Florian Strasser Zivilgesellschaftliche Einflüsse auf die Orange Revolution. Die gewaltlose Massenbewegung und die ukrainische Wahlkrise 2004. Mit einem Vorwort von Egbert Jahn. ibidem-Verlag Stuttgart 2006. 206 S., Abb. = Soviet and Post-Soviet Politics and Society, 29. ISBN: 3-89821-648-9.

Diese umsichtige und materialreiche Arbeit, geschrieben im Jahr 2005, kommt zu dem Schluss, die Orange Revolution habe noch keinen Regime­wechsel erreicht, es handele sich im Wesentlichen um einen Machtwechsel, der allerdings einen Wechsel des Regimes verspreche und zum Ziel habe (S. 156–162). Aus dem Abstand von fünf Jahren lässt sich diese Einschätzung in vielem bestätigen, wenn auch schärfer fassen: Die Leistung der Orangen Revolution bestand darin, dass sie die Konsolidierung eines autoritären Regimes in der Ukraine unterbunden und so den Weg in eine demokratische Ordnung offen gehalten hat. Eine Konsolidierung der Demokratie ist allerdings bis heute nicht gelungen. Damit hat die Orange Revolution verhindert, dass die Ukraine den russischen Weg in den Autoritarismus ging – insgesamt keine geringe Leistung.

Diese knappe Arbeit bietet mehr, als der Titel erwarten lässt. Neben der Zivilgesellschaft, die eine ganz unerwartete Massenmobilisierung zustande brachte, die zu Recht mit der Mobilisierung in der DDR 1989 verglichen wird, stehen Probleme der politischen Institutionen, der bewaffneten Kräfte und der Eliten im Mittelpunkt. Der Autor hat eine kurzgefasste Gesamtdarstellung der Wahlkrise 2004, ihrer Voraussetzungen und Folgen vorgelegt. Zunächst werden das semi-autoritäre System unter Präsident Kučma und seine Delegitimierung dargestellt, danach geht es um die Vorläufer der orangen Bewegung seit 2000, ohne die der überwältigende Erfolg der Mobilisierung im November 2004 nicht erklärt werden kann. Politische Opposition wurde in der kompetitiven Autokratie behindert, blieb aber möglich.

Im Zentrum des Buches steht die Untersuchung des Zusammenspiels von „spontaner Assoziierung und systematischer Organisierung“ (S. 94) der Demonstrationen auf dem Majdan nezaležnosti in Kiew. Voraussetzung für den Erfolg war die Aufdeckung und rasche Veröffentlichung der systematischen Wahlfälschungen des zweiten Wahlganges der Präsidentenwahl vom 21. November 2004. NGOs hatten seit Jahren Wahlbeobachtung und Exit-Poll-Befragungen trainiert. Dabei spielten finanzielle und organisatorische Unterstützung aus dem Westen, aber auch die Vorbilder serbischer und georgischer NGOs eine Rolle. Dennoch – so argumentiert der Autor überzeugend – kann von einer Außensteuerung der Orangen Revolution keine Rede sein. „Die Realität war zu komplex, als dass sie beliebig geformt werden konnte“ (S. 167). Das gilt insbesondere für den überraschend schnellen Wechsel von Teilen des Staatsapparates und der verschiedenen bewaffneten Organe auf die Seite der Opposition.

Dies war eine der Voraussetzungen dafür, dass die Protestaktionen gewaltfrei blieben, obwohl beide Seiten auch ein Umschlagen in Gewalt nicht hatten ausschließen können und entsprechende Vorkehrungen getroffen hatten. Wichtiger als die Bezugnahme auf Gandhi und die Gewaltlosigkeitsforschung (S. 117 ff.) sind zur Erklärung für die Gewaltlosigkeit allerdings der sowjetische Hintergrund und die Erfahrungen aus der Perestrojka. Die Sowjetunion hatte sich fast ohne Blutvergießen aufgelöst. Insbesondere in der Ukraine, die in sowjetischer Zeit einen unvorstellbaren Blutzoll hatte zahlen müs­sen, war keine öffentliche Gewalt angewendet worden. Dies galt und gilt als Vermächtnis und Verpflichtung für (fast) alle politischen Kräfte.

Zu den Schwächen der Arbeit gehört, dass sie eine zu geringe zeitliche und räumliche Tiefenschärfe hat. Die postkommunistischen Prozesse und dazu gehört auch die Orange Revolution erschließen sich erst vor dem sowjetischen Hintergrund. Ebenso fehlen vergleichende Perspektiven mit Ostmitteleuropa oder Russland, durch die spezifische Entwicklungen in der Ukraine erst ihre Relevanz gewinnen.

Dennoch ist eine vielseitige Arbeit entstanden, die zentrale Voraussetzungen der Orangen Revolution erörtert, obwohl der Autor im Wesentlichen nur deutsche und englischsprachige Quellen und Literatur ausgewertet hat. Diese Arbeit wurde möglich auf der Basis des vielleicht größten Erfolgs der Orangen Revolution: Nie zuvor waren auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion politische und gesellschaftliche Vorgänge in einer solchen Weise öffentlich und den Zeitgenossen allgemein zugänglich wie in der Ukraine seit 2004.

Gerhard Simon, Köln

Zitierweise: Gerhard Simon über: Florian Strasser Zivilgesellschaftliche Einflüsse auf die Orange Revolution. Die gewaltlose Massenbewegung und die ukrainische Wahlkrise 2004. Mit einem Vorwort von Egbert Jahn. ibidem-Verlag Stuttgart 2006. = Soviet and Post-Soviet Politics and Society, 29. ISBN: 3-89821-648-9, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 2, S. 316: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Simon_Strasser_Zivilgesellschaftliche_Einfluesse.html (Datum des Seitenbesuchs)