Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

 

Ausgabe: 59 (2011) H. 1

Verfasst von:Michael Schmidt-Neke

 

Hubert Neuwirth Widerstand und Kollaboration in Albanien 1939–1944. Wiesbaden: Harrassowitz, 2008. 307 S. = Albanische Forschungen, 27. ISBN: 978-3-447-05783-7.

Seit 1990/91 wird in Albanien um die Bewertung der verschiedenen Fraktionen des Widerstandes und der Kollaboration gestritten. Der von den Kommunisten erhobene Monopolanspruch auf den Widerstand wurde von den neu formierten rechten Bewegungen, dem Balli Kombëtar und dem monarchistischen Legaliteti, in dem Bestreben zurückgewiesen, die Deutungshoheit über die Zeitgeschichte zu gewinnen.

Neuwirth zeigt in seiner auf albanische Archivalien gestützten und bereits 1997 als Dissertation angenommenen Arbeit auf, dass die Motive für Kollaboration und Widerstand höchst vielfältig waren und dass die Entscheidung für die eine oder andere Option keineswegs irreversibel war. Eine simple soziologische Zuschreibung – Großgrundbesitzer und Besitzbürger kol­laborierten, nicht besitzende Schichten leisteten Widerstand – gehe völlig an der Sache vorbei. Den Widerstand der Partisanenbewegung zieht er nicht in Zweifel, er bestreitet aber sowohl das Monopol als auch das Erstgeburtsrecht der Nationalen Befreiungsfront (FNÇ) daran. Es habe bereits vor der Gründung der Kommunistischen Partei am 8. November 1941 Strukturen des Widerstandes gegeben.

Neuwirth weist die Hauptverantwortung für die Kollaboration der Ballisten, der Zogisten und verschiedener Stämme des Hochlandes den Kommunisten zu, weil diese, auch auf jugoslawischen Druck hin, die Vereinbarung aufgekündigt hatten, die zwischen der FNÇ und dem Balli am 1. August 1943 in Mukje geschlossen worden war, und durch ihren Führungsanspruch die Nichtkommunisten dazu trieben, sich mit den Deutschen gegen die Partisanen zu arrangieren. Aber auch die Anhänger Zogus hätten sich 1942 im türkischen Exil ausgerechnet mit dem Führer der serbischen Četnici, Draža Mihailović, auf eine Zusammenarbeit mit dem Ziel einer Rückkehr des Königs verständigt. Das impliziert, dass auch sie aus innenpolitischen Gründen bereit waren, auf ein ethnisches Albanien zu verzichten, denn selbstverständlich hätten die serbischen Nationalisten dem König Zogu Kosovo nicht auf dem Silbertablett serviert. Zwischen Besatzern und Konservativen herrschte ein gewisses gegenseitiges Wohlwollen, da die Besatzer den gesellschaftlichen Status quo garantierten.

Nur am Rande wird thematisiert, ob die Lage in den „neualbanischen“ Anschlussgebieten sich von der im Kernland unterschied und ob die Verfolgung der Juden in Kosovo eine andere Qualität hatte als in Altalbanien, das ein fast völlig sicherer Hafen war.

Irrtümer sind in einer solchen Arbeit unvermeidbar. Dass die Mitglieder der Nationalversammlung vom Oktober 1943 alle bereits 1937–1939 dem albanischen Parlament angehört hätten (S. 143), stimmt nicht; es gibt nur vier oder fünf Übereinstimmungen. Die als „Klika“ (Clique) bezeichnete reaktionäre Hofkamarilla Zogus war weder ein Verein noch eine Parteiorganisation; ihre Wirksamkeit lag gerade in ihrer Informalität.

Der Autor versteigt sich zu merkwürdigen ge­schichtsphilosophischen Betrachtungen, wenn er den „objektiven Standpunkt des Historikers“ (schon seit Tacitus eine überholte Vorstellung) dafür in Anspruch nimmt, die Schuld der Kommunisten am Bürgerkrieg zu begründen, die Kollaboration mit dem nationalsozialistischen Deutschland hingegen dem moralischen Urteil des Betrachters unterwirft. Dass die Kollaboration des Balli „primär taktisch, und nicht ideologisch“ war, ist als Entlastungsargument untauglich.

Schade, dass diese Studie erst mit so großer Verzögerung erscheint, denn die von Neuwirth als kopernikanische Wende der albanischen Zeitgeschichtsforschung gesehenen Befunde haben im Erscheinungsjahr 2008 kaum noch Neuigkeitswert. Dies soll aber nicht heißen, dass eine derart detaillierte Bearbeitung einer der wichtigsten Phasen der jüngeren albanischen Geschichte, angereichert mit Prosopographien von knapp 40 politischen und militärischen albanischen Akteuren, nicht uneingeschränkt lesenswert wäre.

Michael Schmidt-Neke, Kiel

Zitierweise: Michael Schmidt-Neke über: Hubert Neuwirth Widerstand und Kollaboration in Albanien 1939–1944. Harrassowitz Verlag Wiesbaden 2008. = Albanische Forschungen, 27. ISBN: 978-3-447-05783-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Schmidt_Neke_Neuwirth_Widerstand_und_Kollaboration.html (Datum des Seitenbesuchs)

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