Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 64 (2016), H. 4, S. 668-669

Verfasst von: Christophe von Werdt

 

Jürgen Heyde: Transkulturelle Kommunikation und Verflechtung. Die jüdischen Wirtschaftseliten in Polen vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Wiesbaden: Harrassowitz, 2014. VIII, 280 S. = Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien, 29. ISBN: 978-3-447-10311-4.

Jürgen Heyde tritt in seiner Habilitationsschrift mit dem Anspruch an, eine neue Perspektive auf die jüdisch-polnischen Beziehungen des späten Mittelalters zu eröffnen. Einig ist sich die Geschichtswissenschaft in der Nachfolge von Jakub Goldberg darüber, dass es polnische Geschichte ohne ihren jüdischen Bezug nicht gibt – und umgekehrt. Doch dominierten bisher zwei Zugänge die Erforschung der jüdisch-polnischen Geschichte, die Polen und Juden primär als sozial-religiöse Gruppen darstellten, die sich zwar begegneten, aber weitgehend voneinander getrennt agierten. So befanden sich einerseits die wirtschaftlichen Abhängigkeiten zwischen jüdischen Vermittlern und adeligen Grundherren im Fokus des Interesses und anderseits die Binnenentwicklung der jüdischen Gemeinschaft Polen-Litauens mit ihren spezifischen Strukturen der autonomen Selbstverwaltung.

Heyde strebt demgegenüber mit seiner Untersuchung „eine multipolare, transkulturelle Kommunikations- und Verflechtungsgeschichte“ (S. 4) an. Um diese vor uns auszubreiten, wählt er drei „Arenen“ der Interaktion: die Arena des Politischen, in der die rechtliche und gesellschaftliche Stellung der Juden Polens verhandelt wurde, die Arena der Wirtschaftsbeziehungen und Geschäftskontakte, sowie schließlich die Arena der Verwaltungspraxis und ihres personalen Apparats im Königreich Polen. Der Begriff der „Arena“ beschreibt dabei Prozesse der transkulturellen Interaktion und Kommunikation, bei denen es neben den eigentlichen Akteuren auch ein „Publikum“ gibt, das diese rechtlichen und gesellschaftlichen Aushandlungsvorgänge beobachtet, ohne direkt darin involviert zu sein. Die von Heyde beobachteten Akteure sind die jüdischen Wirtschaftseliten auf dem Gebiet des Königreichs Polen (ohne das Großfürstentum Litauen) seit dem späten Mittelalter bis ins 16. Jahrhundert.

Als Resultat seiner Forschung präsentiert Heyde für die jüdisch-polnische Gesellschaft des Königreichs Polen eine „Rekonstruktion transkultureller Umgangsformen und Verflechtungsmuster, welche je nach Kontext zur Formierung transkultureller Akteursgruppen führen, die gemeinsame Agenden gegenüber einer je nach Kontext veränderten Umwelt präsentieren“. (S. 221)

Die Kommunikationsforen der politischen Arena, die Heyde sehr differenziert zum Sprechen bringt, bilden die Generalprivilegien der polnischen Könige seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, die Synodalbeschlüsse der katholischen Kirche, die Landes- und Reichsstatuten, die zeitgenössische politische Geschichtsschreibung sowie die poli­ti­schen Auseinandersetzungen zwischen dem Adel und der Königsmacht. Diese Kommu­ni­kationsforen haben allerdings nur wenig transkulturellen Charakter, da die polnische Judenheit hier – zumindest sichtbar – nur als Objekt, nicht aber als Akteur der Aushandlungsprozesse auftritt. Das ändert sich erst im 16. Jahrhundert, als sich zahlreiche jüdische Gemeinden um lokale Privilegien und um Weisungen der Wojewoden bemühen, die unter anderem die Rolle der Gemeindeältesten stärken. Die diskriminierenden Maßnahmen gegenüber den Juden, die insbesondere die Kirche, aber auch der Reichstag wiederholt forderten, wurden in der Praxis kaum umgesetzt. Heyde interpretiert diese Tatsache so, dass bei der Formulierung der Politik gegenüber den polnischen Juden gar nicht primär diese selbst im Zentrum standen. Vielmehr fochten König und Adel in dieser Arena „Konflikte um Partizipationsansprüche“ (S. 77) aus, d. h. ihren grundsätzlicheren politischen Machtkampf über den Kopf einer dritten Partei (die polnischen Juden) hinweg. Auf diese Weise konnte man den direkten Konflikt zwischen Königs- und Adelsmacht vermeiden und immer wieder Kompromisse schließen.

Im zweiten Teil seiner Abhandlung rekonstruiert Heyde die jüdisch-polnische Arena der Wirtschaftsbeziehungen. Er stützt seine Ausführungen wie schon im vorangegangenen Kapitel auf die Interpretation einer breiten Palette von Quellen, die er eingehend analysiert. Das Bild, das sich hier abzeichnet, ist erneut eines der sehr engen Verflechtung zwischen der polnischen und der jüdischen Gesellschaft. Gerade bedeutende Städte wie Posen, Krakau und Lemberg und deren Magistrate versuchten zwar die Wirtschafts­tätigkeit der jüdischen Bevölkerung, die als Konkurrenz der Bürgerschaft empfunden wurde, zu marginalisieren oder zu unterbinden – besonders seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert. Zugleich zeigen die mannigfaltigen, häufig mehrere Personen verflechtenden Kredit- und gemeinsamen Handelsgeschäfte zwischen Juden, Bürgern und Adeligen, dass die gegenseitigen wirtschaftlichen Verbindungen und Interessen kontinuierlich an Intensität gewonnen hatten. Das Bemühen der verschiedenen staatlichen Gerichtsinstanzen, der Wojewoden sowie des Königs, durch ihr ausgewogenes Agieren ein Klima des Vertrauens und der Stabilität für diesen jüdisch-polnischen Kommunikationsraum zu schaffen, unterstreicht die Bedeutung der wirtschaftlichen Arena für alle beteiligten Seiten.

Schließlich untersucht die Abhandlung die Verflechtung und Einbindung von Vertretern der jüdischen Wirtschaftselite mit dem Staatsapparat des polnischen Königreichs. Wie schon in der Arena der jüdisch-polnischen Wirtschaftsbeziehungen und anders als bei der politischen Kommunikation sind es auch hier jüdische Individuen, die in den Quellen fassbar werden. Dieses Kapitel ruft auch in Erinnerung, dass das Königreich Polen – und hier wäre auch das Großfürstentum Litauen mit zu nennen – regional heterogen war. So bringt Heyde seine Beispiele in diesem Kapitel beinahe ausschließlich aus dem Gebiet Rotreußen bei. Er zeigt, wie insbesondere jüdische Inhaber von staatlichen Steuer- und Zollpachten integrierter und respektierter Teil der königlichen Verwaltungseliten des Königreichs waren und mit diesen interkulturelle Akteurs- und Interessengruppen bildeten.

Auf der Grundlage der detaillierten Analyse und Auswertung eines großen Quellenkorpus gelingt es Heyde, die Verflechtung individueller Vertreter der jüdischen Wirtschaftselite mit Akteuren der christlichen Gesellschaft des polnischen Königreichs plausibel zu machen. Dabei bildeten sich situativ immer wieder transkulturelle Akteursgruppen heraus, die quer zu den herkömmlichen ständischen und konfessionsethnischen Grenzziehungen verliefen. Diese Gruppen nahmen gemeinsame Interessen wahr und verteidigten diese gegenseitig. Im Zuge seiner Ausführungen referiert der Autor einzelne Beispielfälle und die zugehörigen Quellen für den Geschmack des Rezensenten fast zu ausführlich – weniger wäre da manchmal mehr. Zweifellos gelingt es Heyde jedoch überzeugend, „transkulturelle Verflechtungsmuster“ als Kontrapunkt zu Forschungsansätzen aufzuzeigen, die jüdische und nichtjüdische Gruppen stark voneinander isolierend betrachten. Die postulierten „transkulturellen Umgangsformen“ zwischen Juden und Polen bleiben allerdings eher im Hintergrund und lassen sich stellenweise eher erahnen, ohne wirklich Kontur zu gewinnen. Dies ist allerdings bei dem vorwiegend normativen Charakter der Rechtssetzungs- und Gerichtsquellen, die der Studie zugrunde liegen, nicht anders zu erwarten.

Christophe von Werdt, Bern

Zitierweise: Christophe von Werdt über: Jürgen Heyde: Transkulturelle Kommunikation und Verflechtung. Die jüdischen Wirtschaftseliten in Polen vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Wiesbaden: Harrassowitz, 2014. VIII, 280 S. = Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien, 29. ISBN: 978-3-447-10311-4, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/von_Werdt_Heyde_Transkulturelle_Kommunikation_und_Verflechtung.html (Datum des Seitenbesuchs)

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