Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 62 (2014), 4, S. 615-616

Verfasst von: Mathias Voigtmann

 

Deutsche und Polen im und nach dem Ersten Weltkrieg. Beiträge der 2. Krobnitzer Gespräche vom 20. Oktober 2011 auf Schloss Krobnitz, Oberlausitz. Hrsg. von Steffen Menzel / Martin Munke. Chemnitz: Universitätsverlag Chemnitz, 2013. 94 S. = Krobnitzer Hefte, 6. ISBN: 978-3-941003-96-5.

Inhaltsverzeichnis:

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Mit dem Anspruch, „dass nur im gemeinsamen Dialog das Verständnis für die Sichtweise des jeweils anderen wachsen kann“ (S. 6), versammeln die beiden Herausgeber Steffen Menzel und Martin Munke in dem hier vorliegenden Sammelband fünf Aufsätze verschiedener Historikerinnen und Historiker,die aus einem 2011 abgehaltenen Symposium in Krobnitz hervorgegangen sind und sich in vergleichender Perspektive mit Polen und Deutschland in und nach dem Ersten Weltkrieg auseinandersetzen.

Den Auftakt macht der Chemnitzer Professor für Kultur- und Länderstudien Ostmitteleuropas Stefan Garsztecki, mit seinen Erörterungen über den polnischen Nationsbildungsprozess im Zuge des Ersten Weltkrieges. Anhand der Analyse der Programme und nationalstaatlichen Vorstellungen der beiden „bedeutendsten polnischen Politiker der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ (S. 9), Roman Dmowski und Józef Piłsudski, zeichnet Garsztecki die beiden entscheidenden Konzeptionen bezüglich des polnischen Nationalstaates nach. Hierbei betont er vor allem die Gegensätzlichkeit der beiden Konzepte. War Dmowski ein Verfechter der sogenannten „piastischen Idee“, also einer „westlichen Lösung“, welche Gebietsannexionen im Westen vorsah, vertrat Piłsudski die „jagiellonische Lösung“, d.h. ein territorial im Osten gelegenes Polen.

In dem sich anschließenden Beitrag skizziert der ebenfalls in Chemnitz lehrende Historiker Hendrik Thoß die Vorstellungen der Teilungsmächte bezüglich der „polnischen Frage“, die zu Beginn des Krieges weder in Petersburg, noch in Wien und Berlin näher definiert waren. Darüber hinaus gibt Thoß einen Überblick über Polen als Hauptkriegsschauplatz im Osten während der ersten beiden Kriegsjahre. Auf russischer Seite betont der Autor die „Politik der verbrannten Erde“ (S. 35), auf deutscher die rigorose Dienstbarmachung der eroberten Ressourcen für die eigene Kriegsmaschinerie. Der Krieg war für Polen daher von entscheidender Bedeutung für den Staatsbildungsprozess, schuf er doch neue Optionen und wertete die Rolle als zukünftiger Verbündeter entscheidend auf.

Anschließend beschäftigt sich der in Toruń und Rostock tätige Historiker Ralph Schattkowsky explizit mit dem Prozess der polnischen Staatswerdung, namentlich mit den damit einhergehenden polnischen Ambitionen sowie mit den Zielen der Siegermächte des Ersten Weltkrieges. Zu Recht legt er dar, dass „die Grenzen des polnischen Staates in Warschau und Paris gemacht“ (S. 46) worden seien. Dabei kann der polnische Staatsbildungsprozess nicht losgelöst von den Grenz- und Gebietskonflikten gesehen werden. Ähnlich wie während des Krieges entwickelte sich der Osten erneut zum Hauptkriegsschauplatz, denn „hier überlagerten sich die Ebenen nationaler und revolutionärer Bestrebungen mit jenen historischer und ethnischer Ansprüche ehemaliger Herrschaftsstaaten“. (S. 49) Der Westen war vor allem geprägt durch den Konflikt zwischen Polen und Deutschland um Oberschlesien. Erst als diese Grenzstreitigkeiten 1923 ihren vorläufigen Abschluss gefunden hatten, sah ein Großteil der polnischen Gesellschaft die staatliche Souveränität gewährleistet und Polen angekommen im Kreis der europäischen Mächte.

Auf den Beitrag von Schattkowsky folgt die vergleichende Untersuchung der jungen Nachwuchswissenschaftlerin Aneta Pazik aus Krakau über den deutsch-polnischen Konflikt um Oberschlesien und den deutsch-französischen Konflikt um das Saargebiet. Sie arbeitet eine Reihe Parallelen heraus. So waren beide Konflikte in starkem Maße international, wobei die politische Propaganda ein entscheidendes Werkzeug darstellte. Polen und Frankreich hatten in Bezug auf Deutschland sehr ähnliche Ziele; beide strebten eine erhebliche Schwächung Deutschlands, vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet, an. Außerdem betont die Autorin, dass durch diese Auseinandersetzungen das Verhältnis der jeweiligen Konfliktparteien auf Jahre hinaus erheblich belastet wurde.

Den Schlusspunkt des Bandes bildet ein Aufsatz von Aleksandra Kmak-Pamirska, ebenfalls aus Krakau, in welchem ein Blick auf den sich verschärfenden deutsch-polnischen Gegensatz in der Freien Stadt Danzig nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 geworfen wird. In diesem Zusammenhang verweist die Autorin insbesondere auf den hetzerischen und polarisierenden Ton der deutschen Presse der Stadt, die Polen als einen Staat darstellte, der sich einer friedlichen Koexistenz vehement verweigern würde. Des Weiteren betont sie die relative Machtlosigkeit des örtlichen Hochkommissars des Völkerbundes.

Zusammenfassend ist „Deutsche und Polen in und nach dem Ersten Weltkrieg“ ein aus mehreren Gründen interessanter und aufschlussreicher Sammelband. Gerade wo er die Chancen der vergleichenden internationalen Analyse ganz ausschöpft, wird er dem eingangs zitierten Anspruch gerecht, da sich eine Großzahl der Konflikte und Probleme des 20. Jahrhunderts nur auf diesem Wege angemessen verstehen lässt. Was sich etwas störend ausnimmt, sind lediglich ein paar kleine grammatikalische Unstimmigkeiten und Jahreszahlendreher.

Mathias Voigtmann, Marburg/Lahn

Zitierweise: Mathias Voigtmann über: Deutsche und Polen im und nach dem Ersten Weltkrieg. Beiträge der 2. Krobnitzer Gespräche vom 20. Oktober 2011 auf Schloss Krobnitz, Oberlausitz. Hrsg. von Steffen Menzel / Martin Munke. Chemnitz: Universitätsverlag Chemnitz, 2013. 94 S. = Krobnitzer Hefte, 6. ISBN: 978-3-941003-96-5, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Voigtmann_Menzel_Deutsche_und_Polen.html (Datum des Seitenbesuchs)

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