Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 5 (2015), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Mark Brüggemann

 

Michael Moser: Language Policy and the Discourse on Languages in Ukraine under President Viktor Yanukovych (25 February 2010 – 28 October 2012). Stuttgart: Ibidem, 2013. 495 S., Tab., Graph. = Soviet and Post-Soviet Politics and Society, 122. ISBN: 978-3-8382-0497-0.

Die sprachliche Situation und die Sprachpolitik in der postsowjetischen Ukraine ziehen seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein unvermindertes Forschungsinteresse auf sich, nicht zuletzt im Land selbst. Erwähnt seien hier auf ukrainischer Seite exemplarisch die Arbeiten der Soziolinguistin Larysa Masenko und des Politologen Volodymyr Kulyk (beide Kiew).  In der deutschsprachigen Slawistik hat insbesondere Juliane Besters-Dilger (Freiburg) zur Ukraine gearbeitet, u.a. als Koordinatorin eines 2008 abgeschlossenen internationalen Forschungsprojekts zur ukrainischen Sprachpolitik.

Michael Moser dagegen hat sich vor allem als Spezialist der ukrainischen (und dabei insbesondere galizischen) Sprachgeschichte einen Namen gemacht. Mit dem vorliegenden Band widmet er sich einem aktuellen und hochbrisanten Thema: der Sprachpolitik und dem metasprachlichen Diskurs in der Ukraine in den ersten rund zweieinhalb Jahren unter Staatspräsident Janukovyč.

Bereits vor der Präsidentenwahl 2010 hatte sich die regierendePartei der Regionen, die politische Heimat von Janukovyč, dafür ausgesprochen, das Russische zur gleichberechtigten Staatssprache neben dem Ukrainischen zu machen (S. 106). Der Umsetzung dieses Ziels standen die hohen Hürden für eine entsprechende Verfassungsänderung entgegen: Mindestens 300 Stimmen (d.h. eine Zweidrittelmehrheit) im Parlament und das positive Votum eines landesweiten Referendums wären dazu nötig gewesen (S. 35). Im Präsidentschafts-Wahlkampf 2009/2010 änderte das Janukovyč-Lager daher sein sprachpolitisches Programm. Als Ziel wurde fortan ausgegeben, die Lage der nicht ukrainischsprachigen Bevölkerung durch eine Reihe von Einzelgesetzen zu verbessern (S. 106).

Den Weg von dieser Änderung der sprachpolitischenAußendarstellung(die sich von der tatsächlichen Agenda unterscheidet) bis zum 2012 verabschiedeten Sprachgesetz zeichnet Moser in seiner Studie detailliert nach. Er verzichtet darauf, ihr den Forschungsstand zur Theorie der Sprachpolitik voranzustellen und die Untersuchung entlangklassischer‘ Gegenstandsbereiche von Sprachpolitik wie Statusplanung und Erwerbsplanung zu gliedern. Auch eine Diskussion von Diskurstheorien oder eine Einordnung über denFall Ukrainehinaus (mit Ausnahme eines kursorischen Vergleichs mit Belarus, S. 3135) erfolgt nicht. Diese geringe theoretische und komparatistische Rückbindung mag man der Studie vorwerfen. Allerdings sind die sprachpolitischen Handlungen und Debatten, um die es in der Monographie geht, noch zu jungen Datums, um sie bereits umfassend in den Kontext der sprachpolitischen Forschung einzuordnen. Zum anderen ist der deutlich erkennbare Wille des Verfassers positiv hervorzuheben, ein auch für Nicht-Linguistenspannendes‘ Buch zu schreiben.

Die seit 2010 verfolgte sprachpolitische Strategie des Janukovyč-Lagers stützte sich erstens darauf, dass das gültige ukrainische Sprachgesetz noch aus der späten Sowjetzeit (1989) datierte und eine Neufassung somit objektiv notwendig war (S. 29). Zweitens beriefen sich Spitzenpolitiker der Partei der Regionen immer wieder auf die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen (im Folgenden als Charta bezeichnet), ein Rechtsdokument des Europarates, das die Ukraine bereits 1996 unterzeichnet, aber erst 2005 ratifiziert und 2006 in Kraft gesetzt hatte (vgl. zur Geschichte der Annahme S. 7174). Neben zwölf weiteren Sprachen wurde mit der Ratifizierung das Russische unter den Schutz der Charta gestellt (S. 73). Der Wortlaut der Charta wiederum versteht unterregional or minority languagesSprachentraditionally used within a given territory of a State by nationals of that State who form a group numerically smaller than the rest of the States population(S. 75). Moser zufolge wird die russische Sprache somit nicht als Sprache der russischen nationalen Minderheit in der Ukraine geschützt, sondern, allgemeiner, alsRussian as used in Ukraine(S. 75). Da aber nicht nur die Russen in der Ukraine, sondern auch viele Ukrainer und Vertreter nicht-russischer nationaler Minderheiten das Russische als Erst- oder Zweitsprache benutzten, bleibe esa mystery why Russian was ever even acknowledged as a regional or minority language in Ukraine(S. 75).

Die Ukraine hattewie die weiteren Unterzeichnerstaatennur einen Teil der Charta-Bestimmungen ratifiziert; Moser zufolge übererfüllte sie diese Verpflichtungen in Bezug auf das Russische (S. 87). Dennoch argumentierte das Janukovyč-Lager  (wie auch andere russlandfreundliche Kräfte, etwa die Kommunisten), dass ein neues Sprachgesetz die von der Charta garantierten Rechte der Russischsprachigen besser schützen müsse. Kenntnisreich zeigt Moser auf, wie dabei eine scheinbar proeuropäische Rhetorik der Mehrsprachigkeit, Diversität und sprachlichen Menschenrechte zur Rechtfertigung des russischen Machtanspruchs dient. Dieser wiederum wird ganz offen von der Stiftung Russkij Mir (Russische Welt) formuliert, einer 2007 von der russischen Regierung gegründeten Denkfabrik für die auswärtige Kultur- und Sprachpolitik (S. 140155).

Moser belegt die enge Verflechtung prominenter Akteure der ukrainischen Sprachpolitik mit Russkij Mir und ideologisch nahestehenden (bzw. von Russkij Mir finanzierten) ukrainischen Organisationen. Als solche Akteure identifiziert er u.a. den damaligen Bildungsminister Dmytro Tabačnyk und den Sprachpolitik-Beauftragten derPartei der Regionen, Vadym Kolesničenko, deren politischen Biographien, Handlungen und Debattenbeiträgen jeweils ein separates Kapitel gewidmet ist (S. 181210; S. 211246; hinzu kommt Olena Bondarenko, damals Vorsitzende des Parlamentsunterausschusses für elektronische Medien, S. 247260). Das 2012 schließlich verabschiedete Sprachgesetz geht u.a. auf Kolesničenko zurück, der zur entscheidenden Parlamentssitzung in einem T-Shirt mit dem AufdruckZa russkij jazyk! Za naše edinstvo!(Für die russische Sprache! Für unsere Einheit!, S. 337) erschien. Das Gesetz, das die Einführung des Russischen (wie anderer Sprachen) als Regional- oder Minderheitensprache ermöglichte, war im Entwurfsstadium national wie international massiv kritisiert worden und erhielt die Zustimmung des Parlaments unter fragwürdigen Umständen (S. 297412). Nach diesem Etappenerfolg der prorussischen Kräfte prognostiziert der Verfasser in seinem vor Beginn des Euromaidan verfassten Ausblick eine Rückkehr zur alten Strategie, d.h. dass[t]he upcoming initiatives will inevitably strive for the establishment of Russian as a second state language(S. 417).

Insgesamt ist Michael Moser eine fundierte und hervorragend lesbare, auf einer breiten Basis von Presse- und Internetquellen fußende Studie gelungen. Zu kritisieren ist neben dem Fehlen eines Personenregisters sowie eines Anhangs mit dem Wortlaut des Sprachgesetzes, dass der Verfasser stellenweise die gebotene Distanz vermissen lässt und in einen polemischen Ton verfällt, etwa wenn er  genüsslich dieRussischfehlerKolesničenkos aufzählt (z.B. S. 327). Dem Autor nicht anzulasten ist hingegen die sehr schlechte Verarbeitung der Paperback-Ausgabe, auf die sich die vorliegende Besprechung bezieht.

Mark Brüggemann, Oldenburg

Zitierweise: Mark Brüggemann über: Michael Moser: Language Policy and the Discourse on Languages in Ukraine under President Viktor Yanukovych (25 February 2010 – 28 October 2012). Stuttgart: Ibidem, 2013. 495 S., Tab., Graph. = Soviet and Post-Soviet Politics and Society, 122. ISBN: 978-3-8382-0497-0, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Brueggemann_Moser_Language_policy.html (Datum des Seitenbesuchs)

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