Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 8 (2018), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Christoph Augustynowicz

 

Alexander Basilevsky: Early Ukraine. A Military and Social History to the Mid-19th Century. Jefferson, NC: McFarland, 2016. VII, 397 S., Abb., Ktn. ISBN: 978-0-7864-9714-0.

Die geschichtswissenschaftliche Beschäftigung mit der Ukraine bleibt angesichts ihrer anhaltenden medialen Präsenz fruchtbar, treibt aber gelegentlich kuriose Blüten. Im vorliegenden Fall etwa widmet sich mit Alexander Basilevsky ein Mathematiker und Statistiker der Geschichte der Ukraine und insbesondere der Kosaken bis zum Ende des 18. Jahrhunderts.

Prinzipiell hat eine quantifizierende Herangehensweise an die Sozialgeschichte militärischer Institutionen durchaus Potential für demographische und sozioökonomische Präzisierungen. Die Gliederung in 17 Kapitel folgt dann aber vorrangig chronologischen Ge­sichtspunkten und berücksichtigt stets größere Zusammenhänge (Römisches Reich, Rus, Kreuzzüge, Mongolen, Moskowien/Russländisches Reich); der Schwerpunkt liegt auf dem 17. Jahrhundert, das der Autor als Höhepunkt der kosakischen, gleichermaßen anti-feudal wie anti-herrschaftlich akzentuierten Autonomie sieht. Gerahmt wird dieser Hauptteil von einer Einführung über die Bedeutung der Ukraine in der jüngeren Vergangenheit (wesentlicher Träger des Widerstandes gegen und des Sieges über Hitler-Deutschland, Gründungsmitglied der UNO, militärisches Engagement in Afghanistan) einerseits und einem Epilog über die Erringung und Verteidigung der modernen staatlichen Eigenständigkeit der Ukraine andererseits. Als Grundlage dienen überwiegend englischsprachige Forschungsarbeiten großteils ukrainischer Provenienz sowie vereinzelt edierte historische Quellen (mittelalterliche Chroniken, neuzeitliche Reiseberichte, Statistiken).

Umfang und Qualität der verarbeiteten Literatur sind somit durchaus respektabel. Unmissverständlich ist die einleitend dargelegte Motivation einer Abgrenzung zu imperialen historiographischen Strömungen im Sinne des Russländischen Reiches, aber auch der Habsburgermonarchie oder zu polnischen Ansprüchen auf ukrainische Gebiete in der Zwischenkriegszeit. Ausdrücklich Recht hat Basilevsky etwa mit seiner Kritik daran, dass die Kosaken vor allem von Laien allzu leicht und unreflektiert mit zarischer Herrschaft gleichgesetzt werden (S. 6). Gelegentlich nutzt er seine mathematisch-statistischen Kennt­nisse erwartungsgemäß, wenn auch grundlegend – etwa zum Getreidehandel in der Ostsee (S. 291) oder zur Alphabetisierungsrate in Europa im 16. und 17. Jahrhundert (S. 302). Die Studie ist großzügig mit kurz kommentiertem Bildmaterial sowie mit einer Reihe von Landkarten und einem kurzen Sachwort- und Personennamensverzeichnis ausgestattet.

Gerade die Motivation eines Mathematikers und Statistikers, eine Sozial- und Militärgeschichte der Ukraine zu schreiben, bleibt – über die sicher ehrenwerte Begeisterung für die historische Bedeutung der Ukraine hinaus – allerdings unklar. Eine Reihe inhaltlicher und methodischer Probleme und Unschärfen kann nicht übersehen werden: Zunächst fällt eine starke teleologische Ausrichtung der ukrainischen Geschichte auf die zu einem Höhepunkt stilisierte Herrschaft der Kosaken auf, die bereits im Einbandtext deutlich wird. Dieser Umstand wirkt sich auch auf die Proportionierung des Inhalts aus, denn alleine dem zur Revolution stilisierten Aufstand in der Mitte des 17. Jahrhunderts unter Hetman Bohdan Chmelnickyj werden drei Kapitel (S. 12–14) gewidmet. Auf einer Karte (S. 3) bleibt der Status Ostgaliziens (Lemberg) in der Zwischenkriegszeit unklar und wird als der ukrainischen Sowjetrepublik zugehörig suggeriert. Umso widersprüchlicher liest sich in der Folge der Vorwurf gegenüber der ukrainischen Diaspora-Geschichtsschreibung im nördlichen Amerika, durch Berücksichtigung Galiziens und der Karpatho-Ukraine eine Dichotomie zwischen West- und Ostgalizien aufzumachen, hätten doch die Kosaken eine politische Einheit geschaffen und die Bezeichnung Ukraina für sie beansprucht. Galizien und insbesondere die griechisch-katholische Kirche werden stark und pauschal als Kollaborateure Hitler-Deutschlands gesehen – auch gegen die ukrainische Orthodoxie. Ferner wird russischer Totalitarismus bereits im 18. Jahrhundert verortet (S. 4) – ungeachtet des Umstandes, dass diese Deutung anachronistisch ist, zumal die technischen Möglichkeiten für totalitäre Herrschaftsformen vor dem 20. Jahrhundert schlichtweg nicht gegeben waren. Befremdlich ist ferner der Umstand, dass die antisemitischen Ausschreitungen unter Chmelnickyj zwar nicht geleugnet (S. 263–266), jedoch mit dem Vorwurf gegenüber der westlichen Historiographie, sie übermäßig zu akzentuieren (S. 6), implizit marginalisiert werden. Auffallend ist hinsichtlich des sensiblen Bereiches historischer Bildinterpretation schließlich, dass Historienmalerei des 19. Jahrhunderts – noch dazu ohne Ausweisung – als historische Quelle für das Mittelalter genutzt wird, nämlich Viktor M. Vasnecovs Recke an der Kreuzung (Vitjaz na razput’e) von 1878 zur Veranschaulichung eines bewaffneten Reiters der Kiever Rus im 12. Jahrhundert (S. 121).

Um es zusammenzufassen: Die vorliegende Arbeit kann den hoch entwickelten Forschungsstand der ukrainisch-englischsprachigen Historiographie, deren wichtige synthetische Positionen (Hrytsak, Magocsi, Subtelny) Basilevsky ja kennt und ausdrücklich ausweist, allein in Nuancen, aber nicht grundlegend ergänzen – geschweige denn ersetzen.

Christoph Augustynowicz, Wien

Zitierweise: Christoph Augustynowicz über: Alexander Basilevsky: Early Ukraine. A Military and Social History to the Mid-19th Century. Jefferson, NC: McFarland, 2016. VII, 397 S., Abb., Ktn. ISBN: 978-0-7864-9714-0, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Augustynowicz_Basilevsky_Early_Ukraine.html (Datum des Seitenbesuchs)

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