Dieter Bingen, Peter Oliver Loew, Kazimierz Wóycicki (Hrsg.) Die Destruktion des Dialogs. Zur innenpolitischen Instrumentalisierung negativer Fremd- und Feindbilder. Polen, Tschechien, Deutschland und die Niederlande im Vergleich, 1900 bis heute. Harrassowitz Verlag Wiesbaden 2007. 433 S., Tab. = Veröffentlichun­gen des Deutschen Polen-Instituts Darmstadt, 24.

Nach dem Ende des Systemgegensatzes in Europa war eine Neubestimmung des deutsch-polnischen Verhältnisses unvermeidlich. Sie begann hoffnungsvoll, verlief zunächst vielversprechend, erfuhr um die Jahrtausendwende aber eine deutliche Ernüchterung und mündete in den nachfolgenden Jahren in eine „Destruktion des Dialogs“. So lautet die Analyse der Herausgeber dieses Sammelbandes. Das Deutsche Polen-Institut in Darmstadt nahm die „Aufschaukelung des ‚deutsch-polnischen‛ Anti-Dialogs“ (S. 10) zum Anlass, auf einer im November 2005 stattfindenden Tagung die neuen innenpolitischen Instrumentalisierungen von emotionali­sierten Negativbildern des Nachbarn zu thematisieren. Über zwei Dutzend Beiträge dieser Veranstaltung liegen nun in einem Sammelband vor.

Das Konzept der Tagung und des Buches greift dabei zeitlich und räumlich weit aus. Zum einen werden die historischen Wurzeln bis ins 19. Jahrhundert verfolgt, zum anderen werden Tschechien und die Niederlande als „Vergleichsfälle“ herangezogen. In einem großen Bogen sollen also die Konstruktionsmechanismen von negativen Fremdbildern, ihre Muster und Akteure, ihre gesellschaftliche Resonanz so­wie ihre Bedeutung für die kollektive (meist nationale) Identitätsbildung in den Blick genommen werden.

Zwei einleitende Beiträge von Josef Berg­hold und Małgorzata Bogaczyk widmen sich aus unterschiedlicher Perspektive auf theoretische Weise dem Begriff und Gegenstand des Fremd- und Feindbildes. Sie spielen für die nach­folgenden Beiträge konzeptionell leider kei­ne Rolle und verweisen lediglich auf die Viel­zahl und Heterogenität möglicher Zugänge. Ein kurzer Forschungsüberblick über die wichtigsten Konzepte unterschiedlicher Disziplinen wäre hier von Vorteil gewesen.

Der Band ist im Folgenden teils chronologisch, teils systematisch gegliedert. In den meisten Beiträgen geht es um das Deutschenbild bei Polen, Tschechen und Niederländern in verschiedenen Untersuchungszeiträumen, wobei der zeitliche Schwerpunkt auf der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und für das im Zentrum stehende deutsch-polnische Verhältnis besonders auf der Zeit nach 1989 liegt. Auffällig ist, dass zwar die „historischen Wurzeln“ in der Zwischenkriegszeit und zum Teil auch im 19. Jahrhundert thematisiert werden, sich aber kein Beitrag mit der Zeit des Zweiten Weltkriegs befasst. Das ist erstaunlich und bedauerlich, weil in vielen Beiträgen deutlich wird, dass die Zeit von Krieg und Besatzung für die spätere Instrumentalisierung eines negativen Deutschenbildes von zentraler Bedeutung ist. Hier liegt auch, bis heute wirksam, die entscheidende Gemeinsamkeit der „Vergleichsfälle“ Polen, Tsche­chien und der Niederlande. Dieser realhistorische Erfahrungshintergrund gerät häufig etwas zu sehr aus dem Blick, wenn die Konstruktion und die politische Nutzung deutschfeindlicher Haltungen vor allem durch radikale und populistische Parteien analysiert werden.

Ebenso kommen die realpolitischen Hintergründe für die Reaktivierung solcher Feindbilder in den letzten Jahren etwas zu kurz, etwa die Verbindung des tschechischen EU-Beitritts mit der Forderung nach der Aufhebung der Beneš-Dekrete oder die Forderung nach einem Zentrum gegen Vertreibungen und die damit teilweise einhergehende deutsche Ignoranz gegenüber den historisch begründeten Sensibilitäten der Nachbarn. Verweise darauf finden sich in den Beiträgen von Anna Wolff-Powęska und Stefan Garsztecki für Polen sowie von Miro­slav Kunstat für Tschechien.

Ein großes Manko stellt in diesem Zusammenhang die fast vollständige Ausblendung der Rolle negativer Fremdbilder in Deutschland selbst dar. Die Herausgeber gestehen einleitend diese „Asymmetrie“ ein und begründen sie damit, dass Feindbilder der Nachbarn im politischen Leben nach 1945 „für die bundesdeutsche Politik und im öffentlichen Diskurs obsolet“ geworden seien (S. 11). Abgesehen davon, dass hier die DDR außen vor gelassen wird und der Zeitraum des Sammelbandes auch die Zeit vor 1945 mit einbezieht, wird hier die nachhaltige Wirkungsmacht von negativen Stereotypen, die auch im Diskurs der Bundesrepublik aktualisiert oder neu akzentuiert wurden, stark und fast schon naiv unterschätzt.

Nur der Beitrag von Peter Oliver Loew beschäftigt sich näher mit Deutschland. Er geht auf das deutsche Polenbild nach 1989 ein, beschränkt sich jedoch bewusst auf eine Analyse rechtsradikaler Zeitschriften, weil Polen als Feindbild heute „im mainstream des politischen Diskurses schlechterdings ein Ding der Unmöglichkeit“ zu sein scheine (S. 328). Immerhin weist er nach einer Beschreibung des stabilen Feindbildes Polen auf der radikalen Rechten abschließend darauf hin, dass eine schleichende Übernahme antipolnischer Diskurse in den politischen Mainstream angesichts einer verbreiteten Überheblichkeit gegenüber Polen durchaus denkbar sei. Es fehlt jedoch eine Untersuchung der Frage, wieweit und auf welche Weise sich dies vollziehen könnte oder schon vollzieht und wo die Grenze zwischen Überheblichkeitsgefühl und Feindbild eigentlich liegt. Loew bezieht mit dem „Ostpreußenblatt“ auch ein Organ der Vertriebenenverbandspresse in seine Untersuchung rechtsradikaler Periodika ein, und er erwähnt in einer Fußnote Interviews mit Erika Steinbach in der rechtsradikalen Jungen Freiheit, lässt aber offen, wo die Überschneidungen zwischen rechtsradikalen Positionen und denen der Vertriebenenverbände heute liegen und wie weit sie in den allgemeinen Diskurs hineinreichen. Der Beitrag von Klaus-Peter Friedrich über die erinnerungspolitische Legitimierung des Opferstatus anhand der Instrumentalisierung fragwürdiger Opferzahlen in Polen und der Bundesrepublik verweist z.B. darauf, dass in Deutschland keineswegs nur extreme Stimmen überhöhte Todeszahlen dazu nutzen, um die Deutschen als Opfer zu stilisieren und mitunter sogar in diesem Zusammenhang von einem Völkermord an den Deutschen zu sprechen. Friedrich geht leider nur kurz auf die selbstverständliche Verwendung von überhöhten und undifferenzierten „Horrorzahlen“ von „Vertreibungsopfern“ (S. 188) im aktuellen deutschen Diskurs ein.

Die Renaissance negativer Instrumentalisierungen des Deutschlandbildes insbesondere in Polen seit Ende der neunziger Jahre ist nicht allein durch innenpolitische Konstellationen zu erklären, auf die sich die Herausgeber konzentriert haben und wozu verschiedene Autoren informative Beiträge liefern. Das komplexe Wechselverhältnis von gegenseitigen Selbst- und Fremdbildern hätte durch die Einbeziehung des deutschen Diskurses näher ausgelotet werden müssen.

Stephan Scholz, Oldenburg

Zitierweise: Stephan Scholz über: Dieter Bingen, Peter Oliver Loew, Kazimierz Wóycicki (Hrsg.): Die Destruktion des Dialogs. Zur innenpolitischen Instrumentalisierung negativer Fremd- und Feindbilder. Polen, Tschechien, Deutschland und die Niederlande im Vergleich, 1900 bis heute. Harrassowitz Verlag Wiesbaden 2007. = Veröffentlichun­gen des Deutschen Polen-Instituts Darmstadt, 24. ISBN: 978-3-447-05488-1, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 57 (2009) H. 3, S. 465-467: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Scholz_Bingen_Destruktion_des_Dialogs.html (Datum des Seitenbesuchs)