Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 62 (2014), 1, S. 134-136

Verfasst von: Krista Zach

 

Krauss, Karl-Peter (Hg.): Agrarreformen und ethnodemographische Veränderungen. Südosteuropa vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Stuttgart: Steiner, 2009. (= Schriftenreihe des Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde. 15. Sammelbände – Bd. 1). 340 S., Abb., Karten, Graphiken. ISBN: 978-3-515-09263-0.

Sammelband 1 der Schriftenreihe des Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde bündelt Beiträge einer Tübinger Tagung vom November 2006 in drei chronologisch intendierten Abteilungen: (1.) Agrarische Modernisierungsprozesse in der Habsburgermonarchie des 18./19. Jahrhunderts – vorwiegend in den Neoaquistica (Gerhard Seewann, Norbert Spannenberger, Karl-Peter Krauss); (2.) Zusammenhänge zwischen Agrarreformen und moderner Nations- und Staatsbildung des 19. Jahrhunderts in europäischen Randregionen – mit Beispielen zum Schwarzmeergebiet (Dietmar Neutatz), Serbien (Zoran Janjetović), Baltikum (Gert von Pistohlkors) sowie resümierend Zentraleuropa um 1900 (Günter Schödl); (3.) „Bodenreform, staatliche Raumordnung und ethnische Homogenisierung vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die Gegenwart“ (S. 235), wo Zusammenhänge zwischen ethnisch bedingten Vertreibungs- und Verdrängungsmaßnahmen unter (pro-)kommunistischen Vorzeichen in Ungarn (József Vonyó, Ágnes Tóth) und Jugoslawien (Ranka Gašić) analysiert werden. Dietmar Müllers Beitrag über „Landreformen, Property rights und ethnische Minderheiten: Ideen- und Institutionengeschichte nachholender Modernisierung und Staatsbildung in Rumänien und Jugoslawien 19181948“ fällt verständlicherweise aus dieser chronologischen Betrachtungsweise heraus und bleibt abseits stehen. Zwei abschließende Beiträge über den ländlichen Raum nach 1989 (Peter Jordan) und „Kulturlandschaftsprozesse in Südosteuropa“ nach 1945 und bis heute (Horst Förster) runden das Panorama in zeit-räumlicher Hinsicht ab. Dem Ganzen wird eine teils explikative, teils die vorgenommene thematische Auswahl begründende „Einführung“ vorangestellt.

Der Leser wird in der umfassenden „Einführung“ des Herausgebers (S. 7–23) darauf vorbereitet, dass es das „Kernanliegen“ der hier publizierten Beiträge sei, „die Interdependenz zwischen Agrarreformen und ethnodemographischen Veränderungen herzustellen, sie an konkreten Fallstudien zu rekonstruieren und die Schnittmengen zwischen beiden Phänomenen auszuloten“ (S. 8–9). Ebenso wird betont, dass „der Zusammenhang zwischen ‚Agrarreformen‘ und ‚Ethnizität‘ zugunsten einer politischen Ereignisgeschichte“ in der Fachliteratur eher selten beleuchtet worden sei (S. 8). Bezogen auf das südöstliche Europa – das hier untersuchte Kerngebiet – klingt diese Feststellung wenig überzeugend, vergleicht man nur die Inhaltsliste dieses Bandes. Mindestens acht (also die gute Hälfte) der 14 Verfasser sind alte Bekannte aus diesem Forschungsfeld, was auch ein Blick auf die Literaturverweise in den einzelnen Beiträgen zeigt. Die bibliographische Auswahl im Anhang von Holm Sundhaussens Beitrag „Von der Befreiung zur Marginalisierung der Bauern. Zwei Jahrhunderte Agrarreformen in Südosteuropa“ (S. 25–43; Bibliographie S. 44–48, hier besonders die 56 Titel des 1. Teils, S. 44–46) beleuchtet ebendieses Forschungsspektrum in angemessener Breite.

Die Begriffsdefinitionen, die Krauss zu „Agrarreform“ (S. 10) und Sundhaussen zu „Südosteuropa“ (S. 25, Anm. 1) beisteuern, sind für den Laien hilfreich, für weniger Fachfremde bringen sie nichts Neues. So ist denn auch zu vermuten, dass dieser erste Tagungsband des Tübinger IDGL sich vor allem an allgemein Interessierte, Studenten, Medienvertreter etc. wenden möchte.

Es sind nicht zuletzt semantische und methodologische Aspekte, welche diesen Band als modern ausweisen. Dennoch können auch der Südosteuropahistoriker und selbst der Agrarwissenschaftler hier zahlreiche treffsichere, neue Formulierungen, knappe Zusammenfassungen und überzeugende Einzeleinsichten vorfinden, sodass die Lektüre der einzelnen Beiträge auch ihnen einiges an Neuem zu bieten vermag. Und nicht zuletzt gibt es hier noch manche neue Forschungserkenntnisse, die den Band empfehlen. Dazu nur wenige Beispiele.

Der Beitrag von Holm Sundhaussen ragt hier schon dadurch heraus, dass er einen klar strukturierten Aufriss der Gesamtthematik über zwei Jahrhunderte hinweg vermittelt, um dann in den beiden abschließenden Kapiteln, in knappem Überblick, Ursachen für die Reformresistenz der Bauern bzw. über „Ursachen der Entwicklungsblockade im Agrarsektor“ (S 36–41) zu benennen. Sundhaussen geht aufgrund der bereits in der Zwischenkriegszeit im Auftrag des Völkerbunds von Wilbert Moore entwickelten Koeffizienten sowie auch neueren, teils von ihm selbst ausgewerteten Quellenmaterials von langzeitig wirkenden Indikatoren aus, die „historische Defizite“ der Agrarwirtschaft in Südosteuropa (bzw. in ehemals osmanischen Gebieten und im ersten Königreich Rumänien) insgesamt erkennen lassen. (Ebenso könnte hier auch an den für den Völkerbund gefertigten Bericht des dänischen Agrarfachmannes Marius Gormsen über ein einzelnes südosteuropäisches Land, Rumänien, erinnert werden. Er ist, da erst 1945 in Bukarest veröffentlicht, der Aufmerksamkeit der Fachleute weitgehend entgangen. Ein englischsprachiger Abdruck befindet sich in meinem Beitrag: M. Gormsens Modernisierungskonzept für die rumänische Agrarwirtschaft, 1939/1945, in: Modernisierung auf Raten in Rumänien. Anspruch, Umsetzung, Wirkung. Hgg. v. Krista Zach / Cornelius R. Zach. München 2004, S. 271–332, hier S. 283–332.) Dazu gehören ein „säkulares Nullwachstum“ der agrarischen Produktivität von unter 1 %, „das signifikant hinter den Wachstumsraten der Bevölkerung zurückblieb“ (S. 37), wie „das Scheitern der Agrarmodernisierung in den Balkanländern und Rumänien“ (S. 38) im 19./20. Jahrhundert. Dies alles ist zwar bekannt, ebenso sind es die dafür meist genannten Gründe – Kapitalmangel, Bodenzerstückelung, fehlende Kataster, agrarische Überbevölkerung –, doch entscheidend ist, dass Sundhaussen auf die Zirkularität solcher Ursachenforschung hierzu hinweist: „Dieser Ansatz beruht auf einem gedanklichen Zirkelschluss. Ländliche Überbevölkerung vermag Rückständigkeit nicht zu erklären, sondern ist eine Folge bzw. Erscheinungsform von Rückständigkeit.“ Und erläuternd fügt er in einer Fußnote u. a. hinzu: „Eine Gesellschaft, die sich am ökonomischen Subsistenz- bzw. Bedarfsdeckungsprinzip orientiert, ist nicht rückständig, solange der Bedarf gedeckt werden kann.“ (S. 38 und Anm. 30). Zum „Scheitern“ gehörten auch der „Mangel an Kompetenz (das Defizit an Humankapital)“ (S. 41) oder, wie es etwa im Rechenschaftsbericht des serbischen Volkswirtschaftsministeriums von 1907 hieß: „Von der Landwirtschaft haben unsere Bauern (von wenigen Ausnahmen abgesehen) nicht die geringste Ahnung.“ (S. 41).

Im letzten Kapitel, „Bodenreformen und Kollektivierungsmaßnahmen nach dem Zweiten Weltkrieg“ (S. 42–44), hebt Sundhaussen hervor, dass bekanntlich für die Eliten in Südosteuropa „wie bei den Bodenreformen nach dem Ersten Weltkrieg“ zwischen 1945 und 1952 auch diesmal „soziale und nationale Motive“ handlungsleitend gewesen seien (S. 42). Als ab den 60er Jahren endlich ökonomische Reformziele gesetzt wurden, scheiterte „der Übergang von einer extensiven zu einer intensiven Wirtschaftsweise ein zweites Mal, – diesmal weniger an mangelnder Kompetenz als an mangelnder Motivation und an der Schwerfälligkeit der zentralen Wirtschaftssteuerung.“ (S. 43).

Anhand dieses Beitrags wird deutlich, dass längst Bekanntes und nicht zuletzt die Unmenge angesammelten statistischen Materials in neuer Sichtweise (hier hauptsächlich der einer longue-durée-Perspektive) eine eindeutige Erkenntnismehrung ermöglichen können.

Dies gilt in vergleichbarer, wenn auch anderer Art und Weise, für den Beitrag von Seewann, „Ethnokonfessionelle Aspekte der Reformen des aufgeklärten Absolutismus in der Habsburgermonarchie“ (S. 51–67) und die in die Tiefe gehende, materialreiche Mikrostudie von Karl-Peter Krauss, „Agrarische Modernisierungsprozesse und ethnodemographische Veränderungen in der Südbatschka bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts“ (S. 85–120).

Geradezu modellhaft ist die vergleichende Studie von Dietmar Müller, „Landreformen, property rights und ethnische Minderheiten. Ideen- und Institutionengeschichte nachholender Modernisierung und Staatsbildung in Rumänien und Jugoslawien 1918–1948“ (S. 207–234). Auf „Forschungsperspektiven und Hypothesen“ (S. 207–210), wo auch neuere Konzeptbegriffe wie „Ethnonationalismus“ und „nachholende Modernisierung als high modernism“ erörtert werden, folgt ein weiteres Kapitel zu „Staatsbürger“ und „Agrarreform“, u. a. in einem neu klingenden Zusammenhang: „Die politische und ethno­politische Dimension der property rights“. (S. 220–221) Die dem Autor besonders vertraute Lage und Literatur zu Rumänien wird hier – auch in Fortsetzung von Thesen und Themen aus seiner Dissertation (Müller, Dietmar: Staatsbürger auf Widerruf. Juden und Muslime als Alteritätspartner im rumänischen und serbischen Nationscode. Ethnonationale Staatsbürgerschaftskonzepte 1871–1941. Wiesbaden 2005.) – beispielhaft analysiert; Jugoslawien dient ihm als Vergleichsobjekt.

Die letzten beiden Beiträge betreffen die so genannte Transformations- oder „Trans­itionsära nach 1989/90, die mit einiger Skepsis gegenüber rascher modernisierender Veränderung (Jordan) und einiger Zukunftshoffnung, beispielsweise auf die Wirksamkeit eines von der EU geförderten, in Westeuropa erfolgreich erprobten Konzepts der grenzüberschreitenden Kooperation (Förster), betrachtet wird. So verspricht man sich von einer hier nach Flussläufen benannten „Donau-Kreisch-Marosch-Theiß-Region“ Entwicklungsimpulse für die regionale Zusammenarbeit, auch als „Gegenpol zum nationalen oder europäischen ‚Zentralismus‘“ (S. 323). Erasmus-Studenten, die im Jahr 2010, also in der Anfangsphase der Projektumsetzung, in kleinen Teilgebieten dieser neuen Großregion beobachtend tätig waren, äußerten der Rezensentin gegenüber große Vorbehalte bezüglich der lokalen Akzeptanz der Brüsseler Projektvorschläge. Das mag sich inzwischen geändert haben.

Der Band ist mit Orts- und Personenregistern und zahlreichen Karten, Graphiken sowie auch Statistiken ausgestattet, wobei ihn letztere nicht überbelasten. Auch damit weist er sich als eine gelungene Lektüre für Historiker und allgemein interessierte Leser aus.

Krista Zach, München

Zitierweise: Krista Zach über: Krauss, Karl-Peter (Hg.): Agrarreformen und ethnodemographische Veränderungen. Südosteuropa vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Stuttgart: Steiner, 2009. (= Schriftenreihe des Instituts für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde. 15. Sammelbände – Bd. 1). 340 S., Abb., Karten, Graphiken. ISBN: 978-3-515-09263-0, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Zach_Krauss_Agrarreformen.html (Datum des Seitenbesuchs)

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