Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 63 (2015), 4, S. 690-692

Verfasst von: Ottmar Traşcă

 

Inszenierte Gegenmacht von rechts. Die „Legion Erzengel Michael“ in Rumänien 1918–1938. Hrsg. von Armin Heinen / Oliver Jens Schmitt. München: Oldenbourg, 2013. 400 S., Abb., Graph., Tab., Ktn. = Südosteuropäische Arbeiten, 150. ISBN: 978-3-486-72291-8.

Die Legionärsbewegung (die Legion „Erzengel Michael“) ist im Lauf der Jahre sowohl bei rumänischen als auch bei ausländischen Forschern zu einem mit Vorliebe behandelten Thema geworden. Während der Zeit des kommunistischen Regimes in Rumänien wurde die Legionärsbewegung unter einem engen nationalistischen und ideologischen Blickwinkel behandelt und ihre Erforschung war dem Regime genehmen Historikern vorbehalten. Forscher westlichen Staaten gingen das Thema in weniger voreingenommener Art und Weise an, so dass Arbeiten wie jene von Armin Heinen, Francesco Veiga, Eugen Weber u.a. ihre Aktualität bis heute bewahrt haben. In der rumänischen Geschichtsschreibung gab es erst nach 1989 eine Wende zum Positiven. Die Forschungen zu diesem Thema erlebten auch infolge der Öffnung neuer Dokumentenbeständen, insbesondere der geheimen Dokumentarfonds aus den Archiven der Securitate, einen Aufschwung. Trotz der deutlichen Fortschritte in der Erforschung der Legionärsbewegung blieben die veröffentlichten Arbeiten oder Beiträge in weiten Teilen der in der Vergangenheit verwendeten Methode verhaftet und die Problematik wurde auch weiterhin stark unter ideologischem Blickwinkel behandelt.

Der vorliegenden Band ist das Ergebnis einer Wiener Konferenz aus dem Jahr 2011, an der sowohl ausgewiesene Forscher zu diesem Bereich (Armin Heinen, Constantin Iordachi, Rebecca Haynes, Florin Müller) als auch jüngere Historiker, die nur mit wenigen Veröffentlichungen auf sich aufmerksam gemacht hatten, teilnahmen. Vorgeschlagen werden in den veröffentlichten Beiträgen wesentlich mannigfaltigere Fragestellungen, die sich von den klassischen Herangehensweiseen an die Geschichte der Legionärsbewegung entfernen. Die in dem Band vereinten Beiträge lassen zwei wichtige Paradigmenwechsel erkennen, einerseits eine Verschiebung des Interesses von der ideologischen zu einer sozialen Geschichte der Legionärsbewegung, und andererseits die Ausweitung des Untersuchungsgegenstandes vom Zentrum zur Peripherie unter Einschluss der gemischtkulturellen Landesteile. Dieser Wechsel der Optik erlaubt auch eine neue Herangehensweise an die Geschichte Rumäniens in der Zwischenkriegszeit, indem von der Analyse des öffentlichen Diskurses zur Untersuchung der Politik als sozialer Praxis übergegangen wird, bzw. die Forschungen nicht mehr die führenden Politiker zum Ausgangspunkt nimmt und Politik nicht mehr nur als Ergebnis der Interaktion zwischen politischen Gruppierungen, Regierungen und der Verwaltung gesehen wird. Was die Thematik der Beiträge des vorliegenden Bandes angeht, so umspannen sie die gesamte Geschichte der Legionärsbewegung unter der Führung ihres Gründers Corneliu Zelea Codreanu von den Anfängen bis zur Zerschlagung im Rahmen der Maßnahmen des Regimes König Carols II. in den Jahren 1938–1939. Die Entwicklung der Legionärsbewegung unter Führung von Horia Sima wird nicht behandelt da diese Periode – nach Meinung der Herausgeber – in der Historiographie besser bekannt ist. Wir teilen diese Meinung nicht und sind der Ansicht, dass eher das Gegenteil der Fall ist. Selbst wenn den hier veröffentlichten Studien die Absicht zugrunde liegt, die Legionärsbewegung aus der Perspektive einer politischen und sozialen Bewegung und nicht des Regimes zu betrachten, wäre unserer Ansicht nach dennoch ein Eingehen auf einige weitere Aspekte, etwa das „Exil“ der Legionärsbewegung in Deutschland (1941–1945), mehr als willkommen gewesen.

Trotz dieses Mangels sind die im vorliegenden Band veröffentlichten Beiträge ohne jeden Zweifel von hohem wissenschaftlichen Wert. Sie bieten entweder Neuinterpretationen bekannter Fakten und Ereignisse oder neue Erkenntnisse auf der Grundlage erst kürzlich zugänglich gewordener Archivalien. Ein gemeinsamer Bezugspunkt, der bei der Lektüre der Beiträge deutlich wird, ist die Art und Weise, wie sich die Legionärsbewegung in der Zwischenkriegszeit als „inszenierte“ rechtsextreme Alternative zu den bestehenden politischen Parteien in Rumänien definierte, bzw. wie sich die Legion – in gleicher Weise wie der Nationalsozialismus in Deutschland oder der Faschismus in Italien – in der Phase der „Bewegung“ bemühte, die Institutionen des Staates zu imitieren, um der öffentlichen Meinung zu beweisen, dass sie ein lebensfähiges Gegengewicht darstellt. Die Beiträge von Constantin Iordachi und Mihai Chioveanu unterstreichen ideologische Aspekte der Legionärsbewegung. Während Constantin Iordachi unter Anwendung des von Max Weber definierten Charisma-Begriffs die nationalistisch-charismatische Dimension der Legionärsbewegung hervorhebt, die auf der Antithese von gut und böse und einer „messianischen“ Mission fußte, unterstreicht Mihai Chioveanu in seinem Beitrag den grundlegenden Unterschied zwischen der Religion als solcher und den mittels des „Legionärs­glaubens“ verfolgten politischen Zielen. Dieser Unterschied erklärt dem Autor zufolge, weshalb die hochrangigen Mitglieder der Orthodoxen Kirche den Aufstieg der Legionärsbewegung mit Zurückhaltung betrachteten. Der von Oliver Jens Schmidt gezeichnete Beitrag untersucht die sozialen und revolutionären Merkmale des Arbeiterkorps der Legion, die – so der Autor – den Mitgliedern der Legionärsbewegung nach dem Krieg die Annäherung an die Kommunistische Partei erleichterten. Die Beiträge von Rebecca Haynes, Radu Harald Dinu und Andra Octavia Drăghiciu behandeln kulturelle und soziale Aspekte der Legionärsbewegung wie die Vision eines „neuen legionären Menschen“, die von der Legion in Rumänien verübten politischen und die in Bessarabien und der Moldau verübten antisemitischen Gewalttaten sowie die Bedeutung der legionären Lieder als Instrument der Mobilisierung. Die Haltung der Legionärsbewegung in den Wahlkampagnen wird in den Beiträgen von Armin Heinen und Traian Sandu untersucht; beide Autoren heben hervor, dass die Legion als soziale Bewegung nicht imstande war, ihren Einfluss über den Kreis ihrer Anhänger hinaus geltend zu machen, und dass die 1937 errungenen spektakulären Wahlergebnisse eher den günstigen politischen Umständen geschuldet waren. Die letzten beiden Beiträge der Historiker Roland Clark und Wolfram Niess behandeln die Vision der Legionärsbewegung innerhalb der rumänischen Gesellschaft und als legionäre Militanz bzw. die politische und soziale Bedeutung des von der Legion 1930 in Bessarabien durchgeführten Propagandafeldzuges. Den Band vervollständigen eine Fach-Bibliographie, Landkarten, Fotos sowie eine Liste der Autoren.

Inszenierte Gegenmacht von rechts stellt einen herausragenden Beitrag zur Erforschung der Geschichte der Legionärsbewegung dar, indem er neue methodische Ansätze bietet und zum Nachdenken veranlasst. Die veröffentlichten Tagungsbeiträge liefern außerdem Ausgangspunkte für neue Forschungen. Deshalb sehen wir das Buch als einen mehr als gelungenen Versuch an, die Untersuchung eines immer noch interessanten und komplexen Forschungsthemas wiederzubeleben. Es stellt seinerseits für die Erforscher der Problematik ein unverzichtbares Arbeitsmittel dar.

Ottmar Traşcă, Cluj-Napoca

Zitierweise: Ottmar Traşcă über: Inszenierte Gegenmacht von rechts. Die „Legion Erzengel Michael“ in Rumänien 1918–1938. Hrsg. von Armin Heinen / Jens Oliver Schmitt. München: Oldenbourg, 2013. 400 S., Abb., Graph., Tab., Ktn. = Südosteuropäische Arbeiten, 150. ISBN: 978-3-486-72291-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Trasca_Heinen_Inszenierte_Gegenmacht_von_rechts.html (Datum des Seitenbesuchs)

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