Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 65 (2017), H. 3, S. 495-498

Verfasst von: Nicolina Trunte

 

Das Taktikon des Nikon vom Schwarzen Berge. Griechischer Text und kirchenslavische Übersetzung des 14. Jahrhunderts. Ediert von Christian Hannick in Zusammenarbeit mit Peter Plank, Carolina Lutzka und Tat’jana I. Afanas’eva unter Heranziehung der Vorarbeiten von Irénée Doens. 2 Teilbände. Freiburg i.Br.: Weiher, 2014. Teilbd. 1: LXXIV, 623 S.; Teilbd. 2: VIII, 652 S. = Monumenta Linguae Slavicae Dialecti Veteris. Fontes et Dissertationes, 62. ISBN: 978-3-921940-58-7.

Das hier zu besprechende Werk aus der Feder des bekannten Paläoslavisten Christian Hannick (*1944) ist bereits 2014 erschienen, so dass die Rezension verspätet scheint; vergleicht man damit aber die Dauer der Vorbereitung der Edition, die mehr als ein halbes Jahrhundert beansprucht hat, so ist die Rezension noch immer zeitnah. In Angriff genommen worden ist die Ausgabe bereits Anfang der fünfziger Jahre durch Dom Irénée Doens OSB (1907–1979), der 1955 das baldige Erscheinen der Edition, die nie folgen sollte, in Aussicht stellte (S. XLII). Die jetzt vorliegende ist vor allem das Verdienst Hannicks, der – nachdem er 1972 das von Doens vorbereitete Material übernommen hatte – 1973 ebenfalls deren Erscheinen ankündigte, dann aber wegen seiner beruflichen und wissenschaftlichen Auslastung als Lehrstuhlinhaber nicht dazu kam, zumal es sich zeigte, dass das von Doens vorbereitete Material tiefgreifend ergänzt werden musste (S. IX–XI). Erst 2003–2008 ermöglichte die Förderung durch die DFG die Mitarbeit des Erzpriesters Peter Plank (1951–2009), eines profunden Kenners der orthodoxen Tradition, der vor allem durch dem Werk beigegebene Regesten den nicht immer klaren Text erschloss, der Diplomtheologin Carolina Lutzka vom Ostkirchlichen Institut der Universität Würzburg, die für die Kollationierung der griechischen Handschriften verantwortlich zeichnet, und von Tat’jana I. Afanas’eva, die kirchenslavische Handschriften aus Petersburg und Moskau kollationierte (S. XI–XII).

Die Edition in zwei Teilbänden umfasst nach Vorwort (S. IX–XIII) und Abkürzungsverzeichnis (S. XIV–XXIV) eine Einleitung zum Werk und seinem Verfasser, zur Forschungsgeschichte vom 17. bis 20. Jahrhundert und zu den Editionsprinzipien (S. XXV–LXXIV). Es folgt in synoptischer Anordnung jeweils auf der linken Seite der griechische Text nach dem Codex unicus Sin. gr. 441 mit einem doppelten Apparat zu Lesarten anderer Handschriften und darunter Quellenangaben, auf der rechten Seite der kirchen­slavische Text nach der ältesten Handschrift Codex Rila 1/16 (mittelbulgarisch, zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts) mit einem Apparat von Lesarten des Codex Pljevlja 12 aus derselben Zeit, dazu in Auswahl solchen aus russischen Handschriften und der Druckausgabe Počaev 1795 (S. 1–1000), von der schon Doens Kenntnis hatte (S. X). Es folgen ergänzende Anmerkungen (S. 1001–1008), die erwähnten deutschsprachigen Regesten (S. 1009–1196), ein Verzeichnis der zitierten Quellen (S. 1197–1240) sowie ein Index nominum et fontium (S. 1241–1264) und ein Index biblicus (S. 1265–1276).

Die Anlage als zweisprachige Edition ergab sich daraus, dass der griechische Text Lücken, aber auch Unklarheiten aufweist, so dass – da eine deutsche Übersetzung wegen des Umfangs nicht in Frage kam – die kirchenslavische Version neben den Regesten dazu dienen soll, das Verständnis des Textes zu sichern (S. X–XI). Hannick möchte die vorliegende Ausgabe nicht als endgültige kritische Edition sehen, da nur 15 kirchenslavische Handschriften und der Druck von 1795 berücksichtigt worden seien; freilich habe die geleistete Kollationierung gezeigt, dass der Druck den Zustand russischer Handschriften des 16. Jahrhunderts zuverlässig wiedergebe und der älteste russische Text von 1397 aus dem Lisickij-Kloster nur wenige Jahre nach einer auf dem Athos entstandenen mittelbulgarischen Handschrift aus dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts angefertigt wurde, wobei nur im Predislovie und im Slovo 1 die Südslavismen der Vorlage einer Revision unterzogen worden seien (S. LXXVII). Unberücksichtigt blieben in der Edition separat oder in anderen Sammelwerken überlieferte membra disiecta der griechischen wie der slavischen Version, deren Textgestalt umgearbeitet und daher für die Text­kon­sti­tu­tion nicht hilfreich sei (S. XXXII–XXXIV). Der der Edition des griechischen Textes zugrundeliegende Codex enthält auch ein von Nikon selbst angefertigtes Kompendium (Μικρὸν βιβλίον) aus seinem umfangreicheren ersten Werk (Ἑρμηνεῖαι, meist als Pandekten zitiert) (S. XXXII), das hier nicht mitediert worden ist, weil dessen Edition in Moskau vorbereitet wird (S. XXVI–XXVII, XLIII).

Anders als in der Byzantinistik üblich, werden Abweichungen von der sprachlichen Norm im Bereich der Morphologie nicht korrigiert. Es dürfte der fehlenden Bildung Nikons (S. XLIV) zuzuschreiben sein, dass er volkssprachliche Formen verwendete, die sonst erst aus dem Neugriechischen bekannt sind (S. LXXIII). Deren Beibehaltung in der Edition wird von Philologen sicher begrüßt werden, und es ist kaum glaubhaft, dass dadurch das Verständnis des griechischen Textes erschwert werde, so dass „die slavische Version einen grammatikalisch und orthographisch leichteren Weg zum Verständnis“ (S. LXXIII) bieten müsse. Nicht nachvollziehbar schien der Rezensentin freilich, dass zwar in der Handschrift fehlende Doppelkonsonanten stillschweigend ergänzt wurden (καταβάλλων für καταβάλων der Handschrift), die ebenso bedeutungslose Schreibung ν für γ (ἐνγράφως der Handschrift für ἐγγράφως) aber in den Haupttext übernommen wurde.

Bei der Edition des slavischen Textes werden die Prinzipien Vaillants für die Auflösung von Abbreviaturen zugrunde gelegt, was durch die vielen Klammern im Text nicht unbedingt zur Lesbarkeit beiträgt. Diakritika, die das Textverständnis erleichtern könnten, werden übergangen außer im Falle des Kendima genannten Doppelgravis, der nach Konstantin von Kostenec auf Wörtern zu setzen ist, die aus nur zwei oder drei Buchstaben bestehen; die Bewahrung in der Edition ist im Falle von съɠ für сь oder таɠ für тъ natürlich sinnvoll, hingegen bei сеɠ, сѧɠ oder тоɠ nicht recht einzusehen. Vereinzelt ist auch der Pajerok belassen worden (кѵрʔ neben кѵрь, опасʔствѣ, дѣистʔвнаа), während sonst ь in Klammern ergänzt wird. Typographisch nicht nachzuvollziehen ist die wohl von Sofiya Khorobrykh, der mit der elektronischen Aufbereitung des Textes beauftragten wissenschaftlichen Hilfskraft, vorgenommene konsequente Ersetzung des kyrillischen Buchstabens ї durch griechisches қ, das in der Slavistik sonst nur als Transkriptionszeichen für glagolitisches 4 gebraucht wird, zumal die unnötige Verwendung von ÿ statt ы sicher den Usus der Handschrift spiegelt.

Das Werk Taktikon, das diesen Titel (Taktikon, eže est’ činovnaja) nur in der slavischen Version trägt (S. XXIX, LV), ist nach den Pandekten und dem daraus kompilierten Μικρὸν βιϐλίον das dritte Werk Nikons, entstanden wohl erst um 1100 (S. XXIX). Während die Pandekten eine breite enzyklopädische Kompilation aus Kanonistik, Patristik, asketischer Literatur, Liturgiewissenschaft und Kirchengeschichte darstellen, zitiert Nikon im Taktikon nur aus seinen eigenen vorausgegangenen Werken (S. XXV–XXVI, XLV). Das Taktikon umfasst neben einem liturgischen und einem monastischen Typikon 37 Briefe an prosopographisch weitgehend unbekannte Adressaten (S. LVI), in denen er deren Fragen zu monastischer Disziplin, Kirchenrecht, Liturgie, aber auch Kirchengeschichte beantwortet (S. XXVII, LV).

Über Nikon selbst ist wenig bekannt, die wenigen zu nennenden Daten sind aus seinen Werken ermittelt (S. XXVI, XLIII). Nikon wurde um 1025 wahrscheinlich im Raum Chalkedon in einfachem Stande geboren und genoss nach eigenen Aussagen keine weltliche Bildung, was hier nicht nur monastischer Topos sein wird, denn sein Werk lässt literarische Ausdrücke vermissen (S. XLIII–XLV). Wie seine Brüder schlug er eine militärische Laufbahn ein, bevor er um 1047 wahrscheinlich in das Kloster des hl. Stephanos am Auxentios-Berg bei Chalkedon eintrat (S. XLVI). Unklar sind die Gründe, die ihn zum Wechsel in den Raum Antiochiens bewogen (S. XLVII). Auch hier sah er sich genötigt, mehrfach – gedrängt von seinen Mitbrüdern, die vielleicht Anstoß an seiner Lehrtätigkeit nahmen (S. XLVIII) – das Kloster zu wechseln. Er blieb, obwohl ihm wiederholt die Priesterweihe aufgedrängt wurde, zeit seines Lebens einfacher Mönch (S. LII–LIV). Das hier edierte Werk entstand im stauropegialen Kloster der Gottesgebärerin τοῦ Ῥοϊδίου auf dem Schwarzen Berg im Hinterland von Antiocheia (S. XXXV, XLIX).

Während Nikons Taktikon in Byzanz wenig rezipiert wurde, hat er das Geistesleben in Russland stark beeinflusst (S. XXXVI–XXXVIII), was Hannick auch mit Nikons Ablehnung von Ämtern erklärt, so dass „in russischen monastischen Kreisen in der Epoche der Wiederbelebung der Idiorrhythmie im Zusammenhang mit der Einführung des Hesychasmus“ (S. LIII) Nikons Werk begierig gelesen wurde.

Auch wenn weitere Forschung zu Nikons Werk möglich und nötig sind, ist hier in überzeugender Weise ein Fundament gelegt, an dem künftige Forschergenerationen nicht werden vorbeigehen können.

Nicolina Trunte, Bonn

Zitierweise: Nicolina Trunte über: Das Taktikon des Nikon vom Schwarzen Berge. Griechischer Text und kirchenslavische Übersetzung des 14. Jahrhunderts. Teilbd. 1. Ediert von Christian Hannick in Zusammenarbeit mit Peter Plank, Carolina Lutzka und Tat’jana I. Afanas’eva unter Heranziehung der Vorarbeiten von Irénée Doens. 2 Teilbände. Freiburg i.Br.: Weiher, 2014. Teilbd. 1: LXXIV, 623 S., Teilbd. 2: VIII, 652 S. = Monumenta Linguae Slavicae Dialecti Veteris. Fontes et Dissertationes, 62. ISBN: 978-3-921940-58-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Trunte_Hannick_SR_Taktikon_des_Nikon_vom_Schwarzen_Berge.html (Datum des Seitenbesuchs)

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