Wendy Bracewell, Alex Drace-Francis (eds.) Under Eastern Eyes. A Comparative Introduction to East European Travel Writing on Europe. Central European University Press Budapest, New York 2008. XII, 388 S. = East Looks West, 2. ISBN: 978-963-9776-11-1.

Wendy Bracewell, Alex Drace-Francis (eds.) A Bibliography of East European Travel Writing on Europe. Central European University Press Budapest, New York 2008. XV, 584 S. = East Looks West, 3. ISBN: 978-963-9776-12-8.

Under Eastern Eyes“ ist der zweite Band einer Trilogie von „East Looks West“ (der erste Band „Orientations: An Anthology of East European Travel Writing on Europe“ befindet sich im Druck), gefolgt von einer Bibliographie der osteuropäischen Reiseliteratur. Die zwölf Beiträge des Bandes befassen sich mit Reisebeschreibungen osteuropäischer Provenienz, die in Buchform publiziert wurden. Als „Osteuropa“ definieren die Herausgeber das Gebiet zwischen dem heutigen Russland und Deutschland, der Türkei und Italien; sie weisen allerdings ausdrücklich darauf hin, dass nicht alle literarischen Traditionen dieses Raums berücksichtigt werden konnten (S. VIII). Die Autoren und Autorinnen konzentrieren sich auf die Frage, wo sich diese Reisenden, die zwischen 1550 und 2000 unterwegs waren, in Bezug auf den Begriff „Europa“ und die damit verbundenen Vorstellungen einer gemeinsamen kulturellen Identität positionierten.

Die Begegnung eines Schweizers französischer Zunge und eines Serben in Afrika stellt exemplarisch dar, was in den Beiträgen wiederholt aufscheint. Der Serbe Rastko Petrović, Untertan des osmanischen Sultans, bewandert in französischer Sprache, Kultur und Philosophie, erkämpfte sich seine Zugehörigkeit zu Europa durch seine eurozentrische Bildung, während der Schweizer N. (sein voller Name wird im Reisejournal nicht genannt) sich erlaubte, europäische Kultur zu ignorieren. „The latter [Petrović; d. Verf.] believes that he should make an effort to be a European; the former does not, for he believes that he received his Europeaness by birth. Petrović has Picasso, Gide and Max Ernest for friends, he has read Bergson and Proust; N. has probably never heard of them. Petrović enters Europe by assimilating its culture; N. can afford to ignore it, precisely because he believes that it belongs to him.“ (Zoran Milutinović Oh, to Be a European! What Rastko Petrović Learnt in Africa, S. 281). Diese angeborene Überlegenheit des einen bzw. Unzulänglichkeit des anderen ließ sich weder durch Mangel an Kultur und Bildung noch durch kulturelle Gewandtheit nivellieren. In die gleiche Kerbe schlägt Graeme Murdock mit seinem Beitrag „‚They Are Laughing at Us‘: Hungarian Travellers and Early Modern European Identity“ (S. 121–122).

Die Beiträge drehen sich um die Frage, wie die Reisenden ihre Berichte einsetzten, um Ideen von „Europa“ und einer europäischen Identität zu erkunden und zu verbreiten, sich ihnen entgegenzustellen oder die westeuropäische Perspektive um innovative Akzente zu bereichern.

Die Herausgeber – Wendy Bracewell, Senior Lecturer in History an der School of Slavonic and East European Studies am University College London, und Alex Drace-Francis, Lecturer in Modern European History an der University of Liverpool – vereinen in dieser vergleichenden Studie Fachrichtungen, die diese grenzenübergreifende Trilogie möglich machten.

Die Bibliographie (East Looks West, Bd. 3), umfasst die Reiseliteratur der verschiedenen nationalsprachlichen Traditionen und ist als Hilfsinstrument für vergleichende Forschungen gedacht. Sie schließt die Lücke in der bereits existierenden Referenzliteratur und wendet sich in erster Linie an Forscher und Forscherinnen, die sich mit Reiseliteratur, mit Identitäten und dem weiten Feld des Postkolonialismus oder mit historischen Fragestellungen in globalen und transnationalen Kontexten befassen. Ausgehend von heutigen nationalstaatlichen Grenzen und den entsprechenden Nationalsprachen umfasst der Band Reiseliteratur in Albanisch, Bosnisch, Kroatisch, Serbisch und Serbo-Kroatisch (nach welchen Kriterien hier eine Unterscheidung vorgenommen wurde, ist nur schwer nachzuvollziehen), Bulgarisch, Tschechisch, Griechisch, Ungarisch, Mazedonisch, Polnisch, Rumänisch, Slowakisch, Slowenisch und Ukrainisch. Interessanterweise wurde der Band um zwei Sprachen, die im reichen Literaturkanon Osteuropas eine wichtige Rolle gespielt haben, aber keinen Nationalstaat in diesem Raum zugeeignet bekamen, erweitert: Jiddisch und Hebräisch. Die Herausgeber beschließen den Band mit Reiseberichten osteuropäischer Provenienz, die aber in „Sprachen internationaler Zirkulation“ – Latein, Französisch, Italienisch, Englisch, Russisch und einige wenige deutsche Texte – verfasst wurden, und einem Index der Übersetzungen und der bereisten Orte.

Under Eastern Eyes“ ist ein scharfsinniges, überlegt komponiertes Buch, das auf eindrücklichen Literaturstudien fußt. Die Fallstudien eröffnen zwar keine brisant neuen Einsichten in den östlichen Blick auf „Europa“, vertiefen und erweitern aber bekannte Aspekte des Ost-West-Verhältnisses um reiche und nicht zuletzt auch stilistisch brilliante Facetten. Der Sammelband und die umfassende Bibliographie seien all jenen empfohlen, die sich für einen umfassenden Kontext, in den der mobile Mensch eingebettet ist, interessieren. Nüchterne Fakten, die das Reisen über Jahrhunderte bestimmten, sind den Beiträgen ebenso zu entnehmen wie besondere Umstände, die sich gerade osteuropäischen Reisenden eröffneten. Anthropologische Konstanten und gebiets-, grenz-, sprach- und kulturübergreifende Phänomene, die mobile Menschen mental prägen, und die Sinne und Wahrnehmungsweisen mit der Entfernung von der Heimat zunehmend neu akzentuieren, sind zwar nicht explizit unterstrichen, scheinen aber farbig unterhaltend und zugleich tiefgründig an die Verlorenheit in der Fremde mahnend zwischen den Zeilen auf.

Der Reihentitel „East Looks West“ ist zunächst etwas irreführend, da er suggeriert, es handle sich um osteuropäische Reisenarrative über Westeuropa. Die Reisenden waren aber auch in Europas Osten unterwegs und außerdem weit über die (flexiblen und von unterschiedlichen Deutungen abhängigen) Grenzen Europas hinaus. Der osteuropäische Blick auf den Westen ist weniger geographisch als ideengeschichtlich zu verstehen und mit der Frage nach der Positionierung des osteuropäischen Selbst innerhalb westlicher Geisteskultur, während die Westeuropäer diese selbstverständlich für sich beanspruchten, selbst wenn sie ihrer völlig entbehrten.

Desanka Schwara, Bern / Schweiz

Zitierweise: Desanka Schwara über: Wendy Bracewell, Alex Drace-Francis (eds.) Under Eastern Eyes. A Comparative Introduction to East European Travel Writing on Europe. Central European University Press Budapest, New York 2008. XII. = East Looks West, 2. ISBN: 978-963-9776-11-1. Wendy Bracewell, Alex Drace-Francis (eds.) A Bibliography of East European Travel Writing on Europe. Central European University Press Budapest, New York 2008. XV. = East Looks West, 3. ISBN: 978-963-9776-12-8, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 2, S. 277: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Schwara_Bracewell_Under_Eastern_Eyes.html (Datum des Seitenbesuchs)