Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 65 (2017), 4, S. 666-668

Verfasst von: Isabella Woldt

 

Wojciech Tygielski: Italians in Early Modern Poland. The Lost Opportunity for Modernization? Transl. by Katarzyna Popowicz. Frankfurt a.M. [usw.]: Peter Lang, 2015. 539 S. Polish Studies – Transdisciplinary Perspectives, 11. ISBN: 978-3-631-64134-7.

Nicht nur wegen der aktuell verstärkten soziopolitischen Diskussion über Migration erscheint die Neuauflage einer Publikation, die sich mit der Einwanderung der Italiener in die polnisch-litauische Adelsrepublik in der Frühneuzeit befasst, relevant. Menschenbewegungen gab es in allen Epochen. Die Gründe dafür waren stets vielfältig. 1993 war auch Wojciech Tygielski einer von solchen Menschen. Im Vorwort zu dem vorliegenden Buch beschreibt er seine Impressionen auf dem Weg nach Rom, um für vier Jahre am Polnischen Kulturinstitut seine Tätigkeit als Direktor aufzunehmen. Als Historiker beschäftigte ihn sogleich die Frage: Was hat hingegen wohl Italiener dazu bewogen, in der Frühneuzeit in den Osten, in das polnisch-litauische Königreich auszuwandern, in ein Gebiet, das offenbar – wie es der Untertitel des Buches auch klar ausspricht im Vergleich zu ihrer Heimat rückständig war. Aus dieser relativ simplen Frage entstand eine umfangreiche und detailreiche Studie, und die Emigrationsgründe, die Tygielski herausfand, waren ähnlicher Natur wie auch heute: politische, ökonomische und religiöse, aber auch rein kulturelle. In der eher liberalen Adelsrepublik suchte man einerseits nach Schutz und besseren Arbeits- und Lebensbedingungen, andererseits wurden viele auch als Auftragnehmer von Institutionen oder Privatpersonen nach Polen berufen. Kenntnisse über das Land vermittelten Schriften von Italienern wie die von Enea Silvio Piccolomini, Paolo Giovio, Baldassare Castiglione, Flavio Biondo, Marcantonio Sebellico, aber auch von solchen polnischen oder in Polen naturalisierten Chronisten wie Miechowita, Ludwig Decjusz, Marcin Kromer oder Alexander Guagnini. Tygielski wertet sie alle unter dem Aspekt aus, welches Bild sie von Polen vermittelten.

Wojciech Tygielski ist heute an der Universität Warschau tätig und ein ausgewiesener Kenner der frühneuzeitlichen Geschichte. Aus seiner Hand stammen zahlreiche Publikationen über die Beziehungen zwischen Polen und den europäischen Staaten, unter anderem über die Aktivitäten der päpstlichen Nuntien in Polen im 16. und 17. Jahrhundert (1992). Zuletzt erschien unter seiner Mitherausgeberschaft ein Überblick über die mannigfaltigen Nationen in der Adelsrepublik (2010). Das vorliegende Buch wurde erstmals 2005 in Polnisch veröffentlicht. Die englische Ausgabe von 2015 zeigt sich in einer ordentlichen, elaborierten Übersetzung von Katarzyna Popowicz.

Zwei Hauptfragen beschäftigen den Autor gleich zu Anfang. Sie betreffen die angewendete Terminologie. Tygielski behandelt eigentlich einen Zwei-Nationen-Staat, der offiziell seit 1569 durch eine Union zwischen dem Königreich Polen und dem Großherzogtum Litauen bestand. Aufgrund einer Homogenisierung, die im Laufe der Zeit stattfand, sei es durchaus legitim, im Titel lediglich „Polen“ als territorial-politische Bezeichnung des Untersuchungsgebietes zu verwenden, das die ganze Adelsrepublik (Rzeczpospolita) umfasste. Nicht ohne Bedeutung ist auch die Erklärung der nationalen Zuordnung der untersuchten Immigranten. In der Frühneuzeit gab es keine nationale Zugehörigkeit, wie wir sie seit der Bildung von Nationalstaaten im 19. Jahrhundert kennen. Zurecht wird diese Problematik im Buch diskutiert, denn in der Frühneuzeit existierte auf dem Gebiet des heutigen Italiens, außer dem Vatikanstaat, kein strukturell homogener Staat, sondern nur eine Reihe von Fürstentümern – nicht selten unter dem Protektorat anderer europäischer Mächte. Wenn aus den Quellen deutlich hervorgeht, dass eine Person auf dem Gebiet Italiens, wie wir es heute kennen, geboren und unter den dortigen kulturellen Bedingungen geprägt wurde, oder wenn die Quellen bei Benennung der Person von einem „Italiener“ sprechen, dann setzte auch Tygielski seine Untersuchungen an dieser Stelle an.

Bei seiner Betrachtung konzentriert sich der Autor nicht auf eine bestimmte soziale oder Berufsgruppe. Zugrundegelegt wird allerdings das Kriterium einer besonderen Leistung. Während die ersten drei Kapitel des Buches sich mit der Erhebung der Personen, ihrer Berufe, ihrer Aktivitäten und Netzwerke in der polnisch-litauischen Gesellschaft beschäftigen, widmet sich der Autor in den übrigen drei Kapiteln den Reaktionen im Land, dem Status, dem Austausch aber auch den Konflikten mit den Zugezogenen. Tygielski befasst sich mit der Nobilitierung der Italiener und ihrer allmählichen Polonisierung. Hervorzuheben ist, dass die Kenntnis der italienischen Sprache in Polen relativ verbreitet war, geschuldet vor allem dem bedeutenden Einfluss der aus Italien stammenden Königin Bona Sforza, dem Nuntius, dem ökonomischen Interesse an den italienischen Handelsgütern und der Kunst. Das Bild änderte sich erst Ende des 17. Jahrhunderts, als der absolutistische französische Hof auf gesamteneuropäischer Ebene und die aus Frankreich stammende Ehegattin Jan III. Sobieskis, Casimira, im Speziellen Französisch als Sprache der Verhandlungen und der Kultur in den Mittelpunkt rückten, wobei Tygielski jedoch explizit betont, dass bei Sobieski auch exzellente Italienisch-Kenntnisse belegt sind.

Das Schlusskapitel problematisiert schließlich die Frage des Untertitels, welche Nachwirkungen die Präsenz der Italiener in Polen hatte, und Tygielski stellt am Ende eine verpasste Chance der Modernisierung fest. Sowohl in ökonomischer als auch in intellektuell-kultureller Hinsicht gehört Modernisierung als Thema seit der Renaissance zu den Schlüsselproblemen der kulturhistorischen Forschung. Tygielski konstatiert, dass trotz bedeutender Hinterlassenschaften der Italiener auf der Ebene der Kunst und Kultur weniger Einfluss auf der ökonomischen Ebene zu verzeichnen sei. Zum einem sind viele der italienischen Familienverbände gar nicht in die polnischen Netzwerke aufgenommen worden, zum anderen hätten die Italiener keine nennenswerten polnischen Schüler und Nachfolger hervorgebracht. Die Gelegenheit, die Strukturen in Polen zu modernisieren, wurde trotz einer zeitweilig starken Präsenz von Italienern in Polen nicht wahrgenommen. Grund dafür sucht Tygielski vor allem in der spezifischen Kulturformation des Sarmatismus, der als Identifikationsideologie des gesamten Adels des multikulturellen, multiethnischen und weitläufigen Landes eine dominante Stellung hatte. Tygielski geht allerdings an dieser Stelle auf die zentralen kulturellen Aspekte des Sarmatismus nicht explizit ein. Denn gerade die Aufgeschlossenheit des Sarmatismus gegenüber der Antike half den Italienern im 15. bis 17. Jahrhundert, sich in Polen zu etablieren und damit auch die regionale Kultur mit wertvollen humanistischen Impulsen zu versehen und zu bereichern. Die rückständige Megalomanie des Sarmatismus, die Tygielski anprangert, nimmt erst mit dem Auftreten der sächsischen Könige in Polen Anfang des 18. Jahrhunderts ihren Anfang. Während die einflussreichen Eliten die Impulse nun aus Frankreich und dem sächsischen Hof beziehen, verharrt die gentry im Konservatismus. Die Modernisierung wäre spätestens im 18. Jahrhundert notwendig gewesen, allerdings war sie gerade aufgrund der politischen (Teilung Polens), und nicht der kulturellen Verhältnisse unmöglich.

Zusammenfassend ist zu betonen, dass das Buch eine ertragreiche Untersuchung darstellt. Tygielski hat umfassend das Archivmaterial – u. a. die Korrespondenz der Nuntien, Tagebücher von Adligen und Sejm-Dokumente – ausgewertet. Und letztlich werden nicht nur Namen wie Bona Sforza, die Italiener nach Polen holte, bekannte italienische Künstler wie die Gucci-Brüder oder Thomaso Dolabella oder Autoren wie Marcin Kromer, Szymon Starowolski, oder Pawel Piasecki, die über die Präsenz und die Aktivitäten der Italiener berichteten, im Buch genannt, sondern auch viel andere, weniger bekannte Persönlichkeiten, wie Ärzte, Apotheker oder Beamte und Botschafter, die dem Autor in den Quellen begegneten und die das Gesamtbild vervollständigen. Allerdings fehlt es dem Buch an Anschauungsmaterial, das die Ergebnisse vor allem der ersten fünf Kapitel in Form von Tabellen und Karten verdeutlichen würde. Ein Sach- und Personenverzeichnis im Anhang wäre ebenfalls notwendig gewesen.

Isabella Woldt, London

Zitierweise: Isabella Woldt über: Wojciech Tygielski: Italians in Early Modern Poland. The Lost Opportunity for Modernization? Transl. by Katarzyna Popowicz. Frankfurt a.M. [usw.]: Peter Lang, 2015. 539 S. = Polish Studies – Transdisciplinary Perspectives, 11. ISBN: 978-3-631-64134-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Woldt_Tygielski_Italians_in_Early_Modern_Poland.html (Datum des Seitenbesuchs)

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