im donauschwäbischen Raum sowie in den Visitaturen Breslau, Danzig und Ermland waren Martyrien zu verzeichnen.

Es folgen im 4. Hauptteil des Werkes auf mehr als 300 Seiten die Martyrien von Missionarinnen und Missionaren in Asien und Afrika.

Ausführliche Register helfen das umfangreiche und sehr eindrückliche Werk besser zu erschließen.

Erich Bryner, Schaffhausen

Zitierweise: Erich Bryner über: Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts. 2 Bände. Hrsg. von Helmut Moll im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz. Paderborn [usw.]: Schöningh, 2015. CIX, 1828 S., zahlr. Abb. ISBN: 978-3-506-78080-5, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Bryner_Moll_Zeugen_fuer_Christus.html (Datum des Seitenbesuchs)

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