Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 64 (2016), 1, S. 133-135

Verfasst von: Wolfram von Scheliha

 

Virgil Ciocîltan: The Mongols and the Black Sea Trade in the Thirteenth and Fourteenth Centuries. Translated by Samuel Willcocks. Leiden, Boston, MA: Brill, 2012. IX, 321 S., 7 Ktn. = East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450, 20. ISBN: 978-90-04-22666-1.

Die Mongolen oder Ta(r)taren, wie sie in den Quellen genannt werden, die im Spätmittelalter ein Weltreich vom Pazifik bis nach Ostmitteleuropa hinein errichtet hatten, werden gemeinhin vor allem mit der Destruktivität ihrer blutigen Kriegs- und Beutezüge in Verbindung gebracht. Es dominiert das Bild vom bedrückenden „Tatarenjoch“ über die Rus. Darin sehen viele Historiker eine wesentliche Ursache für die Abkoppelung der Rus von der Entwicklung des übrigen Europas und für die bis in die Gegenwart hineinreichende notorische Rückständigkeit Russlands. Allerdings lässt sich das griffige Bild vom Tatarenjoch erstmals erst für die Zeit nach dem Ende der Tributherrschaft quellenmäßig nachweisen und es ist somit eine, wenn auch sehr frühe, historiographische Konstruktion. Vor allem aber versperrt es den Blick darauf, dass die Mongolenherrschaft außer ihrem zweifellos oppressiven Charakter in manchen Bereichen eine durchaus konstruktive Wirkung entfaltet hat. Dies betraf besonders den internationalen Handel zwischen Asien und Europa. Das Schwarze Meer hatte dabei die Funktion einer wichtigen Drehscheibe. Virgil Ciocîltans Studie behandelt deshalb einen zentralen Aspekt der Herrschaft des Ulus ˇJuči („Goldene Horde“) und trägt damit zur Aufarbeitung eines großen Forschungsdesiderats wesentlich bei. Der mittlerweile emeritierte Historiker und Orientalist Ciocîltan hat lange Jahre an der Rumänischen Akademie der Wissenschaften und an der Dunărea-de-Jos-Universität in Galaţi (Galatz) gewirkt. Bei dem nun auf Englisch vorgelegten Buch handelt es sich um die Übersetzung seiner 1997 eingereichten und im folgenden Jahr bereits auf Rumänisch publizierten Dissertation. Für die Übersetzung hat Ciocîltan neuere Forschungen allerdings nur punktuell eingearbeitet, die wichtigen Arbeiten von Nicola Di Cosmo und anderer fehlen deshalb im Literaturverzeichnis.

Die Untersuchung des mittelalterlichen Schwarzmeerhandels wird vor allem durch den Quellenmangel erschwert, so dass seine Quantifizierung nicht möglich ist. Ciocîltan fokussiert deshalb auf die politischen Rahmenbedingungen, die den zweifellos vorhandenen intensiven Handelsverkehr überhaupt erst ermöglichten. Angesichts der Vielzahl der dabei involvierten Akteure und ihrer unterschiedlichen Interessen ist dies ein sehr verdienstvolles Unterfangen, zumal für das Quellenstudium umfassende Sprachkenntnisse erforderlich sind, welche die Grenzen der traditionellen universitären Disziplinen weit überschreiten.

Zunächst skizziert Ciocîltan in einem relativ kurzen Kapitel die Auswirkungen des Mongolensturms auf die eurasischen Handelswege: Dschingis Khans Eroberungszug verlief entlang der Seidenstraße, und die frühen Khane des Ulus ˇJuči legten in den ersten Jahren der Herrschaftskonsolidierung großen Wert darauf, den Handel auf dieser Route zu fördern und zu schützen. Als sich die Ilkhaniden in Syrien, Mesopotamien und Persien festsetzten, erschlossen sie auch den Zugang zur Gewürzroute nach Indien.

Das anschließende Kapitel beleuchtet die Folgen der Aufsplitterung des zentral zusammengehaltenen mongolischen Herrschaftsgebietes in Teilreiche und die Folgen der damit verbundenen Konkurrenz vor allem zwischen dem Ulus ˇJuči und dem Ilkhanat für den Handel. Die traditionellen westlichen Zugänge zur Seidenstraße erfolgten über die Südküste Kleinasiens sowie über Syrien und führten über Täbriz oder Bagdad südlich des Kaspischen Meeres entlang weiter nach Osten. Beide Zugangswege lagen damit weitgehend im Herrschaftsbereich des Ilkhanats. Dieses befand sich wiederum im Konflikt mit den Mamluken in Ägypten und dem Ulus ˇJuči, die sich miteinander verbündeten, zumal die Mamluken die Sklaven für ihre Armee aus dem Dešt-i-Qipčaq bezogen. Eine Schlüsselrolle spielte dabei das 1261 wiederhergestellte Byzantinische Reich, denn die Handelsverbindung zwischen den Mamluken und der Goldenen Horde konnte nur über das Schwarze Meer und die Meerengen erfolgen, da der Landweg durch das Ilkhanat versperrt war. Die päpstliche Kurie sah wiederum im Ilkhanat einen potentiellen Partner, um der Bedrohung der Kreuzfahrerstaaten durch die Mamluken zu begegnen. Weitere wichtige Akteure waren die italienischen Handelsmächte Venedig und Genua, das Kilikische Armenien sowie die Seldschuken. Im Ergebnis entstand über Konstantinopel, das Schwarze Meer, Kaffa auf der Krim, Saraj an der Wolga (die Hauptstadt des Ulus ˇJuči) und weiter nördlich entlang des Kaspischen Meers ein neuer Zugang zur Seidenstraße, der sich in Buchara und Samarkand mit der traditionellen Route wieder vereinigte. Auf dieser Route wurde ab dem Ende des 13. Jahrhunderts und im 14. Jahrhundert hauptsächlich der Ost-Westhandel abgewickelt.

Den eigentlichen Schwerpunkt des Buches, der auch den meisten Umfang einnimmt, bildet das Kapitel über die Rolle des Ulus ˇJuči im Schwarzmeerhandel. Ciocîltan gelingt es herauszuarbeiten, dass die Khane wesentlich die Bedingungen des Schwarzmeerhandels mitbestimmten und dabei auch ihre eigene handelspolitische Agenda verfolgten. Damit setzt er einen neuen wichtigen Akzent, denn traditionell werden vor allem Genua und die anderen italienischen Republiken als die treibenden Kräfte hinter dem Handel gesehen. Allerdings widmeten die Khane des Ulus ˇJuči dem Schwarzen Meer erst ihre volle Aufmerksamkeit, nachdem der Versuch gescheitert war, Täbriz einzunehmen und auf dieser Route den Handel abzuwickeln. Genuas privilegierte Rolle im Schwarzmeerhandel erklärt Ciocîltan mit dem Umstand, dass seine Position nach der Vernichtung eines Großteils seiner Flotte durch Venedig vor Akkon 1258 im dortigen Orienthandel geschwächt war und dass es wie der Ulus ˇJuči gleichfalls nach einer Alternativroute über das Schwarze Meer suchte. Mit dem Vertrag von Nymphaion schlossen Genua und das Kaiserreich von Nikaia 1261 eine Allianz gegen das Lateinische Kaiserreich von Konstantinopel und seinen Bündnispartner Venedig. Eine logische Folge dieses Vertrages war, dass nach der Restauration des Byzantinischen Reiches noch in demselben Jahr Genua im Handel Privilegien erhielt. Es lässt sich daher eine große Interessenskongruenz unter den beteiligten Parteien sowohl in politischen als auch in handelspolitischen Fragen konstatieren. Der Ulus ˇJuči war jedoch darauf bedacht, sich nicht in eine völlige Abhängigkeit von Genua zu begeben, und gestattete später auch Venedig und Pisa, Handelsniederlassungen an der von ihm kontrollierten Schwarzmeerküste zu errichten. Kennzeichnend für die turko-mongolische Haltung ist eine Äußerung von Khan Jani Bek aus dem Jahr 1347, dass auf dem Meer nur sein Wort gelte und dass er die Macht habe, dies auch durchzusetzen. Dieser Machtanspruch führte deshalb auch zu Konfrontationen und zur zwischenzeitlichen Zerstörung der italienischen Handelsstützpunkte, die aber schon kurze Zeit später wieder eröffneten.

Ciocîltan hat eine große Menge an Quellen und Literatur in einer Vielzahl von Sprachen verarbeitet. Das Buch ist deshalb eine wahre Fundgrube an Informationen. Dennoch verliert sich der Text nicht in Kleinigkeiten. Nicht ganz so stark ist es allerdings in der Interpretation und der Gesamtschau des ausgebreiteten Materials. Symptomatisch dafür ist, dass die Schlussbetrachtungen nur gerade einmal eine halbe Seite umfassen. Aber dessen ungeachtet ist Ciocîltans Studie ein wichtiger Forschungsbeitrag, da sie die große Bedeutung des Ulus ˇJuči im internationalen Handel und in der internationalen Politik aufzeigt und hilft, stereotype Geschichtsbilder zu überwinden.

Wolfram von Scheliha, Leipzig

Zitierweise: Wolfram von Scheliha über: Virgil Ciocîltan: The Mongols and the Black Sea Trade in the Thirteenth and Fourteenth Centuries. Translated by Samuel Willcocks. Leiden, Boston, MA: Brill, 2012. IX, 321 S., 7 Ktn. = East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450, 20. ISBN: 978-90-04-22666-1, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/von_Scheliha_Ciociltan_The_Mongols_and_the_Black_Sea_Trade.html (Datum des Seitenbesuchs)

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