Lidija B. Miljakova (otv. red.) Kniga pog­ro­mov. Pogromy na Ukraine, v Belorussii i evro­pej­s­koj časti Rossii v period Graždanskoj vojny 1918–1922 gg. Sbornik dokumentov [Buch der Pogrome. Pogrome in der Ukraine, in Weißruss­land und im europäischen Teil Russlands in der Zeit des Bürgerkriegs 1918–1922. Dokumen­tensammlung]. Izdat. Rosspėn Moskva 2007. XXXVI, 996 S., Abb.

Wer sich dieses monumentale Werk zur Lektüre auswählt, muss einige Zeit einplanen. Der Leser wird aber mit einer interessanten Geschichte der Pogrome auf dem Gebiet des ehemaligen Russländi­schen Reiches in der Zeit des Bürgerkrieges belohnt. In ihrem kenntnisreichen Vorwort streift Lidija B. Miljakova kurz die Sekundärliteratur zum Thema, darunter auch westliche und exilrussische Titel. Dann hebt sie hervor, wodurch sich die Exzesse gegen die jüdische Bevölkerung im Bürgerkrieg von den früheren Übergriffen im Zarenreich abheben: durch den Massencharakter, wobei sie zutreffend die Zahl der Ermordeten in einer Höhe von rund 100.000 einordnet, und durch die Ideologisierung, mit der Juden und bol’ševiki gleichgesetzt wurden. Die zahlreichen Dokumente sind in drei Abschnitte gegliedert und zwar in solche zur Ukraine, zu Weißrussland und zum europäischen Teil Russlands.

Das Kapitel zur Ukraine nimmt fast zwei Drittel des gesamten Werkes ein. Hier werden die Vorgänge von dem Beginn der Pogrompropaganda bis hin zur Bewältigung der Folgen beleuchtet. Die Dokumente sind häufig Berichte von Mitarbeitern der Hilfseinrichtungen, die einem klaren Schema folgen: Auf eine Beschreibung der Ortschaft, in der das Pogrom verübt wurde, folgt eine Schilderung der Geschehnisse bis hin zu einer Summierung der materiellen Schäden und der menschlichen Verluste. Daneben gibt es auch Erzählungen von Opfern, die unmittelbar nach den Pogromen niedergeschrieben wurden und einen tiefen Eindruck hinterlassen. Betroffen macht die Abfolge der Pogrom-Anstifter, und es wird deutlich, wie die sich abwechselnden Herren, ob Petljura, Denikin oder Machno, die Juden zum Ziel ihrer Aggression machten. Gerade die Ausweglosigkeit der Lage drängt sich unmittelbar auf. Zwar hebt L.B. Miljakova in der Einleitung die strikte Gegnerschaft der roten Herrscher gegenüber den Pogromen hervor, dennoch beteiligten sich auch demoralisierte Rotarmisten an den Plünderungen. Besonders häufig werden aber Untaten der Truppen der Ukrainischen Volksrepublik geschildert. Dabei versuchen die Herausgeber durchaus, auch Petljura Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, indem sie zum Beispiel seinen Aufruf an die Truppen der UNR vom 27. August 1919, die Pogrome zu beenden, berücksichtigen (Dokument 77). Der Hetman drohte hier Pogrom-Treibern sogar die Todesstrafe an. Die Ordnung der Dokumente ist streng chronologisch; es werden in diesem Rahmen aber auch Archivalien zu einem bestimmten thematischen Aspekt zusammen dargeboten. Hierzu gehören im ersten Teil vor allem die Schriftstücke zu den Versuchen der jüdischen Gemeinden zur Organisation von Selbstschutzverbänden, die zeigen, dass die Juden sich nicht wehrlos zur Schlachtbank führen ließen; sie scheiterten aber oft am Widerstand der Behörden. Des Weiteren sind die Unterlagen zur Situation der Flüchtlinge zu nennen, die in großer Zahl zur rumänischen Grenze strömten in der Hoffnung, nach Palästina oder Amerika emigrieren zu können.

Im zweiten Teil werden Dokumente zu den Pogromen in Weißrussland präsentiert, allerdings nicht so ausführlich wie im ersten Abschnitt. Das Redaktionsteam wählte ausschließlich Materialien zu den Untaten der polnischen Besatzungsarmee und daran anschließend solche zu von örtlichen Banditen verübten Gräueltaten aus. Interessant ist die Äußerung einer regionalen jüdischen Hilfsorganisation (auf S. 724), das Banditentum in Weißrussland trage einen ganz anderen Charakter als das ukrainische in dem Sinne, dass es hier stark politisiert sei.

Das dritte Kapitel zum europäischen Russland gibt zunächst propagandistische Äußerungen der bolschewistischen Machthaber gegen den Antisemitismus wieder, die in ihrer Vielzahl sehr ermüdend wirken. Interessant sind dagegen die Dokumente über die Ausschreitungen im Machtbereich der Freiwilligenarmee Denikins, die zeigen, dass der Befehlshaber selbst diesen Erscheinungen machtlos gegenüberstand (Dokument 329) und dass sogar die antibolschewistische Untergrundorganisation „Bund der Wiedergeburt Russlands“ Anstoß nahm (Dokument 334). Auch hier wird sehr ausführlich das Unwesen von antisemitischen Banditen dargestellt, wobei dieses Problem noch Anfang der zwanziger Jahre ungelöst war. Von besonderem Interesse sind die Unterlagen, die verdeutlichen, wie die Machthaber im Kreml’ auf der Konferenz von Genua versuchten, die Pogrome auf internationaler Ebene zu instrumentalisieren, und in diesem Zusammenhang erkennen lassen, wie unerwünscht Hinweise auf die Teilnahme von roten Truppen an den Ausschreitungen waren (Dokument 348).

Hervorzuheben ist der wirklich ausgezeichnete Anmerkungsapparat mit der kleinen Einschränkung, dass im zweiten Teil zu Weißrussland häufig ganze Dokumente abgedruckt sind, die offenbar im Haupttext nicht untergebracht werden konnten. Zusammenfassend ist zu betonen, dass mit diesem Werk Maßstäbe gesetzt werden, die nur schwer erneut zu erreichen sein werden. Für den Forscher, der keinen Zugang zu den Archiven hat, ist die Lektüre dieses Dokumentenwerkes eine absolute Pflicht.

Georg Wurzer, Tübingen

Zitierweise: Natalia Kovaleva über: Lidija B. Miljakova (otv. red.) Kniga pogromov. Pogromy na Ukraine, v Belorussii i evropejskoj časti Rossii v period Graždanskoj vojny 1918–1922 gg. Sbornik dokumentov [Buch der Pogrome. Pogrome in der Ukraine, Weißrussland und dem europäischen Teil Russlands. ISBN: 5-8243-0816-0, in: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Wurzer_Miljakova_Kniga_pogromov.html (Datum des Seitenbesuchs)