Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Band 58 (2010) H. 1, S.  138-139

Wolfgang Wippermann Die Deutschen und der Osten. Feindbild und Traumland. Primus Verlag Darmstadt 2007. 159 S., Abb. ISBN: 978-3-89678-343-1.

Entstehung, Genese und Funktion deutscher „Geostereotype“ über den Osten bilden den Gegenstand dieser komprimierten essayistischen Darstellung. In neun kurzen Kapiteln geht es um die historische Entwicklung der deutschen Bilder vom Osten und um ihre Auswirkungen auf die deutsche Politik. Hervorgehoben werden dabei in groben Linien insbesondere die Kontinuitäten. Demnach bildete eine sich wandelnde Mischung aus Angst und Aggression gegenüber Völkerfluten, die als kulturell unterlegen und gleichzeitig bedrohlich imaginiert wurden, den Kern des deutschen Bildes vom Osten. Immer wieder erscheint dieser in der deutschen Geschichte sowohl als „Feindbild“ als auch als „Traumland“ im Sinne kolonisatorischer Eroberungs- und Besiedlungsphantasien und -pläne. Alternative Bilder sowie differenziertere Haltungen zu verschiedenen Akteuren des ‚Ostens‘ in unterschiedlichen Perioden und Milieus werden dabei kaum berücksichtigt. Die Geschichte des Osteuropa-Bildes erscheint vielmehr stringent auf die Expansions- und Lebensraumpolitik des ‚Dritten Reiches‛ hinauszulaufen. In dieser Logik wird der Weg von der Kulturträgertheorie über die Drang-nach-Osten-Ideologie, zu Geopolitik, Lebensraum-Theorem und Volks- und Kulturbodentheorie nachgezeichnet, der schließlich, angereichert um das Feindbild des jüdischen Sowjet-Bolschewismus, in der NS-Ideologie und in den „ideologischen Vernichtungskrieg“ einmündete. Auch nach 1945 hätten die zentralen negativen Geostereotype in der Bundesrepublik weitergewirkt (die DDR wird nicht berücksichtigt!). Sie seien im Zeichen der Ostpolitik nur kurzzeitig relativiert oder ausgesetzt worden. Nach der Wiedervereinigung habe man sie teilweise auch auf die Ostdeutschen übertragen und in der Asyl- und EU-Erweiterungsdebatte reaktiviert. Gegenwärtig drohe eine Verbindung der alten Osteuropa-Feindbilder mit einem neu entstehenden Feindbild vom islamischen Osten.

Wippermann gibt insgesamt einen grob gestrickten, zur Einführung aber durchaus nützlichen Überblick über zentrale Osteuropa-Stereotypen und ihre Geschichte. Der verwendete ideo­logiekritische Ansatz zeigt als historische Methode allerdings auch deutlich seine Grenzen, indem er die Funktionsweisen und Mechanismen von Stereotypen einzig auf ihre legitimatorische Rolle für eine imperialistische Politik reduziert. Kultur- oder diskursgeschichtliche Ansätze, die in den letzten Jahren darüber hinausgehende Erkenntnisse ermöglicht haben, werden leider nicht herangezogen.

Stephan Scholz, Oldenburg

Zitierweise: Stephan Scholz über: Wolfgang Wippermann: Die Deutschen und der Osten. Feindbild und Traumland. Primus Verlag Darmstadt 2007. ISBN: 978-3-89678-343-1, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 1, S. 138-139: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Scholz_Wippermann_Die_Deutschen.html (Datum des Seitenbesuchs)