Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 61 (2013), 1, S. 136-137

Verfasst von: Ludwig Steindorff

 

Vasilij Vasilevič Kalugin: Žitie Trifona Pečengskogo, prosvetitelja Saamov v Rossii i Norvegii [Die Vita des Trifon Pečengskij, des Aufklärers der Samen in Russland und Norwegen]. Moskva: Drevlechranilišče 2009. 600 S. ISBN: 978-5-93646-145-3.

Die Aneignung des russischen Nordens hat vielfach mit Klostergründungen begonnen. Unabhängig vom primär asketischen Impuls der Einsiedler, die in einem nächsten Schritt eine Bruderschaft um sich sammelten, war damit zugleich der Weg zur herrschaftlichen Erschließung gewiesen. So war auch das – bald nach 1533 von Trifon (1494–1582), Missionar bei den Samen in Lappland, begründete und 1556 von Zar Ivan IV. privilegierte – Kloster an der Pečenga knapp östlich der Grenze zu Norwegen „ein Vorposten Russlands und der Orthodoxie am Polarkreis“ (S. 12), auch wenn es, schon wegen seiner peripheren Lage, bis zu seiner Schließung 1764 nie zu großem Ansehen gelangte. In Verbindung mit der russischen Kolonisationspolitik auf der Halbinsel Kola 1886 wiederbegründet und seit 1920 auf finnischem Territorium gelegen, bestand das Kloster bis 1944. Seit 1997 entwickelt sich dort erneut monastisches Leben (vgl. Trifono-Pečengskij mužskoj monastyr’, in: Russkie monastyri. Sever i Severo-Zapad Rossii. Red. A. A. Feoktistov. Novomoskovsk 2001, S. 579–580, und http://kolasobor.ru/istoriya_trifono/, 29.01.2013).

Nicht nur das Interesse an hagiographischen Texten aus kultur- und sprachwissenschaftlicher Sicht, sondern auch die geistliche „Wiederentdeckung“ des Klosters an der Pečenga mag ein Impuls zu vorliegender, auch von norwegischer Seite finanziell geförderter Edition der hagiographischen Überlieferung zu Trifon Pečengskij gewesen sein.

Wie in der umfangreichen Einleitung zur Edition ausgeführt wird, verfügen wir über einen Kanon für Trifon, der um die Mitte des 17. Jahrhunderts von dem Mönch Sergij Šelonin aus dem Kloster auf Solovki verfasst wurde, zwei Redaktionen der ausführlichen Vita und eine Kurz-Vita (vgl. die Schemata S. 111, 137). Die erste Redaktion, verbunden mit einer služba, einem Gottesdienst zum Gedenken an Trifon, entstand um 1700 auf Initiative des Erzbischofs Afanasij von Cholmogory mit dem Ziel, einen lokalen Trifon-Kult zu fördern und damit das Trifon-Kloster zu konsolidieren. Diese Vita einschließlich posthumer Wunder greift offensichtlich auf frühere Aufzeichnungen zurück. Unabhängig von manchen Ungenauigkeiten und Lücken in der Erzählung werden ihre Grundaussagen über die Gründungsgeschichte und vor allem über die Verwüstung durch die Schweden Ende 1589 durch andere Quellen bestätigt.

Auch wenn der Name von Feodorit Kol’skij, einem weiteren Missionar bei den Sa­men, nicht genannt ist, könnte sich dieser hinter dem in der Vita erwähnten prišlec, „Ankömmling“, und zeitweiligen Gefährten von Trifon verbergen (Kommentar S. 509–511, vgl. auch Jukka Korpela: Feodorit (Theodorit) Kol’skii: Missionary and Princely Agent, in: Religion und Integration im Moskauer Russland. Konzepte und Praktiken, Potentiale und Grenzen. 14.–17. Jahrhundert. Hrsg. von Ludwig Steindorff. Wiesbaden 2010, S. 201–227, hier S. 211–212).

Die Vita ist voll von Zitaten und Entlehnungen aus anderen Viten, und viele Motive erinnern an die Gründungsgeschichte von Solovki oder Valaam (hierzu neuerdings: Kati Parppei: „The Oldest One in Russia“. The Formation of the Historiographical Image of Valaam Monastery. Leiden, Boston 2011). Erstaunlich ist nun, wie wenig sich der Verfasser – oder eher Kompilator – der Vita darum bemüht hat, den Text sprachlich-stilistisch zu vereinheitlichen, sodass die einzelnen Bausteine noch alle gut zu erkennen sind. Außerdem ist die Vita in einer Sprache geschrieben, die, wie der Herausgeber hübsch formuliert, von dem Grundsatz geleitet ist: „Schreib nicht so, wie du sprichst!“ (S. 14) – sozusagen die Umkehrung des Programms von Vuk Karadžić für das moderne Serbische. Der Schreiber strebt danach, sich vom gesprochenen Russisch zu lösen, ohne das Kirchenslavische sicher zu beherrschen.

Die Vita Trifons war offensichtlich auch bei den Altgläubigen beliebt, und in deren Vyg-Kloster entstand nun in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts die zweite Redaktion. Abgesehen davon, dass dem Patriarchen Nikon das Attribut svjatejšij verweigert wird, beschränkt sich die Redaktion auf die sprachliche Überarbeitung und entspricht in Orthographie und Syntax weitestgehend den Normen des Kirchenslavischen; dabei orientierte man sich unter anderem an Smotrickijs Grammatik von 1648. Diese zweite Redaktion hat jedoch keine Verbreitung über das Vyg-Kloster hinaus gefunden.

Auf die zeichen- und zeilengetreue Edition des Kanons, der Viten und eines Gebetes zu Trifon Pečengskij folgen mehrere Anhänge: Hier sind die Varianten gegenüber der jeweils zugrundegelegten Handschrift vermerkt. Die Zitate aus der Bibel, liturgischen Büchern und hagiographischen Texten werden nachgewiesen. Außerdem findet der Leser Kommentare zu Termini, erwähnten Personen und Ereignissen. Schließlich bietet der Band eine ebenso mit Kommentar versehene Edition des Berichtes, den der Priester Aleksej Simonov über seine Missionsarbeit bei den Samen 1681–1682 verfasste. Beigegeben sind Zusammenfassungen der einleitenden Kapitel auf Norwegisch.

Schon der Titel des Bandes verweist auf das Anliegen, das Wirken von Trifon Pe­čengskij im hohen Norden nicht nur zu einem russischen, sondern auch einem norwegischen Erinnerungsort zu machen. Begründet ist dies durch die Missionsarbeit Trifons bei den Samen, die diesseits und jenseits der Grenze lebten, wie auch durch die Lage des Klosters im Grenzgebiet. Der Band ist über seinen wissenschaftlichen Zweck hinaus ein Beitrag dazu, eine der bis 1991 abgeriegeltsten Grenzen in Europa durchlässiger zu machen.

Ludwig Steindorff, Kiel

Zitierweise: Ludwig Steindorff über: Vasilij Vasil’evič Kalugin: Žitie Trifona Pečengskogo, prosvetitelja Saamov v Rossii i Norvegii [Die Vita des Trifon Pečengskij, des Aufklärers der Samen in Russland und Norwegen]. Moskva: Drevlechranilišče 2009. 600 S. ISBN: 978-5-93646-145-3, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Steindorff_Kalugin_Zitie_Trifona_Pecengskogo.html (Datum des Seitenbesuchs)

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