Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 59 (2011) H.4

Verfasst von: Claudia Weber

 

Oxana Stuppo: Das Feindbild als zentrales Element der Kommunikation im Spätstalinismus. Der Fall Sverdlovsk 1945–1953. Wiesbaden: Harrassowitz, 2007. = Forschungen zur osteuropä­i­schen Geschichte, 70. ISBN: 978-3-447-05523-9.

Die Analyse von Feindbildern im Stalinismus gehört zu den wahrhaft anspruchsvollen Unternehmungen der Historiker. Einerseits ist es unmöglich, den Stalinismus ohne seine Feindparanoia zu denken. Andererseits aber erfordern gerade die Omnipräsenz, Beliebigkeit und Inhaltsleere stalinistischer Feindzuschreibungen eine präzise Fragestellung und Konzeption. Wie nagelt man einen Pudding an die Wand?

Die Autorin des vorliegenden Buches, Oxana Stuppo, versucht diesem Problem mittels zeitlicher und räumlicher Beschränkung beizukommen. Ihre Studie, die auf einer am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt geschriebenen Dissertation basiert, untersucht die Kommunikationsmechanismen von Feindbildern im Gebiet Sverdlovsk. Oxana Stuppo konzentriert sich mit dem Spätstalinismus dabei auf eine Zeit, die im Gegensatz zu den zwanziger und dreißiger Jahren bisher nicht im Fokus der historischen Feindbildforschung stand. Ihre Entscheidung begründet die Autorin etwas lakonisch mit dem Hinweis darauf, dass „das ganze Gerüst des Stalinismus von dessen höchstem Punkt aus erkennbarer ist“. (S. 17) Warum ihr der Spätstalinismus als der „höchste Punkt“ des Systems gilt, erklärt Oxana Stuppo allerdings nicht. Ebenso wenig lässt sie sich auf eine historische Charakterisierung der spannungsreichen Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und im beginnenden Kalten Krieg ein.

Die ersten drei Kapitel, die fast die Hälfte der knapp zweihundert Seiten einnehmen, haben mit einer historisch-empirischen Feindbildanalyse zunächst wenig zu tun. Dass sich die Autorin im ersten Teil der Begriffsdefinition und der Bedeutung von Feindbildern im Stalinismus zuwendet, ist nachvollziehbar. Dennoch hätten die theoretischen Betrachtungen ebenso wie die dann folgenden Kapitel zum Problem der „öffentlichen Meinung“ im Stalinismus und zum Sverdlovsker Gebiet zugunsten der bemerkenswerten Fallbeispiele komprimiert werden können.

Deren Beschreibung beginnt im vierten Kapitel mit der Untersuchung der Feindbildkommunikation in der ländlichen Bevölkerung. Hier gelingt es Oxana Stuppo, anhand von Beschwerdebriefen an die Moskauer Staats- und Parteizentrale zu zeigen, wie politisch verordnete Feindzuschreibungen von der Landbevölkerung in der eigenen Lebenswelt kommuniziert wurden. Am 19. Dezember 1946 ordnete der Erlass des Ministerrates der UdSSR an, alle „Feinde der Kolchosordnung“, „raffgierigen Elemente“ und „parasitären Nichtstuer“, die den Wiederaufbau der Nachkriegswirtschaft sabotierten, aufzuspüren. Die Bauern folgten dieser Anweisung auf ihre Weise und entledigten sich der oftmals ungeliebten Kolchosvorsitzenden, die, häufig aus anderen Landesteilen entsandt, Fremde blieben und die traditionellen Funktionen der Dorfältesten nicht erfüllten. Im Jahr 1947 nahm die Absetzung der Kolchosvorsitzenden solche Ausmaße an – im Gebiet Sverdlovsk waren allein 700 Vorsitzende strafrechtlich verfolgt worden –, dass Moskau wiederum per Erlass weitere Ablösungen ohne gesonderte Überprüfung untersagte. Als der Landbevölkerung bewusst wurde, dass ihre Beschwerden wirkungslos blieben, wurden sie eingestellt. Neben dem hier skizzierten Fall liefert das vierte Kapitel eine ganze Reihe aufschlussreicher Beispiele für die eigensinnige Kommunikation von stalinistischen Feindbildern in der sowjetischen Provinz. Es ist zu bedauern, dass die Autorin das heuristische Potential ihres Materials nur bedingt zu nutzen wusste. Es hätte die Möglichkeit für eine spannende Mikrostudie geboten, die hätte zeigen können, wie langlebige Feindbildhülsen und eingeübte Ausschlussrituale der dreißiger Jahre unter den besonderen Bedingungen der stalinistischen Nachkriegsgesellschaft wirkten. So betraf die Stigmatisierung beispielsweise auch Kriegswitwen, denen vorgeworfen wurde, die hohen Arbeitsnormen nicht zu erfüllen, stattdessen aber die moralische Ordnung des Dorfes zu bedrohen.

In den folgenden Kapiteln untersucht Oxana Stuppo die Funktionsmechanismen der antisemitischen Kosmopolitismuskampagne im universitären Milieu und die Wahrnehmung der repatriierten Sowjetbürger aus China sowie der Deutschen im Gebiet Sverdlovsk. Auch hier bietet das Buch einen guten Einblick in die Wirkungs- und Kommunikationsmechanismen politischer Feinbilder im sowjetischen Provinzalltag nach 1945. Leider aber geht die Autorin nicht darüber hinaus. Die historische Analyse der Fallbeispiele bleibt zu oft an der Oberfläche, und sie wirkt, in Abhängigkeit vom zugänglichen Archivmaterial, zufällig. Eine inhaltliche Schwerpunktsetzung hätte diesem Gesamteindruck entgegenwirken können. Denn dass es sich bei der Kommunikation stalinistischer Feindbilder in der sowjetischen Provinz um ein lohnendes Forschungsfeld handelt, hat das Buch von Oxana Stuppo allemal gezeigt.

Claudia Weber, Hamburg

Zitierweise: Claudia Weber über: Oxana Stuppo: Das Feindbild als zentrales Element der Kommunikation im Spätstalinismus. Der Fall Sverdlovsk 1945–1953. Harrassowitz Verlag Wiesbaden 2007. = Forschungen zur osteuropäischen Geschichte, 70. ISBN: 978-3-447-05523-9, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Weber_Stuppo_Feindbild.html (Datum des Seitenbesuchs)

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