Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 6 (2016), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Christoph Augustynowicz

 

Damian Szymczak: Galicyjska ambasada“ w Wiedniu. Dzieje Ministerstwa dla Ga­licji 1871–1918. Poznań: Wydawn. Poznańskie, 2013. 361 S. = ISBN: 978-83-7177-852-0.

Galizien als thematisches und motivisches Feld von Begegnung, Verflechtung und Reibung unterschiedlicher ethnischer Gruppen einerseits und von Verwerfungen und Ungleichzeitigkeiten der gesellschaftlichen und politischen Modernisierungsprozesse andererseits bleibt offensichtlich in den historisch-kulturwissenschaftlichen Fächern ergiebig.

Mit der hier zu besprechenden Monographie liegt allerdings ein Beitrag zur Geschichte politischer Institutionen vor, wie er in den letzten Jahren eher selten geschrieben wurde. Solide ausgebildet, geht der Autor dementsprechend – im besten Sinne des Wortes – konventionell unter hauptsächlich chronologischen Gesichtspunkten an das Thema heran: Er widmet sich zunächst der Entstehung der Idee einer für Galizien zuständigen Institution (Kanzlei/Ministerium) seit dessen Annexion durch die Habsburgermonarchie (Kapitel I), charakterisiert dann Rechtsgrundlagen und praktisches Funktionieren des Ministeriums, aber auch Kontroversen um seinen Bestand (Kapitel II), bevor er dessen engere Geschichte in den Jahren 1871 bis 1918 in fünf Kapiteln darstellt, welche in sich vornehmlich nach Personen (v. a. nach den Ministern) strukturiert sind. Die Gliederungskriterien sind stark an der jeweiligen Situation der polnischen Ethnie im Rahmen der Habsburgermonarchie orientiert, die ethnische Vielschichtigkeit der Akteure Galiziens in ihrer Gesamtheit (Ruthenen, Juden) wird eher implizit behandelt – für die Situation in Wien und somit auf der Regierungsebene der Gesamt-Habsburgermonarchie ist die suggerierte und beanspruchte polnische Dominanz durchaus stimmig und ein treffender Spiegel der Verhältnisse in Galizien. So sieht der Autor eine Phase von Föderalismus und Zentralismus bis 1879 (Kapitel III), verortet einen Zenit polnischer Einflüsse in den Jahren 1879 bis 1897 (Kapitel IV), fokussiert einen Abschnitt vom Ende der polnisch dominierten Kabinette und Regierungen bis zur allgemeinen Wahlrechtsreform von 1907 (Kapitel V), folgt durchaus breit etablierten Vorstellungen und Vorgaben zur Verfassungs- und Ereignisgeschichte, wenn er eine Epoche des „Volksparlamentes“ der Jahre 1907 bis 1914 (Kapitel VI) und schließlich die Zeit während des Ersten Weltkriegs (Kapitel VII) unterscheidet, um mit einer knappen Zusammenfassung zu schließen.

Mit der vorliegenden Arbeit wird somit ein ganz essenzielles Forschungsdesiderat bedient, da die Geschichte einer doch etwas in Vergessenheit geratenen Institution geschrieben wird. Das grundsätzliche Gelingen dieses grundlegenden Unterfangens spiegelt sich vor allem in einer überaus beeindruckenden Fülle und Dichte von verarbeiteten Quellen wider: Neben unpubliziertem Material aus 16 (!) Archiven und Bibliotheken in Polen (vor allem Krakau und Warschau, aber auch Breslau, Rzeszów und Tar­nów) und der Ukraine (Lemberg), sowie in Österreich (Wien) und der Tschechischen Republik (Brünn), sind publizierte Erinnerungen und Memoiren, Akteneditionen und – damit nicht genug – 47 (!!!) Periodika verarbeitet. Positiv fällt darüber hinaus die breite Berücksichtigung von Forschungsständen vor allem polnisch- und deutschsprachiger, aber auch ukrainisch-, tschechisch- und slowakischsprachiger Provenienz auf. Der Autor weist beeindruckend breite und differenzierte Kenntnisse zur Situation der Nationsbildungsprozesse in der Habsburgermonarchie nach, etwa in den böhmischen Ländern, in Krain, Istrien oder Dalmatien, aber naheliegenderweise auch bei den Ruthenen oder nicht zuletzt bei den Deutsch-Österreichern. Hervorzuheben ist ferner die gute Kenntnis des österreichischen Forschungsstandes, die dem Autor sogar ermöglicht, eine Reihe unpublizierter Qualifikationsarbeiten zu seinem Thema zu berücksichtigen. Die Studie ist mit einem Personennamensverzeichnis zufriedenstellend ausgestattet.

Wollte man an die Behandlung des Themas noch Wünsche herantragen, dann könnten diese in einer noch breiteren und expliziteren Kontextualisierung bestehen, die zumindest punktuell realisierbar wäre – sei es hin zu den dynamisierenden Faktoren des 19. Jahr­hunderts wie Nationalismus und Modernisierung, sei es hin zu den funktionalen Verflechtungen mancher der untersuchten politischen – und häufig auch wirtschaftlichen – Akteure auch in internationalen Zusammenhängen. Einschlägige Forschungsarbeiten zum galizischen Sozialismus (Kerstin S. Jobst) oder entsprechende Memoirenliteratur zum Unternehmertum (Alfred Antoni Potocki) liegen ja vor. Auch eine Berücksichtigung der englischsprachigen Forschung zur Habsburgermonarchie (Robert A. Kann) und zu Galizien (Larry Wolff) hätte der Arbeit mit wenig Mühe noch mehr Horizont verliehen.

Abschließend kann und soll jedoch wiederholt werden, dass mit der vorliegenden Studie durch grundlegende und gründliche Arbeit ein Stück Institutionengeschichte auf monographischer Ebene vor dem Vergessen bewahrt wurde – Signifikanteres kann man über die Relevanz einer historiographischen Arbeit eigentlich nicht sagen.

Christoph Augustynowicz, Wien

Zitierweise: Christoph Augustynowicz über: Damian Szymczak: Galicyjska „ambasada“ w Wiedniu. Dzieje Ministerstwa dla Galicji 1871–1918. Poznań: Wydawn. Poznańskie, 2013. 361 S. = ISBN: 978-83-7177-852-0, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Augustynowicz_Szymczak_Galicyjska_ambasada.html (Datum des Seitenbesuchs)

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