Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 64 (2016), 1, S. 132-133

Verfasst von: Martin Zückert

 

Joachim Bahlcke: Geschichte Tschechiens. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. München: Beck, 2014. 128 S., 2 Ktn. = C.H.Beck Wissen, 2797. ISBN: 978-3-406-66179-2.

Mit seiner Reihe Beck Wissen verfolgt der Beck-Verlag in München seit mehreren Jahren das Ziel, kompakte Überblicksdarstellungen zu historischen Themen anzubieten. Dieses zwischen Lexikonartikel und wissenschaftlicher Darstellung schwankende Kleinformat hat viele Vorteile, aber auch seine Grenzen: Es bietet einerseits einen raschen Zugriff auf komplexe Sachverhalte, andererseits können diese nur unzureichend diskutiert und in der Forschung verortet werden. Mit dem von Joachim Bahlcke vorgelegten Band zur Geschichte Tschechiens liegt nun eine weitere Publikation dieser Reihe vor, bei der zunächst die Frage zu stellen ist, wer vor der schwierigeren Aufgabe steht: der Autor, der auf 120 Seiten die komplexe Geschichte eines Landes – gemäß Untertitel „vom Mittelalter bis zur Gegenwart“ – abzudecken hat; oder der Rezensent, der dies angemessen beurteilen und einordnen soll.

Der Band selbst startet mit einer Neupositionierung. Der Autor schildert zunächst im Kapitel über Territorium, Sprache und Nation die Schwierigkeiten der Begriffe „böhmisch“ und „tschechisch“. Er entscheidet sich dann gegen die häufig in historischen Darstellungen deutscher wie auch tschechischer Autoren gebräuchliche Bezeichnung „böhmische Länder“ und für eine vom Gegenwartsbegriff ausgehende „Geschichte Tschechiens“. Im Folgenden werden dann die grundsätzlichen Entwicklungsschritte geschildert. Dabei zeigt der Autor zunächst die enge Verknüpfung von Staatsbildung und Christianisierung auf. Es folgen Abschnitte zum letztlich produktiv wirkenden Dualismus zwischen König und Adel, zur mittelalterlichen Stadtgeschichte und zur Hussitenzeit. Die Darstellung über die Zeit um 1400 verdeutlicht anschaulich das Zusammenspiel von Wachstum und Krise und deren gesellschaftlichen und religiösen Folgewirkungen.

Insbesondere für die frühe Neuzeit und die 1526 beginnende Habsburgerherrschaft warnt Bahlcke indirekt vor der Gefahr von Rückprojektionen. In der Tat ist es in einer kompakten, potentiell für einen größeren Leserkreis gedachten Publikation angebracht, darauf zu verweisen, dass Begriffe wie „Habsburgermonarchie“ oder „Donaumonarchie“ sich auf Staatsformen des 19. Jahrhunderts beziehen und für die Zeit davor der Blick auf die spezifischen Formen der Einbindung der historischen böhmischen Länder in den dynastischen Verbund der Habsburger gerichtet werden muss. Der Autor zeigt in diesem Zusammenhang auf, wie das Gebiet infolge der Schlacht am Weißen Berg (1620) von einem religiös plural orientierten Land zu einem geschlossenen Konfessionsstaat wurde.

Ähnlich wie das Mittelalter und die frühe Neuzeit wird auch die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts entlang den bekannten politischen Zäsuren abgeschritten. Das von nationalen Bewegungen beeinflusste Verhältnis von deutscher und tschechischer Bevölkerung wird als ein wichtiges Motiv gesellschaftlicher Entwicklung benannt, die aber auch im Kontext anderer politischer Entwicklungen beschrieben wird. Die vom Autor erwähnte Vorstellung, im Laufe des 19. Jahrhunderts seien zwei „Parallelgesellschaften entlang der tschechisch-deutschen Sprachgrenze“ (S. 71) entstanden, steht freilich im Gegensatz zu neueren Forschungen, die trotz bestehender Antagonismen auf Formen der gesellschaftlichen Durchlässigkeit und Vielfalt verwiesen haben. Der Begriff der Parallelgesellschaften steht somit auch gegen den von Jan Křen geprägten und vielfach aufgegriffenen Begriff der deutsch-tschechischen „Konfliktgemeinschaft“.

Das letzte Viertel der Darstellung ist dann der Geschichte der Tschechoslowakei seit 1918 bzw. Tschechiens seit 1993 gewidmet. Wie bei vielen anderen Studien auch zeigt sich in der vorliegenden Publikation die Schwierigkeit, die Rolle der Slowakei angemessen zu bewerten. Auch bei Bahlcke kommt zum Beispiel die Frage nicht vor, welche Rückwirkung die Einbindung der östlichen Landeshälfte nach 1918 für die tschechische Gesellschaft hatte. Der Autor benennt dafür explizit, wie sehr die Tschechoslowakei von der gesellschaftlich-politischen Entwicklung vor 1914 profitierte. Der Band endet mit dem Wechsel im Präsidentenamt von Václav Klaus zu Miloš Zeman im Frühjahr 2013. Im knappen Anhang finden sich eine Liste der Herrscher und Staatsoberhäupter, eine Literaturliste sowie ein Orts- und Personenregister.

Insgesamt bietet der Band einen kompakten Überblick über die tschechische Geschichte. Im Zentrum stehen allerdings die politikgeschichtlichen Entwicklungen, die nur selten mit Erkenntnissen neuerer sozial- und kulturhistorischer Forschungen verwoben werden. Schade ist, dass die im Vorwort erwähnte Mittlerstellung des Landes „zwischen Ost und West“ als Motiv in die weitere Darstellung nicht mehr eingebunden wird.

Martin Zückert, München

Zitierweise: Martin Zückert über: Joachim Bahlcke: Geschichte Tschechiens. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. München: Beck, 2014. 128 S., 2 Ktn. = C.H.Beck Wissen, 2797. ISBN: 978-3-406-66179-2, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Zueckert_Bahlcke_Geschichte_Tschechiens.html (Datum des Seitenbesuchs)

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