Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 64 (2016), 3, S. 493-494

Verfasst von: Paul Srodecki

 

Maddalena Betti: The Making of Christian Moravia (858–882). Papal Power and Political Reality. Leiden: Brill, 2014, XIII, 251 S., 5 Ktn. = East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450, 24. ISBN: 978-90-04-21187-2.

Die vorliegende Studie widmet sich einem Schlüsselereignis in der frühmittelalterlichen Geschichte Ostmitteleuropas wie auch der slawischen Welt allgemein, nämlich der christlichen Missionierung Mährens in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts. Mad­dalena Betti zeichnet das missionarische Wirken der von der Nachwelt als Slawenapostel bezeichneten Brüder Kyrill (Taufname Konstantin) und Method(ius) (Taufname Michael) im sogenannten Großmährischen Reich nach. Einem Wunsch des großmährischen Fürsten Rastislav folgend, entsandte der byzantinische Kaiser Michael III. die christlichen Missionare in den frühen 860er Jahren nach Mähren. Der Missionstätigkeit der Brüder wie auch dem Aufbau einer frühen Kirchenorganisation im Großmährischen Reich waren in der Vergangenheit zahlreiche, vor allem tschechischsprachige wissenschaftliche Abhandlungen gewidmet. Betti legt in ihrer Studie aber einen Fokus auf eine bislang stets nur tangierte Thematik, nämlich das Verhältnis des Papsttums zu der 869 gegründeten mährischen Kirchenprovinz, deren erster Erzbischof der Missionar Michael/Method wurde. Hierzu wurden von der Verfasserin insbesondere päpstliche Korrespondenzen – vornehmlich aus der Regierungszeit Johannes’ VIII. – ausgewertet.

Die Monographie gliedert sich in drei Teile. Im ersten Abschnitt skizziert Betti die geschichtswissenschaftliche Literatur der letzten zwei Jahrhunderte zur frühmittelalterlichen Missionierung Mährens. Ferner beschreibt sie deren Instrumentalisierung sowohl durch die orthodoxe als auch die römisch-katholische Kirche sowie durch verschiedene nationale und nationalistische Bewegungen in Österreich-Ungarn und später in den neu entstandenen Nationalstaaten des östlichen Mitteleuropas mit der Tschechoslowakei bzw. der späteren Tschechischen Republik allen voran. Hierbei resümiert Betti noch einmal die seit dem 19. Jahrhundert immer wieder aufflammende Forschungsdebatte zur geographischen Verortung des Großmährischen Reiches. Sowohl Pavel Josef Šafářik als auch František Palacký als führende Forscher zum Großmährischen Reich sahen dieses bereits im 19. Jahrhundert nördlich der Donau – eine These, die durch zahlreiche Ausgrabungen tschechoslowakischer Archäologen in den 1950er und 1960er Jahren untermauert werden konnte. Betti folgt diesen Annahmen und lehnt – mit Hinweis auf die archäologischen Befunde – die seit den 1970er Jahren von dem Ungarn Imre Boba und dem deutschen Historiker Martin Eggers aufgestellten Thesen einer Lokalisierung des frühmittelalterlichen Mährerreichs südlich der Donau bzw. entlang der Theiß entschieden ab.

Nach dieser kurzen Übersicht zeichnet Betti im etwas ausgedehnteren zweiten Kapitel die Geschichte der mährischen Mission unter den Päpsten Nikolaus I. und Hadrian II. nach. Die Autorin vergleicht hierbei dezidiert die römischen und die slawischen Quellen und stellt die Unterschiede in der zeitgenössischen Überlieferung der Missionstätigkeit von Konstantin/­Kyrill und Michael/­Method in den westslawischen Gebieten heraus. Interessanterweise verschweigen bzw. schmälern beide Lager den Beitrag der anderen Seite bei der Missionierung. Betti unterstreicht, dass etwa in den slawischen Quellen jegliche Hinweise auf die Rolle Johannes’ VIII., Nikolaus’ I. oder Hadrians II. bei der Mährermission fehlen. Umgekehrt schenken die lateinischen – und hier allem voran die unmittelbar aus Rom stammenden – Überlieferungen der tragenden Rolle Michaels/Methods bei der Gründung einer Kirchenprovinz im Großmährischen Reich – und somit der ersten in slawischen Gebieten überhaupt – sowie der Etablierung einer slawischen Liturgie und der Entwicklung des sogenannten glagolitischen Alphabets so gut wie keine Beachtung. Die römischen bzw. in Italien entstandenen Quellen wie etwa die Vita Constantini-Cyrilli cum translatione S. Clementis konzentrieren sich vielmehr auf die Überführung der Gebeine des heiligen Clemens durch Konstantin/Kyrill von einer bei Cherson gelegenen Insel nach Rom. Die päpstlichen Interessen in den westslawischen Gebieten kollidierten im 9. Jahrhundert indessen nicht nur mit der von Konstantinopel unterstützen Missionstätigkeit. Reibungspunkte gab es auch mit dem Ostfränkischen Reich unter den Karolingern Ludwig dem Deutschen und seinem ältesten Sohn Karlmann, die den angrenzenden slawischen Gebieten ihre Suprematie aufzwingen und die gesamten missionierten Gebiete des Mährerreichs der Zuständigkeit der altbairischen Erzdiözese Salzburg unterordnen wollten.

Im dritten und letzten Kapitel ihrer Studie analysiert Betti explizit die von Johannes VIII. erhaltenen und auf die Mährermission bezogenen Schreiben. Thematisiert werden u. a. die diplomatischen, auf Legaten und Missionare gestützten Netzwerke Johannes’ VIII., seine Korrespondenz mit Michael/Method, Ludwig dem Deutschen, Karlmann und dem bayerischen Klerus. Im Fokus des Kapitels steht vor allem die ambivalente Beziehung des Papstes zu Michael/Method. Betti zeichnet hierbei die Schaukelpolitik Johannes’ VIII. nach, der anfangs noch die Ostfranken unterstützt hatte, nach deren militärischen Misserfolgen in den frühen 870er Jahren gegen den mährischen Fürsten Svatopulk und der Befreiung des Slawenapostels Michael/Method aus der Gefangenschaft der bayerischen Bischöfe jedoch eine selbstbewusstere und vom ostfränkischen Reich unabhängigere Position zur Slawenmission einnahm. So erkannte Johannes VIII. 880 in der Bulle Industriae tuae die Eigenständigkeit des Mährerreichs an, das Svatopulk in einem vorangegangenen Bittschreiben geschickt der Schutzherrschaft Roms unterstellt hatte, um so die ostfränkischen Einflüssen einzudämmen. Die wachsende Macht des mährischen Fürsten einerseits wie auch das Scheitern der bulgarischen Mission um 880 andererseits bewegten den Papst zur Gründung einer starken und von den Ostfranken unabhängigen Diözese auf dem Territorium des Großmährischen Reiches, der Ecclesia Marabensis, zu deren Erzbischof er Michael/Method ernannte.

Bettis Studie bietet einen gelungenen Überblick zu dem Verhältnis Roms zu seiner ersten slawischen Kirchenprovinz und dem in Konkurrenz zu Konstantinopel stehenden Streben der Päpste nach Einbindung der mährischen Gebiete in den lateinischen, von Rom geprägten Kulturkreis der sogenannten abendländischen Christenheit. Hervorzuheben ist vor allem das im dritten Kapitel recht überzeugend nachgezeichnete Taktieren Roms zwischen den verschiedenen an einer Missionierung der slawischen Gebiete interessierten Parteien und der Instrumentalisierung der Slawenapostel Konstantin/Kyrill und insbesondere Michael/Method für die eigenen Ziele. Das  Buch ermöglicht auch Laien einen guten Einstieg in das Thema. Den mehr als positiven Gesamteindruck mag nur der etwas oberflächliche Umgang mit den in der Studie diskutierten Quellen trüben. Wünschenswert wäre hier eine gründlichere Auseinandersetzung mit den verschiedenen Überlieferungen gewesen. Zwar führt Betti neben den römischen und slawischen Texten auch fränkische, byzantinische und sogar angelsächsische Quellen auf, sie verzichtet aber bei letzteren – verglichen mit ersteren – auf einen soliden Ver- und Abgleich hinsichtlich der hinter der Abfassung stehenden Motivation und der eingangs formulierten Forschungsfragen.

Paul Srodecki, Gießen

Zitierweise: Paul Srodecki über: Maddalena Betti: The Making of Christian Moravia (858–882). Papal Power and Political Reality. Leiden: Brill, 2014, XIII, 251 S., 5 Ktn. = East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450, 24. ISBN: 978-90-04-21187-2, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Srodecki_Betti_The_Making_of_Christian_Moravia.html (Datum des Seitenbesuchs)

© 2016 by Institut für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg and Paul Srodecki. All rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact jahrbuecher@ios-regensburg.de

Die digitalen Rezensionen von „Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews“ werden nach den gleichen strengen Regeln begutachtet und redigiert wie die Rezensionen, die in den Heften abgedruckt werden.

Digital book reviews published in Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews are submitted to the same quality control and copy-editing procedure as the reviews published in print.