Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Band 59 (2011) H.4, S.  596-598

Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 59 (2011) H.4

Verfasst von: Ricarda Vulpius

 

Imperienvergleich. Beispiele und Ansätze aus osteuropäischer Perspektive. Festschrift für Andreas Kappeler. Hrsg. von Guido Hausmann und Angela Rus­te­meyer. Wiesbaden: Harrassowitz, 2009. VII, 542 S. = Forschungen zur osteuropäischen Geschichte, 75. ISBN: 978-3-447-06055-4.

Das Thema der Imperiumsforschung hätte für die Festschrift zum 65. Geburtstag von Andreas Kappeler geeigneter nicht sein können. Kappeler, gebürtiger Schweizer, der im Zuge seiner wissenschaftlichen Arbeit an den Universitäten von Zürich, Köln und Wien einen großen Kreis von Schülern und mit ihm verbundenen Kollegen um sich scharte, legte mit seinem 1992 erschienenen Buch „Russland als Vielvölkerreich“ den Grundstein für die heute in Ost und West florierende Imperiumsforschung zum Russländischen Reich. Zwei seiner Schüler führten nun 25 Beiträge zusammen – eine ungewöhnlich hohe Zahl, stammen doch 13 der Autoren aus dem deutschsprachigen Raum, was beweist, wie rege Kappelers Themensetzung und Anregungen in seinem eigenen Sprachraum fortentwickelt wurden und bis heute fortwirken. Auch die zeitliche Bandbreite der Beitragsthemen, die von der Frühen Neuzeit bis ins ausgehende 20. Jahrhundert reichen, sowie die Einbeziehung des Osmanischen Reiches, der Habsburgermonarchie und Polen-Litauens, spiegeln Kappelers eigene, epochenübergreifende und räumliche Schaffensvielfalt adäquat wider.

Dennoch gelingt es dem Sammelband nicht, dem längst zum Allgemeinplatz aufgestiegenen Vorwurf an Festschriften zu entkommen, inhaltlich Disparates zu versammeln, das zu großen Teilen ohne den Festschriftcharakter nicht zueinander gefunden hätte. Dabei ist besonderes der Titel irreführend: Um „Imperienvergleich“ geht es tatsächlich in den wenigsten Beiträgen, wie bereits die Einteilung des Inhaltsverzeichnisses in fünf fast gleichstarke thematische Blöcke offenbart: 1. „Imperium: Historische Kategorien und Wissensformen“; 2. „Imperiale Herrschaft: Strategien und Gegenstrategien“; 3. „Biographien“; 4. „Orte“; 5. „Imperienvergleich“. In manchen Beiträgen geht es auch nicht um spezifisch imperiale Fragen, wie zum Beispiel der Aufsatz von Christian Noack zur Aneignung von Adelssitzen und Adelskultur in Russland und Irland zeigt. Eine Diskussion der schwierigen wie spannenden Frage, wie der Imperiumsbegriff mit Blick auf das Russländische Reich und die Sowjetunion zu fassen ist, für welche Fragen er sich im innerrussländischen wie im globalen Mächtesystem als fruchtbar erweisen kann, bleiben die Herausgeber den Lesern schuldig. Dabei hätte gerade hierin ein geeigneter Filter für die Auswahl der Beiträge gefunden werden können. Ohne eine gemeinsame Fragestellung geht es auf diese Weise kreuz und quer durch die Geschichte des Moskauer und des Petersburger Reiches sowie durch Facetten der ukrainisch-russischen Geschichte. (Das Gewicht von sechs Beiträgen spiegelt auch hier sehr schön das eigene Interesse des Jubilars wider.) Mit Aufsätzen von Gerhard Simon, Uwe Halbach und Rüdiger Ritter zur sowjetischen und postsowjetischen imperialen Situation werden die auch von Kappeler immer wieder gesuchten Bezüge zur Gegenwart eingebracht.

Ein spannender Ansatz des asymmetrischen Imperienvergleichs liegt der Studie von Angela Rustemeyer zugrunde. Sie fragt danach, ob im Falle Polen-Litauens ein osteuropäischer Typus der Herrschaftslegitimation entwickelt wurde. Anhand einer Untersuchung der polnischen Ethnographie kommt sie zum Schluss, dass sich Polen in die Gruppe der westeuropäischen Kolonialmächte insofern einreihen kann, als Polen nicht bloß um die Profilierung des Eigenen bemüht war, sondern mit Blick auf andere Ethnien gleichfalls auf biologistische Denkmuster zurückgegriffen hat, auch wenn dies weniger prominent als im Falle der meisten anderen Kolonialmächte geschah.

Ethnographie ist auch der Gegenstand von Yvonne Kleinmanns gelungenem Beitrag, der sich der Geschichte der Disziplin im Russländischen Reich widmet. Kleinmann verwirft die alte Ansicht, wonach sich Ethnographen an der Peripherie des Reiches im Zuge der zunehmenden Nationalisierung ausschließlich in Opposition zum imperialen Staat befunden hätten. Stattdessen zeichnet sie das Bild eines produktiven Spannungsverhältnisses dieser Forscher, die sich sowohl in den Dienst des Imperiums als auch der nationalen Ethnographie gestellt hätten. Zudem untermauert Kleinmann am Beispiel der Ethnographie in Russland überzeugend die These der Transfergeschichtsforschung, wonach fremde Wissenskulturen im Empfängerland anders angeeignet werden, als sie im Ursprungsland konzipiert waren.

Besonders interessant ist der Blick auf die vier Beiträge, die sich Fragen des Imperienvergleichs widmen. (Carsten Goehrkes Text zu Russland und zur Schweiz als zwei gegenläufigen „Imperien“ ist hier wohl eher als ein politischer Essay zu lesen.) Viel Kritik ist von der Redaktion der angesehenen Zeitschrift „Ab Imperio“ an der Methode des Vergleichs geübt worden (gerade mit Blick auf die Imperiumsforschung), darunter war der nachvollziehbare Einwurf, Vergleiche ließen ihre Objekte statisch werden, schüfen eine künstliche Homogenität, die der inneren Vielfalt nicht gerecht werde. Einen deutlichen Gegenbeweis liefert der Beitrag von Malte Griesse, der sich die schlichte Frage stellte, warum es im Russländischen Reich der Frühen Neuzeit keinen „Bauernkrieg“ gab. Seine meisterhaft entwickelte Analyse, bei der erst durch den Vergleich mit den frühneuzeitlichen französischen Revolten die relevanten Fragen an die russländische Geschichte gewonnen werden, kehrt zu den grundlegenden Kategorien der russischen Geschichte überhaupt zurück – dem Raum und der Geographie. Diese Kategorien sind keineswegs neu, aber ihre Bedeutung für konkrete Fragen der russländischen Geschichte durch den historischen Vergleich derart fesselnd demonstriert und erklärt findet man wohl selten.

Zwiespältiger fällt das Urteil über den Beitrag von Andreas Renner aus, der für seinen zunächst einmal anregenden und einfallsreichen Vergleich der Hauptstadtverlegungen von Moskau nach St. Petersburg und von Kioto nach Tokio auch ein überzeugendes tertium comparationis benennt – die Modernisierung des petrinischen Russlands und Meiji-Japans nach westlichem Vorbild. Doch stellt sich am Ende die Frage, was der Vergleich im Rahmen der Imperiumsgeschichte tatsächlich Neues hervorbringen konnte, was nicht genauso gut oder tiefgründiger isoliert im jeweils einzelnen Fall bereits geschrieben wurde. Liest man den Text jedoch als Plädoyer an die Forschung, sich beispielsweise mit dem Vergleich von Selbstzeugnissen von Zeitgenossen zu befassen, wie anlässlich des Hauptstadtwechsels Moskau / St. Petersburg und Kioto / Tokio „Modernisierung“ wahrgenommen wurde, so ist ein Mehrwert des Vergleichs – gerade mit Blick auf die von Renner beschriebene Wahrnehmung beider Länder, Nachzügler zu sein – leicht vorstellbar.

Das Thema des Beitrags von Aleksandr Lavrov – russische Gefangene im Osmanischen Reich, tatarische Gefangene im Moskauer Reich – erscheint von vornherein vielversprechend, insbesondere mit Blick auf die Verbindung von Vergleichs- und Verflechtungsgeschichte. Allein das Ausmaß der Versklavung russischer Untertanen an den südlichen Grenzen sowie ihre Bedeutung als Motiv für Russlands imperiale Expansion sind schwerlich zu überschätzen, von der Forschung hingegen noch wenig bearbeitet. Lavrov arbeitet heraus, dass es zum einen im russischen wie osmanischen System offensichtliche Ähnlichkeiten beim Umgang mit den Gefangenen der anderen Seite gab und dass es zum anderen zu Wechselwirkungen zwischen den beiden Imperien in der Behandlung der Gefangenen kam. Vieles wird hier allerdings nur kurz angesprochen, Thesen werden kaum untermauert. Dazu zählt auch jene, dass die Einstellung der osmanischen wie der russischen Regierung zu in Gefangenschaft geratenen Frauen sehr ähnlich war. Lavrovs Verdienst ist es aber, ein überaus spannendes und bislang unterbeleuchtetes Thema benannt und angerissen zu haben, das noch viel Potential und gerade in der Wechselwirkung seiner Vergleichsobjekte Erkenntnisgewinn birgt.

Guido Hausmanns Ausführungen zu den angeblich gegenläufigen Begriffen des maritimen Reiches und des Landreiches stellen – anders als es die Einordnung in die Vergleichsrubrik des Bandes suggeriert – keinen wirklichen Vergleich dar. Dem Autor geht es um die „ideologischen bzw. politischen Konnotationen in der geografischen Kennzeichnung Russlands“, um „eine Vorbedingung für einen Vergleich“ (S. 493). Der Text lässt aber nicht nur darüber im Unklaren, welcher Vergleich gemeint sein könnte, sondern auch, ob es methodisch um eine Diskursanalyse von Vorstellungen von der Bedeutung der Meere für Russland im Wandel der Zeiten oder um eine politikgeschichtliche Analyse russischer Außenpolitik mit Blick auf den maritimen Aspekt geht. In jedem Fall verdeutlicht der Beitrag, dass maritime Ambitionen für Russland seit dem 18. Jahrhundert eine große Rolle spielten und das Imperium nicht auf seinen Kontinentalcharakter beschränkt betrachtet werden sollte. Spannendes Analysepotential birgt hier sicherlich die vom Autor nur am Rande geäußerte Vermutung, wonach maritime und kontinentale Ambitionen sowie Erfolge und Misserfolge miteinander im Zusammenhang stehen.

Insgesamt enthält der Band eine Fülle von Anregungen und Einblicken in die jüngere historische Imperiumsforschung zu Osteuropa,  er wird jedoch in seiner Disparatheit nur als Festschrift zusammengehalten und hätte mit Blick auf Rechtschreib- und Computerfehler ein deutlich sorgfältigeres Lektorat verdient gehabt.

Ricarda Vulpius, Berlin

Zitierweise: Ricarda Vulpius über: Imperienvergleich. Beispiele und Ansätze aus osteuropäischer Perspektive. Festschrift für Andreas Kappeler. Hrsg. von Guido Hausmann und Angela Rustemeyer. Wiesbaden: Harrassowitz, 2009. VII. = Forschungen zur osteuropäischen Geschichte, 75. ISBN: 978-3-447-06055-4, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Vulpius_Hausmann_Rustemeyer_Imperienvergleich.html (Datum des Seitenbesuchs)

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