Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Band 58 (2010) H. 3, S.  461-462

Stefan Zwicker „Nationale Märtyrer“: Albert Leo Schlageter und Julius Fučík. Heldenkult, Propaganda und Erinnerungskultur. Ferdinand Schöningh Verlag Paderborn [usw.] 2006. 369 S. = Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegenwart. ISBN: 978-3-506-72936-1.

Mit Stefan Zwickers Mainzer Dissertation über die „nationalen Märtyrer“ Albert Leo Schlag­eter und Julius Fučík liegt ein gut zu lesendes, aber schwer zu bewertendes Buch vor. In seinem Zentrum stehen zwei Männer, die von einer Besatzungsmacht exekutiert und postum zu Helden stilisiert wurden. Das Buch gliedert sich in je ein großes Kapitel zum Forschungsstand, zur Biographie und zum Heldenkult sowie in ein resümierendes Kapitel unter dem Titel „Wie wird ein Toter zum Märtyrer?“.

Schlageter, ein deutscher Frontsoldat des Ersten Weltkrieges und Angehöriger der Freikorps, war 1923 während der Ruhrbesetzung von einem französischen Militärgericht nach kurzem Prozess wegen Sabotage zum Tode verurteilt und erschossen worden. Die Ruhrbesetzung sowie die Hinrichtung riefen den Widerstand und das Entsetzen der deutschen Bevölkerung hervor. Zahlreiche insbesondere rechte und völkische Gruppen machten sich das vermeintliche Vorbild des opferbereiten Kämpfers zueigen. Die NSDAP behauptete, Schlageter sei Parteimitglied gewesen, und erklärte ihn zum „ersten Soldaten des Dritten Reichs“. Die Parteimitgliedschaft kann jedoch nicht bewiesen werden und ist laut Verfasser eher unwahrscheinlich. Da die Familie den Nachlass unter Verschluss hält, sind von Schlageter nur ein paar politisch wenig aufschlussreiche Briefe enthalten, die im genannten Umfeld ediert wurden. Nach 1945 taugte dieser „Held“ nur noch zum Vorbild für einige rechtsradikale Grüppchen. Außer Martin Walser fühlte sich kaum jemand berufen, sich näher mit der Person zu befassen.

Fučík, ein tschechischer Kommunist und Angehöriger des Widerstands im Protektorat Böhmen und Mähren, war 1943 in Prag verhaftet, von der Gestapo verhört sowie gefoltert und 1943 in Berlin-Plötzensee hingerichtet worden. Neben zahlreichen journalistischen Arbeiten hinterließ er ein berühmt gewordenes Buch, die „Reportage, unter dem Strang geschrieben“ („Reportáž, psaná na oprátce“). Dabei handelt es sich um ein selbst verfasstes Heldenepos, in dem er seinen nahenden Tod als ein Opfer für eine bessere sozialistische Zukunft darstellt. Die Aufzeichnungen wurden von einem Gefängniswärter als Kassiber hinausgeschmuggelt. So sehr das Werk mit platten Dichotomien operiert, so sehr ist es zugleich eine beeindruckende Inszenierung, die sich propagandistisch hervorragend einsetzen ließ. Entsprechend groß war das Echo auf die Reportage, bei der es sich um das meist übersetzte tschechische Buch handeln soll. Im Exil und in der Reformperiode der sechziger Jahre wurde der Fučík-Kult teilweise scharf kritisiert; mit den Ereignissen von 1989 geriet der „sozialistische Held“ allmählich in Vergessenheit.

Dem Verfasser geht es vor allem um den Heldenkult um diese beiden Personen. Er argumentiert, dieser weise Ähnlichkeiten auf, so zum Beispiel in der offenen oder verdeckten Anlehnung an christliche Motive, in der Betonung der Tugenden und des Vorbildcharakters der Person, in der Verdrehung von Tatsachen und in der Einbeziehung der Familie bzw. der Witwe (Gusta Fučíková) in die Propaganda. Grundvoraussetzung der Überhöhung war außerdem der frühe und gewaltsame Tod der fraglichen Personen. Spätestens bei dieser Feststellung muss betont werden, dass wir es hier mit einem kulturell tief verwurzelten Muster zu tun haben, so dass die fraglichen Schlussfolgerungen ebenso für andere Märtyrer-Helden Gültigkeit besitzen. So nimmt der Verfasser selbst auf viele von diesen sehr detailliert Bezug. Es bleibt aber doch die Frage offen, warum gerade Schlageter und Fučík kontrastiert werden. Wenn der Beweis geführt werden soll, dass rechte und linke Propaganda Ähnlichkeit hatten (und haben), so lehrt uns das Buch nichts Neues. Darüber hinaus fällt vor allem auf, dass Fučíks Reportage ein Propagandawerk und persönliches Vermächtnis war, das in dieser Form ausgesprochen originell war. Dafür waren zumindest Talente notwendig, die sich bei Schlageter nicht feststellen lassen.

Zu loben bleibt trotz dieser Kritik der gute Stil und der Kenntnisreichtum der Studie. In einer ausgesprochen akribischen Arbeit hat der Verfasser sehr viel Material zutage gefördert, das von „seinen Helden“ erhalten geblieben und über sie geschrieben worden ist. Auch das umfassende Personenregister weist auf die zahlreichen Querverweise, die diese Arbeit über das engere Thema hinaus aufschlussreich machen. Dem interessierten Publikum liegt somit eine wissenschaftlich fundierte Arbeit vor, die beide „Heldengeschichten“ kritisch einordnet. Dies ist umso wichtiger, weil eine historiographische Aufarbeitung in beiden Fällen bisher nicht unternommen worden ist (was zugleich den einzig stichhaltigen Grund für die Auswahl der „Helden“ darstellt). Fraglich ist jedoch, ob es ein Publikum gibt, das sich für Schlageter und Fučík gleichermaßen interessiert.

Natali Stegmann, Regensburg

Zitierweise: Natali Stegmann über: Stefan Zwicker: „Nationale Märtyrer“: Albert Leo Schlageter und Julius Fučík. Heldenkult, Propaganda und Erinnerungskultur. Ferdinand Schöningh Verlag Paderborn [usw.] = Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegenwart. ISBN: 978-3-506-72936-1, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 3, S. 461-462: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Stegmann_Zwicker_Nationale_Maertyrer.html (Datum des Seitenbesuchs)