Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 65 (2017), H. 3, S. 506-508

Verfasst von: Ludwig Steindorff

 

Konrad Clewing: Roher Diamant Dalmatien. Die habsburgische Verwaltung, ihre Probleme und das Land, wie beschrieben von seinem Gouverneur Lilienberg für Kaiser Franz I. (1834). Hrsg. von Konrad Clewing. München, Berlin: Sagner, 2015. 364 S., 16 Ktn. = DigiOst, 1. ISBN: 978-3-86688-500-4.

Die Arbeit des Herausgebers an dieser Edition war offensichtlich geleitet von der Faszination gleichermaßen an der Biographie des Autors, an der Entdeckung eines unbekannten Textes wie auch an den neuen Möglichkeiten der elektronischen Recherche vor allem über Google Books.

Wenzel Vetter Graf von Lilienberg (1767–1841) war schon einer der Helden in der Dissertation von Konrad Clewing Staatlichkeit und nationale Identitätsbildung. Dalmatien in Vormärz und Revolution (München 2001). Diese Arbeit ist zum einen dadurch wegweisend geworden, dass Clewing exemplarisch zeigt, wie sich aus einer größeren Zahl von frühen konkurrierenden Nationskonzepten wenige durchsetzen und die anderen der Vergessenheit anheimfallen, als wären sie in ihrer Zeit unmöglich gewesen, obwohl sie genauso ihre objektivierbaren Rückbindungen in der Geschichte hatten. Zum anderen hat Clewing in seiner Arbeit das Bild der österreichischen Herrschaftspraxis in Dalmatien nach 1815 zum Positiven hin revidiert. Auf den radikalen Reformeifer in den Jahren französischer Herrschaft 1806–1814 folgte keineswegs nur Stagnation; allerdings waren die liberalen Ideen des Vormärz der vorsichtigen Modernisierungspolitik gänzlich fremd.

Ein profilierter Vertreter dieser Herrschaftspraxis war Wenzel Vetter Graf von Lilien­berg, der nach einer militärischen Laufbahn, einschließlich großer Verdienste in den napoleonischen Kriegen, von 1831 bis zu seinem Tod 1841 die Funktion des österreichischen Gouverneurs in Dalmatien ausübte. Die ausführlichste Schilderung seines Lebensweges finden wir in einem Nachruf, den sein Adjutant und einer der späteren Protagonisten des Illyrismus und der kroatischen Nationalbewegung, Graf Josip Jelačić, schon im Todesjahr 1841 verfasst hat. Leicht gekürzt und nicht mehr namentlich gekennzeichnet, findet man diesen Nachruf auch im 1843 erschienenen Neuen Nekrolog der Deutschen für 1841 (vgl. S. 17 der Einleitung bei Clewing). Ergänzend sei hier angemerkt, dass Lilienberg in der Einleitung dieses Bandes (S. XIII) zu den im Jahr 1841 verstorbenen wenigen „Sternen erster Größe“ gerechnet wird. Der „Nekrolog“ steht demnach noch ganz in der Tradition eines großdeutschen Nationsverständnisses.

Ein Schlüsselzeugnis von Lilienbergs Tätigkeit als Gouverneur von Dalmatien war bisher unbekannt: die von ihm verfasste Landesbeschreibung auf der Grundlage von Reisen in den Jahren 1832, 1833 und 1834 durch die Provinz, die ja von der Insel Rab im Norden bis noch südlich der Bucht von Kotor reichte. Marko Trogrlić, an der Universität Split tätiger Historiker, hat Clewing auf das im Staatsarchiv Zadar liegende Konzept dieses Textes aufmerksam gemacht, und daraus ist die Idee einer Paralleledition entstanden: Clewing hat die deutsche Edition samt den Kommentaren erarbeitet, Trogrlić hat den Text übersetzt und eine kroatische Paralleledition besorgt (Marko Trogrlić / Kon­rad Clewing: Neizbrušeni dijamant. Habsburška pokrajina Dalmacija u opisu na­mjes­nika Lilienberga. Zagreb, Split 2015).

Erst als die Einrichtung der Edition auf der Grundlage des Konzeptes schon fast abgeschlossen war, entdeckte Clewing die Reinschrift an einem ‚falschen‘ Ort, nicht in einem der Wiener Archive, sondern in der Österreichischen Nationalbibliothek im Bestand der einstigen Handbibliothek von Kaiser Franz I. Lilienberg hatte anlässlich einer Reise nach Wien seinen Bericht an den Kaiser gerichtet, um sein bisheriges Handeln zu rechtfertigen und um mehr Unterstützung für seine Vorhaben zu gewinnen. Der Kaiser hatte die Reinschrift bei anderen Reiseberichten abgelegt (S. 36). Nach dem Tod des Kaisers 1835 geriet die Beschreibung in Vergessenheit, und ihre Anliegen kamen kaum zum Tragen.

Der Textedition ist eine Einleitung über das Reisen als Herrschafts- und Regierungspraxis, über die Biographie von Lilienberg, vor allem über die Reise nach Wien 1834, über das damalige „Labyrinth der österreichischen Bürokratie“ (S. 16) und über die Einrichtung der Edition vorangestellt. Im Anhang zur Edition findet der Leser Verzeichnisse von relevanten Akten, Reproduktionen der Karten aus der Anlage zur Reinschrift wie auch zwei Quellenbeilagen: In einem für die Befindlichkeit und Selbsteinschätzung von Lilienberg aussagekräftigen Brief von 1835 klagt dieser: „Es ist ohnehin ein trauriges Geschick politischer Chef in Dalmatien zu seyn (S. 310).“ Seine von humanitären Erwägungen geleitete Eigeninitiative in der Ausgabenpolitik war ihm als Selbstherrlichkeit ausgelegt worden, und dies wurde auch im Antwortbrief aus Wien wiederholt. Bei der zweiten Beilage handelt es sich um eine Relation über die Präturen Dalmaziens von 1844, als deren Autor Clewing Erzherzog Karl, den Vater von Franz Joseph II., annimmt (S. 39). Im übrigen zeigt dieser Bericht, wie wenig sich am Grundbefund der Situation in Dalmatien in den zehn Jahren geändert hatte.

Die Gliederung für seine Landesbeschreibung hat Lilienberg vielleicht aus dem Buchkonzept des seit 1826 in Dalmatien tätigen Gymnasiallehrers und Landeskundlers Franz Petter übernommen, dessen fertiges Werk über Dalmatien posthum erst 1857 in Gotha erschienen ist. Doch inhaltlich sind die Texte unabhängig voneinander (S. 31).

Der vielfältige Inhalt von Lilienbergs Landesbeschreibung sei hier nicht weiter referiert. Möge die Leserin, der Leser dieser Rezension gleich einen Blick in die frei zugängliche Online-Ausgabe werfen, leicht zu finden unter http://www.ios-regensburg.de/ios-publikationen/schriftenreihen/digiost.html.

Unabhängig davon, dass Lilienberg seine eigenen Beobachtungen und Erfahrungen dokumentiert, steht er doch zugleich in einer Diskurstradition, beginnend mit seinem an Rousseau gemahnenden Bild von Dalmatien als gestaltbarem rohen Diamanten, wie erwähnt ganz am Schluss der Beschreibung (S. 276). Sein Text wirkt stellenweise wie eine jüngere Fortsetzung der Präsentationen bei Mirna Zeman (Reise zu den „Illyriern“. Kroatienstereotype in der deutschsprachigen Reiseliteratur und Statistik [1740–1809]. München 2013). Dass der Morlake seine Frau als „Magd oder Sklavin“ behandele, mag Lilienbergs berechtigter Eindruck gewesen sein, doch soll man ihm glauben, dass generell nur der Mann eine Strohunterlage zum Schlafen hatte (S. 163)? Oder ist es dasselbe wie mit dem angeblichen Wunsch der Moskowiterinnen, aus Liebe geschlagen zu werden?

Wir können die Edition im Sinne der Intention von Lilienberg als Landesbeschreibung Dalmatiens im Vormärz lesen, zugleich aber auch als gewolltes Bild einer noch zu zähmenden Wildnis, von der sich nur die Städte und ihre nähere Umgebung abheben. Die Edition lässt sich als Beitrag zur Erforschung österreichischer Regierungs- und Verwaltungspraxis nutzen. Und wir lernen über die Landesbeschreibung einen Menschen kennen, dem man bei seinen Vorhaben, die Wohlfahrt des Landes zu fördern, den guten Willen gerne bestätigt. Lilienberg verweist auf Kontakte einzelner Städter zu Geheimgesellschaften in Italien (S. 262), doch ansonsten bleibt ihm das Wirken von Nationalbewegungen noch völlig fremd.

Ludwig Steindorff, Kiel

Zitierweise: Ludwig Steindorff über: Konrad Clewing: Roher Diamant Dalmatien. Die habsburgische Verwaltung, ihre Probleme und das Land, wie beschrieben von seinem Gouverneur Lilienberg für Kaiser Franz I. (1834). Hrsg. von Konrad Clewing. München, Berlin, Leipzig [usw.]: Sagner, 2015. 364 S., 16 Ktn. = DigiOst, 1. ISBN: 978-3-86688-500-4, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Steindorff_Clewing_Roher_Diamant_Dalmatien.html (Datum des Seitenbesuchs)

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