Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 65 (2017), 4, S. 661-663

Verfasst von: Christophe von Werdt

 

Urszula Augustyniak: History of the Polish-Lithuanian Commonwealth. State – Society – Culture. Editorial work by Iwo Hryniewicz. Transl. by Grażyna Waluga (Chapters I–V) and Dorota Sobstel (Chapters VI–X). Frankfurt a. M. [usw.]: Peter Lang, 2015. 573 S., 10 Ktn., 6 Tab., 2 Graph.,1 Abb. = Polish Studies – Transdisciplinary Perspectives, 13. ISBN: 978-3-631-62977-2.

Augustyniak hat ihr Buch bereits 2008 auf Polnisch unter dem Titel Geschichte Polens: 15721795 veröffentlicht. Nun liegt dessen erster, strukturgeschichtlich orientierte Teil auch auf Englisch vor, während der zweite, ereignisgeschichtliche Teil nicht in  diese Übersetzung aufgenommen worden ist. Augustyniak stellt im eigentlichen Sinne ein Handbuch zur Verfügung, das zugleich eine Kultur-, Sozial-, Wirtschafts- und staatliche Institutionengeschichte der „Republik des Königreichs Polen und des Großfürstentums Litauen sowie der zugehörigen Provinzen“ ist, wie eine der offiziellen Staatsbezeichnungen lautete (S. 31).

Das Handbuch ermöglicht tatsächlich einen Überblick über sämtliche Lebensbereiche der polnisch-litauischen Gesellschaft, wie diese sich nach ihrer staatlichen Konsolidierung seit der Union von Lublin 1569 bis zum Untergang des Doppelreiches während über 200 Jahren präsentierte und entwickelte. In diesem Sinne ist es eine umfassende Gesellschaftsgeschichte auf dem neuesten Forschungsstand. Aufgrund dieses breiten Anspruchs können natürlich die einzelnen Themen nicht mit der inhaltlichen und entwicklungsgeschichtlichen Tiefenschärfe ausgelotet werden, wie das bei einer monographischen Abhandlung der Fall wäre. (Der hier nicht mit übersetzte, diachron angelegte ereignisgeschichtliche Teil der polnischen Originalausgabe liefert diese entwicklungsgeschichtliche Tiefenschärfe zumindest in gewissen Themenbereichen.) Das vorliegende Resultat überzeugt nichtsdestoweniger, zumal es trotz der gebotenen Kürze der einzelnen Einblicke nicht den Eindruck einer statischen Gesellschaft vermittelt.

Tatsächlich wäre dem Rezensenten kein Themenbereich aufgefallen, der nicht behandelt würde. Die Kapitelüberschriften können die umfassende inhaltliche Bandbreite nur andeuten: politische Geographie des Staates; politisches System und Regierungsform; Rechts-, Finanz- und Militärwesen; Staat und Kirche; Wirtschaft; Gesellschaft; soziale Beziehungen und Alltag; Kultur und Ideologie; Kommunikation und Erziehung; Kunst, Wissenschaft, Literatur. Von Fragen der Bienenzucht über solche der persönlichen Hygiene bis zu den tatarischen Grundschulen wird ‚alles‘ gestreift – wenn manchmal auch nur in kurzen Absätzen, aber dank dem strukturierten Handbuchcharakter immer kontextualisiert. Bei jenen Themen, wo sich der Rezensent inhaltlich ein Urteil zutraut, kann er dabei der Autorin nur beipflichten in der Art, wie sie die wichtigen Linien für einen Überblick herausgearbeitet hat.

Es ist der Autorin hoch anzurechnen, dass sie bestrebt ist, bei ihren Ausführungen der Vielgestaltigkeit Polen-Litauens mit seinen beiden Kernländern (Königreich Polen, Großfürstentum Litauen) und diesen in unterschiedlicher Form assoziierten Territorien gerecht zu werden – und den die Republik bewohnenden verschiedenen konfessions- und rechtlich-ethnischen Gruppen (z. B. auch Juden, Armenier, Karäer, Roma und Schotten). Das Handbuch zeichnet das Bild einer multi-ethnischen und multi-kulturellen Gesellschaft und nicht des Staates einer einzelnen, nämlich der polnischen Nation, wenn auch der Schwerpunkt auf dem Adel und der Polnisch sprechenden Bevölkerung liegt (S. 26). Die Verfasserin verweist im Duktus ihrer Ausführungen immer wieder auf Forschungsmeinungen beispielsweise litauischer oder ukrainischer Fachhistorikerinnen, die von der polnischen Interpretation der Geschichte Polen-Litauens abweichen. Sie ver­wahrt sich zugleich gegen die Tendenz, die „Republik beider Nationen“ unter dem Primat der verschiedenen modernen Nationalgeschichten zu lesen, also gewissermaßen einzelne Perspektiven unter dem Paradigma des Nationalen aus dem gemeinsamen und verbindenden Erbe Polen-Litauens „herauszuparzellieren“ (S. 28).

Neben einem Literaturverzeichnis, einem Personen- und Ortsregister umfasst das Handbuch auch eine Reihe von sprechenden Karten sowie ein kurzes Glossar, in dem polnische und lateinische historische Quellenbegriffe erklärt werden. Wünschenswert wäre einzig gewesen, dass in den einzelnen Kapiteln der Monographie auf die weiterführende Literatur verwiesen wird, aus der die Autorin für die jeweiligen Abschnitte geschöpft hat. Denn sie verzichtet weitgehend auf Fußnoten, und das Handbuch verunmöglicht so der Leserin und dem Leser eine gezielte Vertiefung einzelner Fragestellungen durch Rückgriff auf Spezialliteratur.

Kurz und gut: Es wäre diesem Handbuch von Augustyniak wirklich zu wünschen gewesen, dass es die Gesellschaftsgeschichte Polen-Litauens im 17. und 18. Jahrhundert – und damit einen gewichtigen und speziellen Teil europäischer Geschichte – einem Fachpublikum, das des Polnischen nicht mächtig ist, in Übersetzung zugänglich macht. Dieses Vorhaben ist leider nicht im erwünschten Umfange gelungen. Denn die Übersetzung ins Englische, die durch zwei Personen geleistet wurde, die nicht englischer, sondern polnischer Muttersprache sind, ist holprig und fehlerhaft. Stellenweise ist sie sogar entstellend, sodass die inhaltlichen Aussagen nur noch erahnt werden können. Immerhin ist den Übersetzerinnen zugute zu halten, dass auch die polnische Wissenschaftssprache von Augustyniak manchmal eine doppelte Lektüre erfordert, bevor man sie versteht. Wenn der Verlag jedoch behauptet, es habe ein Peer-Review-Verfahren vor der Veröffentlichung stattgefunden, so verspricht er mehr als er hält. Das Handbuch von Augustyniak hätte mehr verdient.

Christophe von Werdt, Bern

Zitierweise: Christophe von Werdt über: Urszula Augustyniak: History of the Polish-Lithuanian Commonwealth. State – Society – Culture. Editorial work by Iwo Hryniewicz. Transl. by Grażyna Waluga (Chapters I–V) and Dorota Sobstel (Chapters VI–X). Frankfurt a.M. [usw.]: Peter Lang, 2015. 573 S., 10 Ktn., 6 Tab., 2 Graph.,1 Abb. = Polish Studies – Transdisciplinary Perspectives, 13. ISBN: 978-3-631-62977-2, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/von_Werdt_Augustyniak_History_of_the_Polish-Lithuanian_Commonwealth.html (Datum des Seitenbesuchs)

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