Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 63 (2015), 4, S. 685-685

Verfasst von: Paul Srodecki

 

Hannah Maischein: Ecce Polska. Studien zur Kontinuität des Messianismus in der polnischen Kunst des 20. Jahrhunderts. Hildesheim, Zürich, New York: Olms, 2012. 136 S., 4 Taf. = Historische Europa-Studien. Geschichte in Erfahrung, Gegenwart und Zukunft, 9. ISBN: 978-3-487-14853-3.

Das vorliegende Buch widmet sich der Kontinuität des Messianismus in der polnischen Kunst des 20. Jahrhunderts. Entstanden ist der polnische Messianismus – also die Vorstellung von der geschundenen, Jesus Christus gleichen Nation der Polen –  im 19. Jahrhundert. Großen Anteil hatte daran die polnische Diaspora, die das Bild des polnischen Messianismus europaweit verbreitete. So gehört der Messianismus neben der seit dem Spätmittelalter in Polen weit verbreiteten Antemurale-Selbstzuschreibung zu den berühmtesten identitätserhaltenden Orientierungsankern der polnischen Nation. Insbesondere im 20. Jahrhundert, während der zwei Weltkriege wie auch in der Zeit der von der Sowjetunion abhängigen Volksrepublik Polen, erlebte der Messianismus als „ein für Polen spezifisches Deutungsmuster historischer Erfahrungen“ (S. 8) eine regelrechte Renaissance und trug entscheidend zu der landesweiten Diffusion und zur Verfestigung der Vorstellung von Polen als dem Messias bzw. Märtyrer der Völker bei.

Die Verfasserin versucht in ihrer Untersuchung der Frage nach den „Aktualisierungsformen des Messianismus, mit denen die politische Gegenwart jeweils gedeutet wird“ (S. 8), in der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts nachzugehen. Maischein konzentriert sich auf „vier Kunstwerke, die jeweils in Auseinandersetzung mit einer geschichtlichen Phase des 20. Jahrhunderts in Polen entstanden sind“ (S. 10). Die Wahl fiel auf Werke der Künstler Jacek Malczewski, Stanisław Ignacy Witkiewicz (Witkacy), Andrzej Wróblewski und Jerzy Bereś.

Gegliedert ist der Band in vier Teile. Im ersten Kapitel nimmt Maischein „eine formale Analyse und kulturgeschichtliche Kontextualisierung des visuellen Materials vor, die strukturelle Analogien zwischen den visuellen Repräsentationen“ (S. 10) hervorheben soll. Auf diese Weise soll „die Kommunikation, die über die visuellen Medien zwischen dem Künstler und dem Betrachter über große Zeiträume hinweg stattfand und ‑findet, erfasst, und die Perpetuierung des Messianismus als kommunikative Leistung erkennbar“ (S. 10) werden. Das zweite Kapitel widmet sich dem „Messianismus in seiner historischen Tradition und seiner kommunikativen Dynamik“ (S. 10) als Grundlage für eine ikonologische Interpretation der „inhaltliche(n) und strukturelle(n) Konstanz der visuellen Verarbeitung des historischen Leidens“ (S. 10), die im dritten Kapitel erfolgt. Der abschließende vierte Teil versucht schließlich, „die Frage nach einem polnischen Nationenbild und dem zugrunde liegenden Bildbegriff“ zu beantworten.

Die vorliegende Untersuchung stellt einen weitgehend gelungenen Überblick zum polnischen Messianismus im 20. Jahrhundert dar. Ferner lässt sich das – zugegeben recht knapp gehaltene – Büchlein in den Bereich der Erforschung von Erinnerungskulturen einordnen. Gerade zu Ostmitteleuropa hat es aus dem Bereich der lieu de mémoire-Forschung in letzter Zeit viele neue Publikationen gegeben (so z.B. der 2013 bei De Gruyter erschienene Band Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa).

Was der kurzen, aus einer Diplomarbeit hervorgegangen Studie fehlt, ist indessen eine vergleichende Perspektive, die Parallelen im polnischen Messianismus zu ähnlichen, gerade in Ostmitteleuropa oft anzutreffenden Topoi wie etwa der ungarischen querela Hungariae, dem Bild des gemarterten und ausgebeuteten Ungarns also, aufzeigen und miteinander kontrastieren würde. Bemängelt werden muss auch die sehr dürftige Auseinandersetzung mit der einschlägigen Literatur zum polnischen Messianismus. Grundlegende Werke wie die von Jan Garewicz, Joanna Goszczyńska, Wit Jaworski, Jan Krasicki, Marek Pąkciński, Ewa Pluskiewicz, Maria Prussak, Jadwiga Salamon oder Eligiusz Szymanis sucht man in der vorliegenden Arbeit vergebens. Gerade von einer Studie, die sich dem Fortwirken des polnischen Messianismus in der polnischen Kunst des 20. Jahrhunderts widmet, sollte man eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Problematik und den verschiedenen Forschungsansätzen zum gewählten Thema erwarten können.

Paul Srodecki, Gießen

Zitierweise: Paul Srodecki über: Hannah Maischein: Ecce Polska. Studien zur Kontinuität des Messianismus in der polnischen Kunst des 20. Jahrhunderts. Hildesheim, Zürich, New York: Olms, 2012. 136 S., 4 Taf. = Historische Europa-Studien. Geschichte in Erfahrung, Gegenwart und Zukunft, 9. ISBN: 978-3-487-14853-3, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Srodecki_Maischein_Ecce_Polska.html (Datum des Seitenbesuchs)

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