Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Band 58 (2010) H. 3, S.  466-468

Stefan Creuzberger Kampf für die Einheit. Das gesamtdeutsche Ministerium und die politische Kultur des Kalten Krieges 1949–1969. Droste Verlag Düsseldorf 2008. XII, 604 S. = Schriften des Bundesarchivs, 69. ISBN: 978-3-7700-1625-9.

Das Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen (BMG) war eine wichtige Institution des Kalten Krieges, deren bisher unerforschte Entwicklung und Tätigkeit Stefan Creuzberger auf der Grundlage erstmals verfügbarer Akten ausführlich und präzise darstellt. Dieses Ressort, das innerhalb der Bundesregierung wegen der Eigenartigkeit seiner Aufgaben und des fehlenden Unterbaus eine Sonderstellung einnahm, sollte den Anspruch der Bundesrepublik als der allein legitimierte Staat der deutschen Nation vertreten, den analogen Anspruch der DDR abwehren und einen Beitrag zur erhofften Wiedervereinigung auf freiheitlich-demokratischer Grund­lage leisten. Daneben gab es bei der Einrichtung des Ministeriums taktische Überlegungen. Insbesondere wollte Adenauer Jakob Kaiser politisch einbinden, der sich zwar nachdrücklich zur Demokratie bekannte, aber der Politik der Westintegration reserviert gegenüberstand, nachdem er in der frühen Nachkriegszeit die CDU als gesamtdeutsche Partei von Berlin aus aufzubauen gesucht und die Idee eines Brückenschlags zwischen Ost und West ver­treten hatte. Der Bundeskanzler konnte sich dabei auf Franz Thedieck stützen, den Kaiser aufgrund langer persönlicher Verbundenheit als Staatssekretär wünschte und bekam. Während der Minister das Haus nach außen repräsentierte, war Thedieck im Innern der ‚starke Mann‘, der alle Fäden in der Hand hielt.

Die Tätigkeit des BMG bestand weithin darin, private Vereinigungen und Institutionen mit meist scharf antikommunistischer Ausrichtung zu fördern und vielfach auch direkt in Dienst zu nehmen. Auf diese Weise entstand ein Netzwerk des Zusammenwirkens, bei dem die genaue Bestimmung des Vorgehens nicht selten den Partnern überlassen war; doch wurden verschiedentlich auch Instruktionen erteilt (etwa an Agitationsorgane); oder es gab – in der Kooperation mit amerikanischen Diensten und den Ostbüros von SPD, CDU und FDP – eine wechselseitige Information und Koordination. Im Falle wissenschaftlicher Einrichtungen respektierte das BMG die Unabhängigkeit der Arbeit. Stets gewährte es finanzielle Hilfe und war, soweit das angebracht erschien, mit Propagandamaterialien behilflich. Das verdeckte Vorgehen durch Dritte hatte den Vorteil, dass das Ministerium – und damit die Bundesrepublik Deutschland – nicht selbst in Erscheinung zu treten brauchte.

Bis in die frühen sechziger Jahre bestimmte durchweg eine ausgeprägt antikommunistische Haltung das Vorgehen. Das entsprach den Einstellungen der bis zum Ende der Adenauer-Zeit amtierenden CDU-Minister Kaiser, Ernst Lemmer und Rainer Barzel und deren Staatssekretärs Thedieck. Ihnen standen Mitarbeiter zur Seite, welche die kommunistische Repression oft am eigenen Leib leidvoll erfahren hatten. Die aktivste, die Linie des Hauses weithin selbständig ausführende Persönlichkeit war der Leiter der Abteilung I, Ewert von Dellingshausen. Im Kampf gegen die UdSSR und ihre deutschen Mitstreiter war er bestrebt, sowohl deren Position in der DDR zu schwächen als auch ihrem – anfänglich als akute Gefahr wahrgenommenen – Bemühen um Einfluss und Macht in der Bundesrepublik zu begegnen. Bei der Auswahl seiner Mittel und Methoden war das BMG oft nicht wählerisch und ließ sich dann weniger von Kriterien demokratischer Prinzipientreue als vom Streben nach Wirkungsmaximierung leiten: Auch wenn man die Stabilisierung des SED-Regimes aufzuhalten suchte, indem man seinen Unterdrückungs- und Unrechtscharakter sowie die sozialismusbedingten Versorgungsmängel herausstellte, und sich um die Mobilisierung oppositioneller Kräfte bemühte, hatte in Zweifelsfällen das Bestreben Vorrang, die Gefährdung von Sympathisanten in der DDR zu vermeiden. Man wollte die Lage der „Brüder und Schwestern drüben“ erleichtern, etwa indem man, ohne es an die große Glocke zu hängen, den Kirchen, vielen Bedürftigen (etwa Kranken, denen die benötigten Medikamente fehlten) und der Bevölkerung insgesamt materielle Hilfe leistete. Oberstes Ziel der auf die DDR ausgerichteten Arbeit war, das Bewusstsein der gesamtdeutschen Gemeinsamkeit aufrechtzuerhalten und zu stärken.

Nach dem Ende der akuten Krisen im Verhältnis zur UdSSR und zum SED-Staat schwächte sich der antikommunistische Konsens des Ministeriums ab. Nachdem die Konflikte um West-Berlin und Kuba ihren akut bedrohlichen Charakter verloren hatten, regte sich im Westen immer stärker der Wunsch nach Entspannung. Das wirkte sich auch auf die Bonner Politik aus. Als Adenauer im Herbst 1963 aus dem Amt schied, trat der FDP-Vorsitzende Erich Mende an die Spitze des BMG und suchte sich durch einen neuen Kurs zu profilieren. Was bis dahin die einmütige Überzeugung des ganzen Hauses gewesen war, wurde nach den personellen Umbesetzungen, die der neue Minister vornahm, vielfach in Frage gestellt. Im Vordergrund der Bemühungen standen nunmehr die – von Mende in der Bundesregierung durchgesetzten – Passierscheinvereinbarungen, die den West-Berlinern, die seit dem Mauerbau 1961 von Besuchen im Ostteil der Stadt ausgeschlossen gewesen waren, jeweils für kurze Zeit das Wiedersehen mit ihren Verwandten und Freunden ‚drüben‘ ermöglichten. Zwar wurde eine ausdrückliche staatliche Anerkennung der DDR vermieden, doch akzeptierte die westdeutsche Seite erstmals, dass sie nicht am Kurs totaler Ablehnung festhalten konnte, sondern mit dem anderen deutschen Staat Übereinkünfte anstreben musste.

Ende 1966 trat nach Bildung der Großen Koalition in Bonn der SPD-Politiker Herbert Wehner an die Spitze des BMG und machte endgültig Schluss mit der antikommunistischen Ausrichtung. Von da an war es das Ziel, sich zwecks Verbesserung der Lage für die Menschen in der DDR um Vereinbarungen mit den dortigen Machthabern zu bemühen und deshalb Ärger mit Ost-Berlin möglichst zu vermeiden. Deswegen wurden die Leitungsstrukturen im Ministerium grund­legend verändert; an allen wichtigen Stellen hatten fortan Wehners Gesinnungsgenossen das Sagen. Sie setzten durch, dass an die Stelle der bisher manchmal grobschlächtigen Propaganda eine möglichst objektive Darstellung der Verhältnisse im östlichen Deutschland trat. Als Kriterium des gewünschten leidenschaftsfreien Urteils galt eine „systemimmanente“ Betrachtung auf der Basis von SED-eigenen Vorstellungen und Angaben. Um diesen Ansatz näher auszuarbeiten und ihm gesellschaftlich Geltung zu verschaffen, wurde mit großem finanziellen Aufwand eine DDR-Forschung neuen Typs etabliert, um auf diese Weise Verständigung und Annäherung im deutsch-deutschen Verhältnis zu fördern. Man baute nicht nur die zwischenstaatliche Konfrontation ab, sondern verzichtete auch innerstaatlich darauf, die gegen die grundgesetzliche Ordnung gerichtete Tätigkeit der Kommunisten als solche zu brandmarken. Auf Drängen vor allem Wehners und des Bundesjustizministers Gustav Heinemann wurde die 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotene KPD 1968 als vorgebliche Neupartei DKP legalisiert. Alle diese Schrit­te bereiteten die Neuorientierung vor, die dann Ende 1969 in aller Form von der soziallibe­ralen Regierung Brandt/Scheel eingeleitet wur­de.

Die vorliegende Monographie ist mehr als nur die Darstellung eines interessanten und wichtigen Kapitels aus den ersten zwei Jahrzehnten der Geschichte der Bundesrepublik. Indem sie sich mit dem Ausbau des BMG zu einer Schalt- und Koordinierungszentrale der psychologischen Kriegführung, mit den auf die DDR zielenden Operationen und mit dem Vorgehen gegen den inneren Feind auf dem eigenen Staatsgebiet befasst, zeigt sie exemplarisch, wie der Kalte Krieg von der westlichen Seite auf der „gesellschaftlichen Ebene“ geführt wurde. Creuzbergers quellenmäßig gut fundierte, klar und präzise formulierten Ausführungen vermeiden die Umständlichkeiten und das Fachchinesisch, das solchen Arbeiten oft eigen ist, und lassen sich daher leicht lesen. Das Buch kann allen zur Lektüre empfohlen werden, die sich für die Geschichte der frühen Bundesrepublik, die Entwicklung des innerdeutschen Verhältnisses und insbesondere für eine Innensicht des Kalten Krieges in der Zeit interessieren, in der er seinen Höhepunkt erreichte.

Gerhard Wettig, Kommen

Zitierweise: Gerhard Wettig über: Stefan Creuzberger Kampf für die Einheit. Das gesamtdeutsche Ministerium und die politische Kultur des Kalten Krieges 1949–1969. Droste Verlag Düsseldorf 2008. XII. = Schriften des Bundesarchivs, 69. ISBN: 978-3-7700-1625-9, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 3, S. 466-468: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Wettig_Creuzberger_Kampf_fuer_die_Einheit.html (Datum des Seitenbesuchs)