Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 66 (2018), 1, S. 145-148

Verfasst von: Adriana Švecová u. Miriam Laclavíková

 

Katalin Gönczi / Wieland Carls: Sächsisch-magdeburgisches Recht in Ungarn und Rumänien. Autonomie und Rechtstransfer im Donau- und Karpatenraum. Unter Mitarbeit von Inge Bily. Berlin, Boston: de Gruyter, 2014. VIII, 223 S. = Ius saxonico-maideburgense in Oriente, 3. ISBN: 978-3-11-029730-0.

Das vorliegende Werk stellt den dritten Band einer Forschungsreihe dar, eine Monographie, die Bestandteil eines großen Forschungsprojektes der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig ist. Mit dem Projekt unter dem Titel Das sächsisch-magdeburgische Recht im Osten, mit dem Untertitel Das sächsisch-magdeburgische Recht als kulturelles Bindeglied zwischen den Rechtsordnungen Ost- und Mitteleuropas wurde bereits im Jahr 2004 begonnen.

Das Ziel der Monographie bestand darin, über eine längere Zeitspanne im Mittelalter und in der frühen Neuzeit das sächsisch-magdeburgische Recht als Mitbegründer der Rechtskultur im Donauraum und in der Karpatenregion vorzustellen. Es werden die mittel- und osteuropäischen Rechtsordnungen des Mittelalters und der Neuzeit in ihrer Synchronizität und Originalität diskutiert mit dem Ziel, die in der modernen Europäischen Union so oft betonte Idee der europäischen Einheit, also auch der Einheit als Rechtsraum, zu unterstützen. Mit der Formulierung allgemeiner Schlussfolgerungen wird die zu enge nationale Forschung überwunden. Die Autorinnen verfolgen den Zweck, die Verbindung und Verflechtung des ungarischen Stadtrechts (es geht hierbei auch um Siebenbürgen, dem besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird) mit der europäischen Rechtskultur zu beweisen (S. 9). Fachlich konzentriert sich die Untersuchung auf rechtsgeschichtliche und linguistische Aspekte (S. 5), den wissenschaftlichen Ausgangspunkt jedoch bildet eine allgemeingeschichtliche und synthetisierende Einordnung im weiteren Sinne des Wortes, mit einem Schwerpunkt auf der Besiedlungs-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte.

Die Mitarbeiter und Projektleiter des ganzen Projektes (E. Eichler und H. Lück) haben den einzelnen Bänden als geographisches Kriterium die heutigen Staatengrenzen zugrundegelegt. Der vorliegende dritte Band umfasst die heutigen Staaten Ungarn und Rumänien, jedoch belegen die Forschungsergebnisse dieser Monographie im starkem Maße die Überschreitung und Verwischung der heutigen Grenzen; Sie verweisen auf die Slowakei und ihre Stadtbildungsprozesse, die im Mittelalter eine außerordentliche Intensität erlangten.

Das Werk besteht von der formalen Seite her aus sieben Hauptkapiteln, die 223 Seiten in Anspruch nehmen. Abschließend wurde dem Werk ein Kommentar zur gegenwärtigen Landkarte Europas mit Identifizierung der bedeutendsten erforschten Städte innerhalb und außerhalb der gegenwärtigen Grenzen Ungarns und Rumäniens beigefügt. Die Monographie ist natürlich mit einem Literaturverzeichnis, einem Verzeichnis der Archivalien und Quelleneditionen und mit einschlägigen Registern (namentlich einem Orts-, einem Personen und einem Sachregister, des Weiteren einem Register der Rechtsquellen, insbesondere der Stadtbücher, und einem Verzeichnis der Archive) versehen. Die Mitautorin Katalin Gönczi stellt die grundlegenden Merkmale der mittelalterlichen Rechtsordnung in Hinsicht auf den europäischen Rahmen der Rezeption des römischen Rechts, die in anderen Teilen Europas meist im Stadtrecht nachzuweisen ist, vor. Im Anschluss bietet sie eine Zusammenfassung der bisherigen Forschung im Bereich des ungarischen Stadtrechts ein.

Das nachfolgende Kapitel ist der Siedlungsentwicklung und vor allem der Entstehung und Entfaltung der Städte gewidmet. Dieses Thema ist bereits recht gut erforscht, jedoch immer noch nicht erschöpfend. Niemand überschätzt heute mehr, und das gilt auch für Katalin Gönczi, den Einfluss des deutschen Rechts (ius Teutonicum) beim Rechtstransfer. Es wird im Gegenteil die Heterogenität mehrerer fremder und einheimischer Einflüsse hervorgehoben, die für den Vielvölkerstaat Ungarn so typisch waren. Gönczi geht auch auf die starke Stellung des Königs und seiner Gästepolitik (und unter seinem Einfluss auch der Feudalpolitik) ein. Genauer gesagt handelte es sich um eine in die europäische Bevölkerungsexplosion des 11. Jahrhunderts eingebettete Politik der Aufnahme von fremden und heimischen „Gästen“, die auch in Ungarn erfolgreich war. Die Schlussfolgerungen stimmen, zumindest grundsätzlich, mit denen der slowakischen Geschichtsschreibung überein. Als Beispiel sei hier auf eine ausgesprochen auf die Städte orientierte Politik von Belo IV. und der Herrscher aus dem Hause Anjou verwiesen und deren zielgerichtete Verwandlung des Herrschaftsgebiets in ein urbanes Land, ferner auf die Entwicklung des Bergbaus und der Bergbaustädte vor allem im 14. Jahrhundert, die Entstehung der Städtebünde und Zuweisung der Bürger zum vierten Stand am Ende des 14. Jahrhunderts, ein durch Autonomie geprägtes Gerichtswesen in den Städten, eine unabhängige Rechtsprechung auf der Grundlage städtischer Privilegien und die Entstehung eines zweitinstanzlichen Gerichtssystems. Besondere Aufmerksamkeit wird der Zips mit Blick auf die Besiedlung, die Annahme des ersten Privilegs von 1271, das eine aus 24 Zipser Städten bestehende Provinz konstituierte, geschenkt. Es werden auch die Bedeutung der Stadt Pest und ihres Rechtskreises berücksichtigt, der sich erst im Spätmittelalter herausbildete.

Abschließend fasst Katalin Gönczi zwei Merkmale des ungarischen Stadtrechts zusammen: 1) die Entstehung der Städte erfolgte im Vergleich zum übrigen West- und Mitteleuropa etwas später, und 2) die direkte Unterstützung des Königs durch Erteilung und Bestätigung der Stadtprivilegien, die eine sehr intensive und extensive politische Autonomie der Städte ermöglichten, ist markant. Die Politik zugunsten der Städte fand 1526 bekanntermaßen ihr Ende: Der größere Teil Ungarns büßte seine Selbständigkeit ein und es kam zur dauernden Bedrohung durch die Türken (dies galt besonders für slowakische Städte) in der Neuzeit, was die vielversprechende Entwicklung der Städte zum Stocken brachte oder zumindest erschwerte und verlangsamte.

Von grundlegender Bedeutung ist das Kapitel über die Übertragung des sächsisch-magdeburgischen Rechts (S. 79−114) mit der Analyse der Gründungsprivilegien ausgewählter Orte und Städte. Die Analyse von Urkunden geht von der bereits früher in der ungarischen, aber auch in der slowakischen Geschichtsschreibung geäußerten Meinung aus, dass die übernommenen Rechtsgewohnheiten (im weiteren Sinne des Wortes Recht) auf den verliehenen Städteprivilegien beruhten (S. 81). Sachlich konzentriert sich die Analyse der Privilegien besonders auf die Erteilung einer eigenen Gerichtszuständigkeit und deren Autonomie in Form einer freien Wahl der Richter und auf die ausdrückliche Bestätigung oder Nichtbestätigung der weiteren Nutzung des Gewohnheitsrechts nach ausländischen oder heimischen Vorbildern.

Sehr problematisch ist die Behauptung auf S. 109, dass die Städte in der Slowakei vom Krakauer Rechtskreis beeinflusst gewesen seien, was nur für die ostslowakische Stadt Pudlein gilt und nicht für den Rest der Slowakei (!). Übertrieben ist auch die Behauptung auf S. 105, dass Pester Recht in der Gerichtspraxis eines übergeordneten, zweitinstanzlichen Tavernikalgerichts für andere königliche Freistädte in ihrem Gerichtswesen maßgebend gewesen sei, und zwar durch Akzeptanz und Justifizierung seiner Urteile. Der Wahrheit näher ist die Meinung von Š. Mertanová (Ius tavernicale, Studien zum Prozess der Herausbildung der tavernikalen Städte in den Etappen der Entwicklung des Tavernikalgerichts in Ungarn des 15.−17. Jahrhunderts. Bratislava 1985, S. 34), dass sich die Sammlung des Tavernikalrechts des Ofner Rechts als einer ihrer Quellen bedient habe, jedoch das Tavernikalgericht, in dem auch tavernikale Städte vertreten waren, das Recht derjenigen Stadt angewandt hat (d. h. ihre Rechtsgewohnheiten und Stadtprivilegien), deren Rechtsprechung vom Tavernikalgericht (als Gericht zweiter Instanz) überprüft wurde. Im Verlauf der Zeit entwickelte das Tavernikalgericht eine originale Gerichtspraxis, wobei seine Beschlüsse ex post nicht nur für die Parteien im Gerichtsprozess, sondern auch für die Stadtgerichte erster Instanz in tavernikalen Städten und in ihren Filien verbindlich waren.

Das letzte Kapitel beschreibt die erhalten gebliebenen Rechtsquellen des sächsisch-magdeburgischen Rechts vom 13. bis zum 18. Jahrhundert und konzentriert sich dabei auf den Zustand der Handschriften, ihren Ursprung, ihre Inhaltsangabe mit einer bevorzugten Orientierung auf die Identifizierung der (in)direkten Rezeption der Primär- und Sekundärquellen des sächsisch-magdeburgischen Rechts, sowie auch anderer ausländischer westeuropäischer Quellen in den ungarischen Quellen. Es handelt sich abermals um ein synthetisierendes, deskriptiv angelegtes Kapitel, nicht um eine weitere inhaltlich-rechtliche bzw. linguistische Analyse.

Auf eine komplexe komparative Verarbeitung der Stadtrechte in Bezug auf die Rechtsübertragung bzw. auf den exogenen Einfluss und auf das Vordringen des sächsisch-magdeburgischen Rechts auf unser Gebiet sind weder die ungarische noch die slowakische Geschichtsschreibung eingegangen. Eben darin besteht ein außerordentliches Verdienst dieser Arbeit. Die Autoren betonen zum Abschluss, dass man in einer früheren Phase der Stadtentwicklung nach bisherigem Forschungsstand keine Spuren des Einflusses des sächsisch-magdeburgischen Rechts finden könne. Sie möchten diese Problematik nur skizzieren, weil sonst der Rahmen der vorgelegten Monographie und der ganzen Editionsreihe gesprengt würde. In diesem Zusammenhang sei hervorgehoben, dass die vorliegende Monographie für ausländische, d. h. deutsche Leser bestimmt ist und ihr Ziel darin besteht, auf die grundlegenden stadtbildenden Prozesse in Ungarn und Siebenbürgen hinzuweisen. Darüber hinaus geht es um eine kurz gefasste, in den Hauptzügen prägnante und zutreffende Synthese der Entwicklung ungarischer Städte und der Übertragung des sächsisch-magdeburgischen Rechts in den mittel- und osteuropäischen Raum. Die Ergebnisse der Forschung bestätigen die in der Geschichtsschreibung schon lange vertretene Auffassung der Rechtsfiliation Ungarns zum ius saxonico-maideburgense, auf deren Grundlage man diese europäische Region der westeuropäischen Rechtskultur zugeordnet hat. Seinen Einfluss kann man im Unterschied zum benachbarten Polen als einen direkten oder indirekten Impuls zur Herausbildung des heimischen Stadtrechts interpretieren, bei dem mehrere Einflüsse festzustellen sind. Insbesondere geht es hierbei um das heimische Gewohnheitsrecht (ius partium) in seiner Pluralität. Ein weiteres Merkmal der Rechtsübertragung in Ungarn ist, dass es auf freiwilliger Basis angenommen wurde, was, wie die Autoren sagen, auf die „Rationalisierung des Rechts“ im eigenen Interesse der ungarischen Städte zurückzuführen ist.

Abschließend kann festgestellt werden, dass mit dieser Monographie, ihrer Zielsetzung und mit der Art und Weise der Bearbeitung der Problematik sowie auch mit den Forschungsergebnissen ein in vieler Hinsicht impulsgebendes inspirierendes, in den Bereich der interdisziplinären europäischen Geschichtsforschung fallendes Werk gelungen ist.

Adriana Švecová u. Miriam Laclavíková, Trnava, Slowakische Republik

Zitierweise: Adriana Švecová u. Miriam Laclavíková über: Katalin Gönczi, Wieland Carls: Sächsisch-magdeburgisches Recht in Ungarn und Rumänien. Autonomie und Rechtstransfer im Donau- und Karpatenraum. Unter Mitarbeit von Inge Bily. Berlin, Boston: de Gruyter, 2014. VIII, 223 S. = Ius saxonico-maideburgense in Oriente, 3. ISBN: 978-3-11-029730-0, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Svecova_Goenczi_Saechsisch-magdeburgisches_Recht.html (Datum des Seitenbesuchs)

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