Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 5 (2015), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Katja Bruisch

 

David Moon: The Plough that Broke the Steppes. Agriculture and Environment on Russias Grasslands, 1700–1914. Oxford: Oxford University Press, 2013. XX, 319 S., 4 Ktn., 4 Tab., 2 Abb. = Oxford Studies in Modern European History. ISBN: 978-0-19-955643-4.

Russland und die Ukraine zählen gegenwärtig zu wichtigsten getreideproduzierenden Regionen der Welt. Angesichts der mehrere Jahrtausende zurückreichenden Geschichte des Getreideanbaus ist die systematische Kultivierung von Getreide in den europäischen Steppengebieten allerdings eine vergleichsweise junge Erscheinung; sie begann mit der Expansion des Russischen Imperiums nach Süden und Südosten im 18. Jahrhundert. In seiner jüngsten Monographie untersucht David Moon die Umwandlung der vor der Integration in das Zarenreich schwach und vorwiegend von Nomaden bevölkerten Region zur „Kornkammer Europas“, die im 20. Jahrhundert wiederholt die Begehrlichkeiten europäischer Machthaber wecken sollte. Dabei geht es ihm weniger um das Aufeinandertreffen von Kolonialherren und kolonisierter Bevölkerung, als um die Auseinandersetzung der Kolonisatoren mit einer ihnen unvertrauten naturräumlichen Umgebung. Moon will so die Geschichte des russischen Kolonialismus aus umweltgeschichtlicher Perspektive erzählen und stellt den Versuch zur Umwandlung der semiariden Landschaft in einen landwirtschaftlich genutzten Kulturraum in den Kontext eines „broader encounter between farmers, mostly of European origins, and environments around the world“ (S. 21–22). Als wichtigste Referenzregion betrachtet Moon die amerikanischen Great Plains, wo sich bei der Etablierung der Landwirtschaft ganz ähnliche Probleme ergaben wie in den Steppenregionen des Russischen Reichs.

Moon beginnt seine Untersuchung mit einer Auswertung von Reiseberichten und wissenschaftlichen Abhandlungen über die Steppenregion. In der Konstruktion der Steppe als einem Naturraum mit spezifischen Eigenschaften erkennt er die Wahrnehmungs- und Sehgewohnheiten der Besucher. Diese hätten mehrheitlich aus wald- und niederschlagsreichen Gegenden gestammt, in denen der Getreideanbau die wichtigste Säule der ländlichen Ökonomie bildete. Als charakteristische Merkmale der Steppenregion galten ihnen daher das weitgehende Fehlen von Wäldern und Wasser, die im Vergleich zu den traditionellen Getreideanbaugebieten Europas ausgesprochen hohe Fruchtbarkeit des Schwarzerdegebiets, die ungleiche Verteilung der Niederschläge über das Jahr und das hoch wachsende, silbrige Federgras, das Reisende wiederholt dazu veranlasste, die Steppe mit einem wogenden Meer zu vergleichen.

Zum Leidwesen vieler Zeitgenossen waren diese Eigenheiten der Steppe keineswegs unveränderlich. Angesichts der zunehmend intensiven Landnutzung wuchs im Laufe des 19. Jahrhunderts die Sorge, die Region könne jene Besonderheiten verlieren, die sie angesichts des beschleunigten Bevölkerungswachstums, der steigenden Binnennachfrage nach Agrarprodukten und verbesserter Bedingungen des Getreideexports so wertvoll machten. Die Befürchtung, das agrarwirtschaftliche Potential der südlichen Peripherie werde sich erschöpfen, beförderte das Nachdenken über die Bewahrung der Steppe als Ökosystem. Vor allem, wenn unerwartete Naturereignisse wie Dürren oder Staubstürme die Ernte vernichteten, setzten Debatten über einen möglichen Kausalzusammenhang zwischen menschlichem Handeln und den Veränderungen der Umwelt ein. Erscheinungen wie die Erosion des Bodens durch Wind oder Wasser, die Abnahme des ohnehin geringen Baumbestands oder der Rückgang der Bodenfruchtbarkeit, auf den man aus sinkenden Ernteerträgen schloss, wurden dann auch als Folgen einer verfehlten Nutzung der Steppe durch den Menschen diskutiert.

Welche Faktoren dabei als ursächlich identifiziert wurden, bestimmte wiederum die Maßnahmen, mit denen man auf die als problematisch wahrgenommenen Veränderungen der Umwelt reagierte. Moon beschreibt die Projekte zur Aufforstung und zur Errichtung künstlicher Bewässerungsanlagen als einen Prozess des ständigen trial and error. In dessen Verlauf sei der dem Kolonisierungsprozess zunächst implizite Anspruch einer Angleichung der Steppe an die Herkunftsregionen der Zuwanderer aufgegeben worden. Nach dem wiederholten Scheitern ambitionierter Bewaldungsprogramme habe das Anpflanzen von Bäumen zunehmend konkreten Zielen gedient: der Befestigung von Wanderdünen und Wasserläufen oder dem Schutz von Feldern und Siedlungen vor Staubstürmen. Eine vergleichbare Entwicklung beobachtet Moon bei den kostspieligen und vielfach wenig effektiven Maßnahmen zur Verbesserung der Wasserversorgung. Zwar investierte die zarische Regierung im späten 19. Jahrhundert in den Bau von Dämmen, Kanälen oder Teichen. Beseelt von dem Wunsch, die Baumwoll-, Tabak- und Teeproduktion auszuweiten, gab sie Bewässerungsprojekten in Zentralasien und dem Kaukasus jedoch zunehmend den Vorzug. Anstelle großer Kanalbauten beschränkte man sich in der europäischen Steppe daraufhin auf lokale Maßnahmen zum Auffangen und Speichern von Wasser. Eine andere Logik erkennt Moon hingegen bei der Suche nach geeigneten Verfahren des Getreideanbaus. Im Unterschied zu Aufforstungs- und Irrigationsprojekten hätten agronomische Maßnahmen darauf gezielt, die Nutzung der Steppe mit deren natürlichen Bedingungen in Einklang zu bringen. Hinter dem Experimentieren mit Fruchtfolgesystemen oder Pflugtechniken habe die Auffassung gestanden, dass Landwirtschaft, sollte sie zum Erfolg führen, die naturräumlichen Besonderheiten der Region einkalkulieren müsse.

Moons Arbeit belegt überzeugend, dass die Idee einer nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen nicht erst im 20. Jahrhunderts entstand. Er beschreibt die Integration der Steppe in die mentale Karte des Russischen Reichs, ihre Besiedlung und ackerbauliche Erschließung als einen Prozess der Wissensproduktion, in den neben ranghohen Staatsbeamten und Wissenschaftlern wie dem Doyen der russischen Bodenkunde Vasilij V. Dokučaev, auch Angestellte lokaler Selbstverwaltungen, Gutsbesitzer und Bauern involviert waren. Dabei geht Moon nicht nur auf die Übernahme zeitgenössischer Theorien und Praktiken aus dem Ausland ein. Er zeigt auch, dass die langjährige Auseinandersetzung mit der Steppe originäre Wissensbestände hervorbrachte, die, wie die genetische Bodenkunde, auch jenseits der Grenzen Russland rezipiert wurden. Zugleich macht Moon darauf aufmerksam, dass die koloniale Expansion des Russischen Imperiums mit einem möglicherweise unterschätzten Maß an Reflexivität einherging: Den Debatten über die Rolle des Menschen bei der Veränderung der Steppe inhärent war ein Unbehagen an doktrinären Entwicklungskonzepten. Trotzdem, so sein abschließendes Urteil, habe die landwirtschaftliche Erschließung der Steppe immer einem Kampf geglichen. Vor dem Ersten Weltkrieg seien nachhaltige Formen der Landwirtschaft nur zögerlich implementiert worden. Während der sowjetischen Herrschaft sei wertvolles Wissen über eine erfolgreiche Landwirtschaft in der Steppe sogar in Vergessenheit geraten. Im Kontext gegenwärtiger Diskussionen über die Ursachen des Klimawandels und der Suche nach nachhaltigen Formen der Landwirtschaft ist die Arbeit gerade dank dieser Beobachtung ein Verdienst; welches Wissen als handlungsrelevante Ressource anerkannt wird, ist schließlich immer auch das Ergebnis gesellschaftlicher und politischer Aushandlungsprozesse.

Katja Bruisch, Moskau

Zitierweise: Katja Bruisch über: David Moon: The Plough that Broke the Steppes. Agriculture and Environment on Russia’s Grasslands, 1700–1914. Oxford: Oxford University Press, 2013. XX, 319 S., 4 Ktn., 4 Tab., 2 Abb. = Oxford Studies in Modern European History. ISBN: 978-0-19-955643-4, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Bruisch_Moon_The_Plough_that_Broke_the_Steppes.html (Datum des Seitenbesuchs)

© 2015 by Institut für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg and Katja Bruisch. All rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact jahrbuecher@ios-regensburg.de

Die digitalen Rezensionen von „Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews“ werden nach den gleichen strengen Regeln begutachtet und redigiert wie die Rezensionen, die in den Heften abgedruckt werden.

Digital book reviews published in Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews are submitted to the same quality control and copy-editing procedure as the reviews published in print.