Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 64 (2016), H. 2, S. 341-342

Verfasst von: Wim van Meurs

 

Radu Harald Dinu: Faschismus, Religion und Gewalt in Südosteuropa. Die Legion Erzengel Michael und die Ustaša im historischen Vergleich. Wiesbaden: Harrassowitz, 2013. 283 S., 21 Abb. = Balkanologische Veröffentlichungen, 59. ISBN: 978-3-447-10002-1.

Die Hauptwerke der Faschismusforschung konzentrieren sich, gegenteiligen Mahnungen zum Trotz (Robert Paxton), immer noch auf Deutschland, Italien, Spanien und Frankreich. Kleinere, nicht erfolgreiche faschistische oder nationalsozialistische Bewegungen wie Lapua in Finnland oder die NSB in den Niederlanden werden dabei als Nebenerscheinungen lediglich kursorisch erwähnt. Besonders die großen faschistischen Bewegungen Osteuropas, die Ustaša in Kroatien und die Eiserne Garde in Rumänien, verdienen aber mehr Aufmerksamkeit in der allgemeinen Faschismusforschung. Die Erfurter Dissertation von Radu Harald Dinu greift somit gleich zwei Desiderata auf. Zum Einen befasst er sich anhand der neuesten Literatur mit diesen beiden Bewegungen und zum Zweiten stellt er einen Vergleich zwischen den beiden an. Damit befindet sich seine Studie zwischen den Übersichtswerken zum europäischen Faschismus, die alle einschlägigen Bewegungen erörtern, und den vielen Studien zu einzelnen Bewegungen, die einen nationalen Sonderfall betrachten. Dinu folgt in seiner Arbeit der Phaseneinteilung von Paxton: Frühfaschismus, Bewegungsphase und Regimephase. Nach den drei chronologisch aufeinanderfolgenden Kapiteln zu faschistischer Gewalt in Rumänien und Kroatien steht das fünfte Kapital zu Religion und Faschismus etwas verloren da, auch wenn Religion gewiss neben Gewaltkulturen ein großes Thema in der Faschismusforschung ist.

Bei der Darstellung des Aufstiegs Corneliu Zelea Codreanus und seiner Anhänger seit den frühen 1920er Jahren im 2. Kapitel betont Dinu, dass der rumänische Faschismus keine Nachahmung Mussolinis war und dass gerade der Antisemitismus im rumänischen Nationalismus entscheidend war für die Massenmobilisierung durch die Legion. Unklar bleibt in der Argumentation, ob die etablierten Parteien und die staatlichen Instanzen eher unfähig waren, gegen die Faschisten vorzugehen, oder vom gleichen Gedankengut infiziert waren. Eine neue Perspektive eröffnet Dinu diesbezüglich erst, wenn er die übliche Unterscheidung zwischen den intellektuellen Antisemiten der ersten Generation (A. C. Cuza) und den gewaltbereiten Jüngeren (Corneliu Zelea Codreanu) fast nebenbei in Frage stellt, diesen Gegensatz im nächsten Kapitel jedoch rehabilitiert (S. 6869). Die vorgeordnete Frage, inwieweit jede der beiden Bewegungen in den 1920er Jahren überhaupt einen Massenanhang anstrebte und ob Gewalt und Terrorismus (im Falle der Legion) nicht vor allem einen „Plan B“ darstellten, als der sicher geglaubte große (Wahl)-Erfolg ausblieb, wird nicht gestellt. Insgesamt erweist sich der Vergleich in diesem ersten Kapitel als noch nicht sehr fruchtbar. Auf der einen Seite gab es die Ideen und teilweise die Gewaltaktionen frühfaschistischer Gruppen in Rumänien und andererseits den von der Kroatischen Bauernpartei dominierten Widerstand gegen den Belgrader Zentralismus sowie marginale frühfaschistische Exilgruppen ohne viel intellektuelle Reflexion. Die Feststellung, dass der Erfolg des Faschismus nicht von sozialer Deprivation prädeterminiert war, sondern dass die ideologische Utopie zusammen mit dem (gewalttätigen) Aktionismus entscheidend war, gehört seit Roger Griffin zum „neuen Konsens“.

Im 3. Kapitel zu den Massenbewegungen wird die intellektuelle Gewaltverherrlichung bei z.B. Nae Ionescu ausführlich skizziert. Sicherlich war dies in jener Zeit keine typisch rumänische Vorliebe. Die Organisation einer solchen Gewaltanwendung (und die hier selten genannte Gegengewalt des Staatsapparats) stehen auf einem anderen Blatt. Dinu betont zurecht die Militarisierung der Gesellschaft und die weitestverbreitete Gewaltkultur in beiden Staaten dies aber als typisch für die Konstellation des frühen 20. Jahrhunderts, nicht als ‚ewige‘ balkanische Tradition. Am ehesten würde man Übereinstimmungen zwischen Zagreb und Bukarest in der Regimephase (Kap. 4) erwarten: Im Legionärsstaat und in der NDH waren beide Bewegungen endlich in der Position, ihre Vorstellungen auszuleben. Aber auch hier muss der Autor feststellen: „Die Bilanz der im NDH und Rumänien verübten Massengewalt während der Regimephase des Faschismus fällt in quantitativer Hinsicht höchst disparat aus, was vor allem durch die unterschiedlichen Herrschaftskonfigurationen in beiden Ländern bedingt wurde.“ (S. 201) Bei den Gemeinsamkeiten in der Regimephase schlussfolgert Dinu, dass diese nicht typisch faschistisch waren, sondern eher Gewalt von unten betrafen, die von der fehlende Staatsaufsicht über die Gesellschaft in Kriegszeiten ermöglicht wurde und somit typisch für alle Zeiten und Weltregionen ist. Während in den ersten beiden Kapiteln (auch durch das fehlende Archivmaterial zur Ustaša geschuldet) die Teilkapitel zu Rumänien etwas länger sind, ist im 4. Kapitel die Darstellung zu Kroatien wesentlich umfangreicher.

Am Ende bleibt die Frage, warum die Ergebnisse des Zweiländervergleichs bei allem Respekt vor der gründlichen Forschungsarbeit und klaren Argumentation des Autors etwas enttäuschen. Das Hauptproblem ist m. E., dass „Gewalt“ als zentraler Begriff der Studie nicht näher differenziert wird. Geplante Mordanschläge auf hohe Politiker und Funktionsträger, Sabotagehandlungen, Tyrannenmord, Judenhetze von Studenten und Straßenschlachten mit Polizei, Nationalgarde oder rivalisierenden Parteien werden letztendlich alle als „Gewalt“ bezeichnet. Auch die Gegengewalt durch den Staat gegen die Faschisten tritt wenig in Erscheinung. Was Ustaša und die Legion verbindet, ist, dass sie die beiden mitgliederstärksten und einflussreichsten Bewegungen Osteuropas waren. Ansonsten war aber die Konstellation grundverschieden: Die Ustaša war von Anfang an eine Exilbewegung (S. 102), während die Legion als einheimische Massenbewegung ausgelegt war und erst nach der Regimephase ein Exil kannte. Der „constitutive other“ der Ustaša war die serbische Fremdherrschaft, der Konkurrent die Bauernpartei von Radić und Maček. Für die Legion waren das Regime der Hohenzollern mit den Parteien der Macht (PNL und PNŢ) der „constitutive other“ im Inland (S. 130131). Einen Konkurrenten als Mobilisierungsbewegung gab es im Grunde nicht. So fördert der Zweiländervergleich eher Unterschiede als Parallelen zutage.

Wim van Meurs, Kleve

Zitierweise: Wim van Meurs über: Radu Harald Dinu: Faschismus, Religion und Gewalt in Südosteuropa. Die Legion Erzengel Michael und die Ustaša im historischen Vergleich. Wiesbaden: Harrassowitz, 2013. 283 S., 21 Abb. = Balkanologische Veröffentlichungen, 59. ISBN: 978-3-447-10002-1, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/van_Meurs_Dinu_Faschismus_Religion_Gewalt_Suedosteuropa.html (Datum des Seitenbesuchs)

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