Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 63 (2015), 3, S. 505-507

Verfasst von: Gerhard Wettig

 

Robert Gellately: Stalin’s Curse. Battling for Communism in War and Cold War. Oxford: Oxford University Press, 2013. 464 S., 17 Abb., 3 Ktn. ISBN: 978-0-19-966804-5.

Dieses Buch ist das erste Werk, das Stalins Sowjetisierungspolitik von der Deblockierung der Expansion durch den Pakt mit Hitler 1939 bis zur Einbeziehung Ostasiens in den Export von Herrschaft und System während der letzten Jahre umfassend behandelt. Die knappen, klaren Analysen von Robert Gellately beruhen auf einer überaus breiten Basis von Dokumenten, Quellen und Darstellungen, die in englischer, deutscher, russischer, bulgarischer und rumänischer Sprache erschienen sind. Als Stärken des Werkes sind hervorzuheben, dass der Autor aufgrund dieser Materialien die Wahrnehmungen der Akteure ausführlich und kompetent darstellt, zwischen den verschiedenen Standpunkten genau differenziert und sich nicht auf die Behandlung des Außenverhaltens beschränkt, sondern auch zeigt, wie dieses mit den Propagandakampagnen und Säuberungen im Innern zusammenhängt, durch die das Sowjetregime vorInfektionen‘ aus dem eroberten Ausland geschützt werden sollten.

Stalin konnte die Expansion seiner Herrschaft mittels Sowjetisierung stets durchsetzen, wenn er über die Instrumente der Gewalt verfügte, scheiterte aber regelmäßig, wenn das nicht der Fall war. Tito, Enver Hoxha und Mao waren zwar auf ihn eingeschworen und folgten seinem Kurs, verdankten aber ihre Herrschaft nicht der Roten Armee und unterlagen daher nicht seinem bestimmenden Einfluss. Die Folge war, dass sie ihre Länder zwar sowjetisierten, dabei aber die Instruktionen aus Moskau ignorierten und sich früher oder später vom Einfluss der UdSSR lösten. Auch die griechischen Kommunisten, die zwar keine Staatsmacht hatten, aber ebenfalls der sowjetischen Militärmacht nicht ausgesetzt waren, handelten nach eigenen Vorstellungen. Angesichts dieser Erfahrungen wurde für Stalin Ende der vierziger Jahre der  „nationale Weg zum Sozialismus“, den er zuvor selbst proklamiert hatte, zur schlimmsten, am stärksten bekämpften Verfehlung.

Die Sowjetisierung erfolgte in den Regionen, welche die Rote Armee 1944/45 erobert hatte, auf Initiative und nach Instruktion Stalins, der sich dabei einheimischer, in Moskau geschulter und zu unbedingtem Gehorsam verpflichteter Kommunisten bediente. Überall wurde die Systemtransformation mit den gleichen Maßnahmen eingeleitet und auf die gleiche Weise fortgeführt, wobei man sich den jeweils besonderen Umständen vor Ort taktisch anpasste. Das Vorgehen war stets zweistufig. Um die antiwestliche Ausrichtung vor allem gegenüber den USA zu verschleiern, mit deren gewaltiger Macht Stalin nicht zusammenstoßen wollte und von denen er sich zudem Wirtschaftshilfe für den Wiederaufbau der UdSSR erhoffte, ließ er parlamentarisch-demokratische Fassaden errichten. Es wurden Allparteienregierungen geschaffen, die nach außen hin nicht sichtbar machten, dass die Kommunisten die politische Steuerung in der Hand hatten und ihrerseits den Weisungen der sowjetischen Militärbehörden folgten. Die nächste Stufe, die unverhüllte Machtergreifung, wurde Mitte 1947 erreicht, als es wegen des Marshall-Plans, den Stalin als feindliche Herausforderung betrachtete, zum Bruch mit den Westmächten kam. Er nahm daraufhin keine Rücksichten mehr, sondern ging offen auf Konfrontationskurs.

Es lässt sich zwar argumentieren, dass Stalin bei der Unterwerfung der eroberten Gebiete wie auch im Umgang mit dem Westen sich von Machtstreben leiten ließ und pragmatisch vorging. Zugleich lagen jedoch seinem Handeln unverkennbar ideologische Motivationen zugrunde. Das kam zum Ausdruck nicht nur in der zwanghaften Vorstellung des unveränderlichen Gegensatzes zur kapitalistischen Welt und des Kampfes gegen sie (einschließlich der sozialistischen Transformation, wenn diese möglich erschien), sondern auch in konkreten Konzepten des Vorgehens. Auf dem Kalkül, die UdSSR könne und solle die Konflikte unter denImperialisten“ ringsum zum wechselseitig ruinösen Krieg zwischen ihnen steigern, der zum Schluss zum Aufstand des Proletariats und dessen Sieg mit sowjetischer Hilfe führen würde, beruhten sowohl der Nichtangriffspakt mit Hitler, der diesen mit voller Absicht zur militärischen Aggression ermutigte, als auch das spätere Verhalten gegenüber den westlichen Verbündeten, die sich nach Stalins Erwartung künftig in wechselseitig vernichtende Konflikte verstricken sollten. Ideologisch begründete Annahmen waren auch dafür bestimmend, dass der sowjetische Diktator glaubte, die USA müssten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus Eigeninteressenämlich zur Abwendung von Massenarbeitslosigkeit - zu wirtschaftlicher Hilfeleistung für die UdSSR genötigt sein, was ihn im Marshall-Plan nicht die seinem notleidenden Land gebotene Chance, sondern eine üble Machenschaft deramerikanischen Imperialisten“ sehen ließ.

Anders als frühere Autoren ist sich Gellately der großen Bedeutung der Deportationen und ethnischen Säuberungen bewusst. Schon 1939–1941 bei der Annexion der Gebiete, deren sich die UdSSR nach dem Pakt mit Hitler bemächtigte, und 1943/44 bei der Wiederinbesitznahme sowjetischer Territorien, deren Bewohner sich gegenüber den deutschen Eroberern allzu freundlich gezeigt hatten, ließ Stalin große Menschenmassen, oft ganze Völker, aus ihren angestammten Siedlungsgebieten auf unerhört brutale Weise entfernen. Als die Rote Armee über die Grenzen nach Westen vordrang, war die ethnische Säuberung der eroberten Länder ein Faktor, der die kommunistische Machtergreifung wesentlich erleichterte. Die Territorien, der Landbesitz, die Industriebetriebe und die sonstigen Vermögenswerte der vertriebenen Deutschen, die von den Parteikadern übernommen wurden, dientenaußer der persönlichen Bereicherungvor allem dem Ausbau der politischen Position und der mittels Versorgung hergestellten Gefolgschaftsbildung. Es war kein Zufall, dass die früheren sudetendeutschen Regionen in der Tschechoslowakei 1946 bei den Wahlen mit über 92 % für die KPČ stimmten.

Gellatelys brillante Darstellung des Transformationsprozesses, den die UdSSR in Osteuropa generell in Gang setzte, lässt nicht deutlich werden, wieso Stalin in zwei Sonderfällen von der Oktroyierung der kommunistischen Herrschaft absah. Seine Politik gegenüber Österreich wird zwar kurz erwähnt, doch kommen weder Einzelheiten seines dortigen Vorgehens zur Sprache noch das zugrunde liegende Motiv, die Bevölkerung dieses Landes, die zwischen den beiden Weltkriegen die Vereinigung mit Deutschland heftig erstrebt hatte, durch Vorzugsbehandlung von den Vorteilen einer dauernden Trennung und Eigenstaatlichkeit zu überzeugen. Von Finnland, das ebenfalls der Unterwerfung unter das Sowjetsystem entging, ist überhaupt keine Rede. Der entscheidende Grund dafür war der Umstand, dass Stalin bei den Verhandlungen im Herbst 1944 zwar auf sehr harten Waffenstillstandsbedingungen bestand, aber auf die Besetzung des Landes verzichtete, die es ihm so wie in den anderen Gebieten ermöglicht hätte, die Sowjetisierung mittels Lenkung und Unterstützung ergebener kommunistischer Kader voranzutreiben. In Anbetracht des heftigen militärischen Widerstandes, den die Finnen in weit unterlegener Lage geleistet hatten, war klar, dass er ohne weitere erbitterte Kämpfe keine Okkupation durchsetzen konnte. Er wollte jedoch seine Streitkräfte für die Offensive gegen Berlin freibekommen, denn an der Mitte Europas war er weit stärker interessiert als an dessen Peripherie.

Insgesamt ist das Werk von Gellately eine inhaltlich überzeugende, hervorragend formulierte Gesamtdarstellung der auf die Ausbreitung des Kommunismus abzielenden Politik Stalins.

Gerhard Wettig, Kommen

Zitierweise: Gerhard Wettig über: Robert Gellately: Stalin’s Curse. Battling for Communism in War and Cold War. Oxford: Oxford University Press, 2013. 464 S., 17 Abb., 3 Ktn. ISBN: 978-0-19-966804-5, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Wettig_Gellately_Stalins_Curse.html (Datum des Seitenbesuchs)

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