Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 64 (2016), H. 2, S. 319-320

Verfasst von: Paul Srodecki

 

Svetlana Korzun: Heinrich von Huyssen (1666–1739). Prinzenerzieher, Diplomat und Publizist in den Diensten Zar Peters I., des Großen. Wiesbaden: Harrassowitz, 2013. IX, 268 S. = Jabloniana, 3. ISBN: 978-3-447-07003-4.

Im Mittelpunkt des vorliegenden Werkes steht das Wirken des im frühen 18. Jahrhun­dert in russischen Diensten stehenden deutschen Publizisten und Diplomaten Heinrich von Huyssen. Svetlana Korzun betritt hiermit Neuland, ist ihre Darstellung doch die erste Monographie, die sich explizit dem 1666 in Essen geborenen Huyssen widmet. Die Abhandlung ist aber mehr als ein biographisches Werk zu einem wichtigen ausländischen Akteur am Hofe Peters des Großen. Korzun versucht nicht nur, „das Wirken und die Leistungen Huyssens in die Bedingungen und die Anforderungen seiner Zeit einzuordnen“, sondern mit einer Anknüpfung an aktuelle Forschungen zu Russland an der Schwelle vom 17. zum 18. Jahrhundert, „den historischen Weg Russlands auf neue Art zu beleuchten“ (S. 7).

Nach einer thematischen Einleitung und einer kleinen Skizze zu Heinrich von Huyssens familiärer Herkunft, seinem Werdegang und frühen Prägungen und Einflüssen (Kapitel 2) beschreibt Korzun in insgesamt elf Abschnitten Huyssens Wirken im petrinischen Russland. Nachgezeichnet werden seine Anfänge als Hofmeister und Lehrer des Thronfolgers Aleksej, seine publizistisch-propagandistische Auseinandersetzung mit dem 1702 aus Russland ausgewiesenen und seit 1706 in schwedischen (also – vor dem Hintergrund des Großen Nordischen Krieges – feindlichen) Diensten stehenden Martin Neugebauer, Huyssens Einflussnahme auf das westliche Russlandbild und sein Beitrag zum Wissenstransfer zwischen dem Westen und dem petrinischen Russland. Letzterem Punkt räumt Korzun in ihrer Abhandlung etwas mehr Platz ein. Huyssens starke Vernetzung mit anderen, vornehmlich in Deutschland wirkenden Gelehrten wie dem Frühaufklärer Gottfried Wilhelm Leibniz oder dem protestantischen Prediger und Sekretär der 1700 in Berlin gegründeten Sozietät der Wissenschaften Daniel Ernst Jablonski war ein wichtiger Eckpfeiler in Russlands geistiger Öffnung nach Westen und bei der Aufnahme zahlreicher multilateraler Beziehungen in Wissenschaft, Buchhandel und Verlagswesen.

Neben seiner Berater- und Gelehrtenfunktion wirkte Huyssen auch als Diplomat Peters I. Hervorzuheben ist hier vor allem seine dreijährige Gesandtentätigkeit in Wien (1705–1708), während derer Huyssen vor dem Hintergrund des schwedisch-russischen Konflikts in allererster Linie als Nachrichtenübermittler tätig war und „die Pläne der europäischen Mächte und deren Kräfteverteilung im Großen Nordischen Krieg […] an den Zaren und dessen Mitarbeiter weiterleitete.“ (S. 145).

Etwas dezidierter thematisiert Korzun die in weiten Teilen Europas verbreitete, recht negative Wahrnehmung Russlands um 1700 sowie den Versuch des petrinischen Hofes (Huyssen mit eingeschlossen), sich durch eine gezielte Gegenpropaganda „in ein freundliches Licht zu rücken“ (S. 82). Hier tat sich Heinrich von Huyssen als ein eifriger Propagator eines positiven Russlandbildes hervor. Korzun weist auf mehrere einschlägige deutsch-, italienisch- oder französischsprachige Lobschriften hin, auf die Huyssen mehr oder weniger Einfluss genommen hatte. Vor allem die 1713 verfasste Relazione geografica storicopolitica dell’ imperio di Moscovia des Giovanni Christoforo Wartis, in der „man die Mitwirkung Huyssens klar erkennen“ könne, zeige, „dass sich der Einfluss“ des in russischen Diensten stehenden Deutschen, „nicht nur auf deutschsprachige Gebiete, sondern auch darüber hinaus ausdehnte“ (S. 87–88). Zu einer Verbesserung des Russlandbildes sollten auch Huyssens Abhandlungen zur russischen Geschichte beitragen. Mit Hilfe der Heroisierung Peters des Großen – etwa im Anfang des 18. Jahrhunderts verfassten Journal Peters I., das allerdings erst 1787/1788 zur Veröffentlichung kam – war Huyssen bemüht, Russland eine günstigere Außenwahrnehmung zu verschaffen.

Weniger gelungen fällt hingegen der Abschnitt zum Russlandbild in Europa vor Peter I. aus. Die Autorin verweist hier zurecht auf die in der Mitte des 16. Jahrhunderts verfassten Rerum Moscoviticarum Commentarii, das grundlegende Werk Sigismund von Herbersteins. Ferner zählt sie den Reisebericht Beschreibung Der Muscowitischen vnd Persischen Reyse des aus Aschersleben stammenden Diplomaten und Polyhistors Adam Ascanius Olearius auf. Aus diesen zwei zweifellos wichtigen, aber selektiven Abhandlungen ein gesamteuropäisches Russlandbild, wie in der Kapitelüberschrift suggeriert, herzuleiten, kann nur wenig überzeugen. Den Wurzeln des negativ konnotierten europäischen Russlandbilds in der Frühen Neuzeit hätte Korzun durchaus mehr Platz als nur eine knappe Seite widmen können. So fehlt der Hinweis auf vergleichbare, bis ins Spätmittelalter reichende denunzierende Beschreibungen aus Italien bzw. Rom (Enea Silvio Piccolomii und seine Cosmographia), England, Frankreich und nicht zuletzt Polen (Erazm Ciołek, Maciej Miechowita, Stanisław Orzechowski). Wünschenswert wäre auch ein Itinerar, d. h. eine graphische Darstellung der zahlreichen Reisen und Wirkungsorte in Huyssens bewegtem Leben gewesen, um so einen besseren Überblick zur Reichweite seines Wirkungskreises in Diensten des Zaren zu geben.

Diese kleineren Kritikpunkte sollen aber den durchaus positiven Gesamteindruck der Monographie keinesfalls trüben. Das Werk stellt im Großen und Ganzen eine solide geschriebene biographische Untersuchung zu einer tragenden Persönlichkeit am Hofe Peters des Großen dar. Völlig neue Blickwinkel bietet die Untersuchung zwar nicht, sie berücksichtigt aber alle essentiellen Aspekte von Huyssens Wirken im petrinischen Russland. Zudem gelingt es Korzun, einen treffenden Eindruck von Russland an der Schwelle vom 17. zum 18. Jahrhundert und damit einhergehend von den weitreichenden politischen und gesellschaftlichen Veränderungen unter Peter I. zu vermitteln.

Paul Srodecki, Gießen

Zitierweise: Paul Srodecki über: Svetlana Korzun: Heinrich von Huyssen (1666–1739). Prinzenerzieher, Diplomat und Publizist in den Diensten Zar Peters I., des Großen. Wiesbaden: Harrassowitz, 2013. IX, 268 S. = Jabloniana, 3. ISBN: 978-3-447-07003-4, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Srodecki_Korzun_Heinrich_von_Huyssen.html (Datum des Seitenbesuchs)

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