Ágnes Pogány, Eduard Kubů, Jan Kofman Für eine nationale Wirtschaft. Ungarn, die Tschechoslowakei und Polen vom Ausgang des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg. Ber­liner Wissenschafts-Verlag Berlin 2006. 181 S., Abb., Tab. = Frankfurter Studien zur Wirt­schafts- und Sozialgeschichte Ostmitteleuropas, 16. ISBN: 978-3-8305-1250-9.

Der vorliegende Band bietet mit drei nationalen Fallstudien gleichzeitig drei verschiedene Zugänge zur Untersuchung des ostmitteleuropäischen Wirtschafts­nationalismus an. Kubů konzentriert sich auf die Parteiprogramme der tschechischen (bzw. tschechoslowakischen) und deutschböhmischen (bzw. sudetendeutschen) Parteien vom späten 19. Jahrhundert bis 1939. Er arbeitet heraus, dass wirtschaftsnationale Forderungen zu einem festen Bestandteil der ideologischen Ausrichtung des radikalen Nationalismus und politischen Extremismus in beiden Milieus gehörten. Gleichfalls verweist er darauf, dass hinter nationalen Argumentationen oft die Sonderinteressen einzelner Wirtschaftszweige standen.

Während Kubůs Studie sich als Einheit präsentiert, gliedert sich Pogánys Abhandlung in zwei Teile, da der von Ungarn als national verstandene Raum sich durch die territorialen Verluste nach Trianon wesentlich verändert hatte. Verbindender Faktor der Analyse ist die These, dass die ethnische Integration und Homogenisierung der Wirtschaft das grundsätzliche Ziel des ungarischen Wirtschaftsnationalismus gewesen sei. Während die Verfasserin für die Zeit der Habsburgermonarchie auf die innere Konkurrenz zur österreichischen Reichshälfte sowie mit den nationalen Minderheiten eingeht und das Bankenwesen, die staatliche Industrieförderung und die gesellschaftlichen Initiativen zur Un­terstützung einer national verstandenen Industrie analysiert, wendet sie sich für die Zeit von 1918 und 1945 allein dem Wirtschaftsantise­mitismus zu, was sie damit begründet, dass mit Ausnahme der hier nicht berücksichtigten deut­schen Minderheit kein weiterer innerer Kon­kurrent mehr verblieb.

Nach der Lektüre dieser beiden kulturwissenschaftlich und epochenübergreifend ausgerichteten Fallstudien, stellt der auf die Zwischenkriegszeit beschränkte und in Essayform abgefasste Text von Kofman eine Enttäuschung dar. Dieser wiederholt lediglich die Ergebnisse seiner vor zehn oder mehr Jahren abgeschlossenen Forschungen (Economic Nationalism and Development: Central and Eastern Europe Between the Two World Wars. Boulder 1997 [poln. Ausgabe 1992]) und konzentriert sich auf die Analyse des äußeren Wirtschaftsnationalismus, der vom Staat als Akteur ausgeht, ohne wie die beiden anderen Autoren auf die Wirtschaftsgesinnung der nationalen Minderheiten einzugehen. Er schlussfolgert, dass Polen eine gemäßigte Variante des Wirtschaftsnationalismus verfolgt habe, um den Rückstand gegenüber anderen Volkswirtschaften zu verringern. Der beschränkte Protektionismus sowie das Bemühen, die eigene Währung zu stabilisieren, hätten lang­fristig, wenn der Zweite Weltkrieg diese Ent­wicklung nicht unterbrochen hätte, zum Erfolg geführt.

Abschließend bleibt zu bedauern, dass die drei Verfasser es versäumt haben, diesem monographisch angelegten Band eine größere innere Kohärenz zu verleihen. Redaktionelle Eingriffe in die Textgestaltung und in die Übersetzungen hätten die Lesbarkeit der Texte erhöhen können. Auch eine bessere Einbindung der zahlreichen Abbildungen in die Texte wäre wünschenswert gewesen. Ärgerlich ist jedoch besonders die fast durchgehende Verwendung ungarischer Ortsnamen für heute slowakische und rumänische Städte durch Pogány, die nur regionalen Spezialisten eine geografische Einordnung erlaubt. Dieses Defizit wird auch im ansonsten sehr nützlichen Register nur teilweise behoben. Die den Texten folgende Auswahl von Literatur in westlichen Sprachen ergänzt dagegen die in den Anmerkungen überwiegende ostmitteleuropäische Literatur gut.

Stefan Dyroff, Bern

Zitierweise: Stefan Dyroff über: Ágnes Pogány, Eduard Kubů, Jan Kofman Für eine nationale Wirtschaft. Ungarn, die Tschechoslowakei und Polen vom Ausgang des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg. Berliner Wissenschafts-Verlag Berlin 2006. 181 S., Abb., Tab. = Frankfurter Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Ostmitteleuropas, 16. ISBN: 978-3-8305-1250-9., in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 57 (2009) H. 1, S. 128: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Stefan-Dyroff-Pogany-Kubu-Kofman-Fuer-eine-nationale-Wirtschaft.html (Datum des Seitenbesuchs)